Estland: Russlandgeschäfte belasten Kallas

Estlands Regierungschefin Kaja Kallas steht wegen Geschäftsaktivitäten ihres Ehemanns Arvo Hallik in der Kritik: Wie Medien herausfanden, hält er als Investor Anteile an einem Logistikunternehmen, das nach wie vor in Russland aktiv ist. Kallas wies die Forderung zurück, vor einer Parlamentskommission Stellung zu den Vorwürfen zu beziehen. Europas Presse ordnet ein.

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Õhtuleht (EE) /

Krise der Demokratie

Kallas' Verhalten bedroht die Stabilität, kritisiert Õhtuleht:

„Dies kann nur als eine wachsende Krise der Demokratie in Estland bezeichnet werden. ... Die zunehmende Scheinheiligkeit der Premierministerin verschärft die Lage. Der derzeitige Stil von Kallas - vertuschen, leugnen, davonlaufen und so die Krise anheizen - überschreitet einen Rubikon, von wo aus sie sich nicht mehr so einfach zurückziehen kann. Die blinde Arroganz der internen Politik der Reformpartei hat weitere Opfer gefordert: das politische Image von Kallas und das innenpolitische Gleichgewicht.“

Delfi (LT) /

Ganz Europa leidet unter Kallas-Syndrom

Die Scheinheiligkeit ist nicht nur in Estland ein Problem, ärgert sich Delfi:

„Die vermeintlich ahnungslose Ehefrau schlug politisches Kapital, indem sie die Ukraine unterstützte und die zögerliche Unterstützung des Westens für die Ukraine entlarvte, während der logistisch versierte Ehemann in Russland echtes Kapital schlug. ... Ganz Europa leidet unter dem Kallas-Syndrom. Die EU hat nach und nach ein erstes, drittes, fünftes, neuntes Sanktionspaket gegen Russland verhängt, aber die Warenströme durch Litauen und Polen - dem Tor der EU zum Osten - haben nicht abgenommen. Polen kündigte die Schließung seiner Grenzübergänge an, aber der Warenstrom nach Osten hielt unvermindert an. Trotz harter antirussischer Worte wurden tonnenweise EU-Handelsgüter an den Sanktionen vorbeigeschleust.“

RFI România (RO) /

Chancen auf Nato-Chefposten sinken

In Rumänien würde so ein Fall vielleicht wenig Wellen schlagen, im Rest Europas aber nicht, meint Journalist Ovidiu Nahoi auf RFI România:

„Sind die moralischen Maßstäbe, nach denen Kaja Kallas in ihrem Land behandelt wird, zu hoch gehängt? Viele Rumänen mögen so denken, solange es in der Regierung von Bukarest problemlos einen Minister geben kann, der Lobbyarbeit für eine chinesische Technologiefirma betreibt, die Beziehungen zur kommunistischen Regierung unterhält. Was wiederum die Regierungschefin in Tallinn angeht, ist eines gewiss: Die Chancen, dass sie das Amt des Nato-Generalsekretärs übernehmen könnte, für das sie in der internationalen Presse mit als Favoritin gehandelt wird, sinken jetzt spürbar.“

Õhtuleht (EE) /

Unnötige Gefährdung der eigenen Integrität

Õhtuleht sieht Kallas und ihr Amt moralisch angeschlagen:

„Es ist eine außerordentlich bittere Geschichte, wenn Premierministerin Kaja Kallas, die in der ganzen Welt als Kriegsprinzessin und Aufklärerin pro-russischer Missverständnisse bekannt ist, in ihrem eigenen Haus eine Person hat, die nicht den gesunden Menschenverstand hatte, alle Verbindungen zu diesem Land abzubrechen. Zwar gibt es viel zur Entschuldigung: Die geschäftlichen Interessen sind minimal, es handelt sich nur um eine Beteiligung, und das Einzige, was getan wurde, war, bei der Abwicklung eines Unternehmens zu helfen. Doch in bestimmten Berufen muss man buchstäblich frei von allen Schatten sein, auch im Familienkreis. Im Amt des Premiers gibt es kein Privatleben.“

Postimees (EE) /

Schwerer Image-Schaden

Postimees verlangt Erklärungen von der Regierungschefin:

„Kaja Kallas steht vor der größten Krise ihrer Karriere, die auf einen Widerspruch zwischen ihren Worten und ihren Taten zurückzuführen ist. Hat sich Kaja Kallas selbst nie die Frage gestellt, ob die Geschäfte ihres Mannes mit Russland inhaltlich und formal mit den internationalen Sanktionen übereinstimmen? Wenn nicht, wäre das ein Zeichen größter Naivität; wenn ja, wäre es ein Zeichen von Komplizenschaft und würde die Glaubwürdigkeit von Kallas' Pro-Ukraine-Rhetorik weitgehend zunichtemachen. Weitere Erklärungen von Ihnen sind unerlässlich, Frau Premierministerin!“