Wie kann die Lesefähigkeit verbessert werden?

Die Ergebnisse der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung wurden bekannt gegeben. Die sogenannte Iglu-Studie wird seit 2001 alle fünf Jahre in rund 60 Ländern weltweit durchgeführt. Die nun veröffentlichten Ergebnisse beziehen sich auf Erhebungen aus dem zweiten Corona-Jahr 2021 und geben Europas Presse zu denken.

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Dnevnik (SI) /

Lehrerberuf muss aufgewertet werden

Auch in Slowenien (520 Punkte) ist die Lesefähigkeit der Schüler gesunken. Die angekündigte Bildungsreform wird kein leichtes Unterfangen, befürchtet Dnevnik:

„Die Frage ist, wie die Reform umgesetzt werden soll, da die Grundvoraussetzung für bessere Ergebnisse fehlt: qualifizierte Lehrkräfte. Im Verlauf des kommenden Fünfjahreszyklus der Iglu-Studie wird es zu einem Lehrkräftemangel kommen, da die letzten Lehrkräfte aus den geburtenstarken Jahrgängen in den Ruhestand gehen. Es braucht daher auch eine Kampagne zur Aufwertung des Lehrerberufs und zur Stärkung der Position der Lehrer. Bei der Diskussion über Gehälter im öffentlichen Dienst muss man also den Erwartungen der Gewerkschaften folgen. Die Verschlechterung der Lesekompetenz ist nur ein Symptom einer größeren Verunsicherung, die den Bildungssektor durchdringt.“

NRC (NL) /

Mehr Lesevergnügen statt noch mehr Tests

In den Niederlanden (527 Punkte) will die Schulaufsichtsbehörde auf das gesunkene Leseverständnis reagieren, indem Schüler mit ungenügenden Noten im Fach Niederländisch keinen Abschluss mehr bekommen. Für NRC-Kolumnist Christiaan Weijts eine schlechte Idee:

„Lehrer werden ihre Schüler noch fanatischer für die Zirkusnummer 'Leseverständnis' dressieren. ... Aber wirkliche Sprachfähigkeit hat man, wenn man einen Gedankengang formulieren kann, klar, spielerisch, fantasievoll, und das lernt man vor allem durch viel Lesen. ... Für mehr Sprachfähigkeit braucht es Verführung, keine Tricks, keine Dressur. Nein, plant feste Stunden ein für Lese- und Schreibpraktika, Bücher, Papier, weiche Kissen. ... Mehr Lese- und Schreibvergnügen, weniger Prüfungen.“

La Tribune de Genève (CH) /

Die Diktatur der Rechtschreibung

Ein grundsätzliches Nachdenken über die Sinnhaftigkeit ausgefeilter Sprachregeln fordert La Tribune de Genève:

„Zu oft gibt es diejenigen, die sie beherrschen, und diejenigen, die sie nicht beherrschen. Und auch diejenigen, die andere wegen ihrer Unkenntnis verachten, und die zu schnell vergessen, dass das Französische so komplex ist, dass niemand vor dem Fallbeil des Wörterbuchs sicher ist. Wenn die Einstellungen in den Köpfen sich nicht ändern, werden Menschen zum Schweigen gebracht. … Die Rechtschreibung verwandelt sich in einen Diktator, dessen Regeln man alle kennen muss, bevor man etwas schreibt. … Wir sollten nicht vergessen, dass das Ziel einer Sprache darin besteht, dass sich alle Menschen ausdrücken können. Außerdem hat ChatGPT im Rechtschreibwettbewerb sowieso schon gewonnen.“

De Morgen (BE) /

Und wieder steigt der Druck auf Lehrer

In der Region Flandern (511 Punkte) ist die Lesefähigkeit der Schüler deutlich gesunken. De Morgen befürchtet:

„Jetzt wird mal Druck auf die Lehrer ausgeübt. Sie müssen nicht nur künftige Zehnjährige mehr und besser zum Lesen bewegen, sie müssen vor allem auch dafür sorgen, dass unsere heutige Schuljugend nicht eine verlorene Generation wird. Die große Falle bei Untersuchungen wie dieser ist aber, dass sie bei Lehrern und Schulen zu Defätismus führen. Wenn man tagein, tagaus sein Bestes gibt, aber immer wieder mit schlechten Ergebnissen konfrontiert wird, ist das eine normale Reaktion. Es wäre aber erst recht ein Drama.“

Badische Zeitung (DE) /

Alle müssen an einem Strang ziehen

Dass in Deutschland (524 Punkte) 25 Prozent der Grundschüler die Mindeststandards nicht erfüllen, ist für die Badische Zeitung nicht hinnehmbar:

„[D]enn jedes Kind muss lesen lernen dürfen, sonst werden erst schulisch, dann gesellschaftlich vor allem die abgehängt, die zuhause kein Deutsch sprechen oder denen abends nicht vorgelesen wird. Politik, Kommunen, Eltern und Schulen müssen an einem Strang ziehen und Maßnahmen einleiten, die sich andernorts längst bewährt haben, wie Sprachtests für alle Vierjährigen, Sprachförderung in Kitas und Schulen, Fortbildungen für Lehrkräfte. Was auch schon helfen könnte: Sich wieder auf basale Kompetenzen zu besinnen. Die Lesezeit an deutschen Grundschulen, auch das ist ein Iglu-Ergebnis, ist mit 141 Minuten pro Woche vergleichsweise niedrig (OECD-Mittel: 205 Minuten).“

Irish Examiner (IE) /

Auf leeren Magen liest es sich schlechter

Irish Examiner mahnt, trotz der guten Platzierung Irlands (577 Punkte) die Warnzeichen nicht zu übersehen:

„Irland gehört weltweit zu den Spitzenreitern, wenn es um die Lesekompetenz von Grundschulkindern geht. Für ein Land mit einer so starken literarischen Tradition ist das ein Anlass, stolz zu sein. ... Es bedeutet aber nicht, dass die Auswirkungen von Covid auf das Bildungssystem im Bericht nicht sichtbar würden. Eine Reihe wichtiger Ziele aus dem Jahr 2017 zur Bekämpfung von Bildungsnachteilen wurden verfehlt. ... Mehr als einer von zehn Schülern (11 Prozent) kommt täglich hungrig in die Schule. ... Schüler, die jeden Tag hungrig kamen, erreichten im Schnitt die niedrigsten Leistungen, die niemals hungrigen die höchsten.“

The Times (GB) /

Pandemie besser abgefedert als andere

Dass England (558 Punkte) im internationalen Ranking um vier Plätze stieg, ist vor allem dem Engagement von Lehrern, Eltern und Schülern während der Pandemie zu verdanken, lobt The Times:

„England ist nicht etwa in der Rangliste aufgestiegen, weil sich hier Leistungen so stark verbessert haben, sondern weil in Ländern wie Finnland und Polen, die zuvor besser abgeschnitten hatten als England, die Leistungen zurückgingen. Der Test beweist, welchen Schaden Covid der Bildung zugefügt hat. Es ist also das Verdienst der englischen Lehrer, Eltern und Kinder, dass sie unter so schwierigen Umständen in der jetzigen Untersuchung nur einen Punkt weniger erzielten als ihre Altersgenossen es vor fünf Jahren taten.“