Drohnenangriff auf Moskau

In Moskau sind bei einem Angriff mehrerer Drohnen am Dienstag (30.05.) Wohngebäude beschädigt worden. Verletzt wurde niemand. Russlands Präsident Putin beschuldigte die Ukraine und sprach von einem terroristischen Akt. Die Ukraine dementierte, direkt beteiligt gewesen zu sein. Kommentatoren diskutieren die Folgen der Aktion.

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De Telegraaf (NL) /

Zivile Ziele sind tabu

Dass auch Wohnhäuser getroffen wurden, gefährdet das Vertrauen des Westens in die Ukraine, meint De Telegraaf:

„Natürlich hat die Ukraine das volle Recht, sich gegen den russischen Angriffskrieg zu verteidigen. Das kann weiter gehen als nur die Vertreibung der russischen Truppen aus besetzten Gebieten. ... Beim Drohnenangriff auf Moskau war aber auch die Rede von zivilen Zielen, darunter ein Stadtteil, in dem Präsident Putin und einige seiner Anhänger wohnen. Die Ukraine sollte sich - mit eigenen Waffen - besser auf militärisch-strategische Ziele konzentrieren, um zu verhindern, dass die Unterstützung des Westens abnimmt.“

Arkadi Dubnow (RU) /

Lieber keine rote Linie ziehen

Politikjournalist Arkadi Dubnow ordnet auf seinem Facebook-Kanal die russische Reaktion auf den Drohnenangriff ein:

„Kein einziger regierungsnaher, geschweige denn staatlicher Kommentar zum Einschlag der Drohnen in Moskau verwies auf die angelsächsischen Puppenspieler, die die 'Ukronazis' manipulieren. ... Es sieht so aus, als wirke eine frische Sprachregelung aus der Präsidentenadministration. Denn den direkten Angriff von Kampfdrohnen auf die russische Hauptstadt mit westlichen Anweisungen in Verbindung zu bringen, wäre eine schädliche Anspielung auf eine weitere 'rote Linie', die der Feind zu überschreiten wagt, ohne dafür Vergeltung zu riskieren.“

Slate (FR) /

Große psychologische Wirkung

Besonders zu beachten sind die immateriellen Auswirkungen, betont Slate:

„Die psychologischen und möglicherweise politischen Schäden dürfen nicht ignoriert werden. Theoretisch könnten diese Angriffe eine mitreißende Wirkung auf die Stimmung der Russen und die Unterstützung der Bürger für den Krieg gegen die Ukraine haben. Doch sollte die russische Armee auf dem Schlachtfeld weiterhin träge bleiben und die bevorstehende Offensive der ukrainischen Armee einen Durchstoß erzielen sowie kilometerweise noch näher an der russischen Grenze liegende Gebiete zurückerobern, dann könnte dieses Eindringen in den Himmel über Moskau die Russen entmutigen, ihnen die Existenz des Kriegs konkret bewusst und Lust auf dessen Beendigung machen.“

Tageblatt (LU) /

Die viel beschworene Stabilität ist dahin

Jetzt fangen vielleicht auch manche Menschen in Russland an, die Kriegspropaganda zu hinterfragen, vermutet die Moskau-Korrespondentin Inna Hartwich im Tageblatt:

„Der Krieg, dessen Verantwortung sie weit von sich weisen, den sie rechtfertigen und nicht sehen wollen, er kommt in Form von Drohnen in ihre Wohnhäuser zurück. Das verbreitet Schrecken. 'Da drüben ist der Kindergarten meines Sohnes. Wie soll ich nun ruhig schlafen?', fragt da so manche, die bislang offensichtlich gut schlafen konnte, auch wenn keine tausend Kilometer von ihr entfernt die Kindergärten anderer Söhne und Töchter von ihren Landsleuten zerbombt wurden. Viele Moskauer erfahren erst durch die Gewalt von unbemannten Flugobjekten, dass die von Präsident Wladimir Putin viel beschworene Stabilität längst dahin ist.“

Echo (RU) /

Ein Bruchteil der Angst der Ukrainer

Auch der ukrainische Regisseur Oleksandr Rodnjanskyj setzt in einem von Echo übernommenen Telegram-Post das Erschrecken der Moskauer in Beziehung zu dem, was Ukrainer erleben:

„Glauben Sie mir, ich bin alles andere als schadenfroh. Ich kann mich nicht über Drohnen über der Rubljowka freuen. ... Aber heute Nacht haben die Moskauer nur ein Zehntel, wenn nicht ein Hundertstel von dem gespürt, was die Einwohner von Kyjiw JEDE Nacht spüren. Ein Millionstel von dem, was die Einwohner von Mariupol erlebten. Oder von Bachmut oder Awdejewka. ... Das für die Bombardierung der Ukraine und die Ermordung ukrainischer Zivilisten verantwortliche russische Verteidigungsministerium bezeichnete das, was in Moskau geschah, als... TERRORAKT. Echt jetzt? Wie sollen wir dann das Geschehen in der Ukraine nennen?“

The Times (GB) /

Unkluge Rache

Die ukrainische Seite sollte sich mit Angriffen auf Moskau zurückhalten, mahnt The Times:

„Eine solche, große Beachtung findende Operation dürfte Nato-Führer nervös machen. Insbesonders US-Präsident Biden, der darauf bestanden hat, dass die Ukraine keine hochentwickelten Waffen einsetzen sollte, um russischen Boden anzugreifen, wenn diese Waffen eigentlich zur Verteidigung bereit gestellt wurden. Die Nato ist entschlossen, der Ukraine dabei zu helfen, sich gegen Angriffe verteidigen zu können, wie das Weiße Haus erst letzte Woche bekräftigte. Aber das Nato-Bündnis befindet sich nicht im Krieg mit Russland und will, dass dies so bleibt. Die Ukraine muss diese Bedenken beachten.“

Reflex (CZ) /

Tatsächlich ist der Schaden riesig

Reflex hat ein Déjà-vu:

„Der Schaden, den die zwei Drohnen verursacht haben, soll nach Angaben der russischen Behörden nicht groß gewesen sein. Tatsächlich ist der Schaden riesig. So riesig wie einst, als in den Achtzigern ein Kleinflugzeug, gesteuert von einem zwanzigjährigen Amateur, aus der Bundesrepublik Deutschland nach Moskau flog. Mathias Rust bombardierte damals nicht, sondern landete im Herzen Russlands, auf dem heiligsten Boden vor dem Kreml, auf dem Roten Platz. So schlecht wurde die Sowjetunion bewacht. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.“