Europa schwitzt: Wie mit der Dauerhitze leben?

Eine weitere Hitzewelle schiebt sich dieser Tage aus Südeuropa nach Norden. In Spanien und Frankreich wurden Werte von mehr als 40 Grad gemessen, auch Mitteleuropa hat sich nun solchen Temperaturen angenähert. Kommentatoren beschäftigen sich mit der Frage, wie sich Gesellschaft und Wirtschaft an derartige extreme Wetterbedingungen anpassen können.

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The Guardian (GB) /

Kommunen müssen endlich aktiv werden

Am Beispiel der spanischen Hauptstadt kritisiert Journalistin María Ramírez in The Guardian die Untätigkeit vieler Kommunalpolitiker:

„Madrid gehört zu den schlimmsten Sündern. Öffentliche Räume zum Abkühlen sind kaum vorhanden, und Einkaufszentren bleiben die häufigste Zufluchtsstätte. Die konservativen Regional- und Kommunalverwaltungen der Hauptstadt reagieren passiv oder sogar ablehnend auf Forderungen der Öffentlichkeit, die gefährlichen Temperaturen von Stadtvierteln mit zu wenig Grünflächen und zu vielen Autos zu senken. ... Die frustrierende Frage ist, warum unsere Politiker die neue Klima-Realität immer noch abtun, als wäre sie nur eine Unannehmlichkeit. Wie viele gebrochene Rekorde und wie viele Todesfälle durch Hitzewellen sind noch nötig, um dies zu ändern?“

La Stampa (IT) /

Viele Todesfälle werden erst später sichtbar

Durch Hitzewellen sterben viel mehr Menschen, als es auf den ersten Blick sichtbar ist, warnt Klimaexperte Daniele Cat Berro in La Stampa:

„Die extreme Hitze, wie sie derzeit halb Europa heimsucht, ist nicht 'nur' eine Frage vorübergehender körperlicher Beschwerden, Einbußen von Ernten, steigendem Energieverbrauch für die Klimatisierung von Gebäuden oder schmelzender Gletscher. Übermäßige Hitze tötet, und zwar auf heimtückische und stille Weise, mehr als jede andere Wetter- oder Klimakatastrophe. Eine schleichende Mortalität, die erst nach Wochen oder Monaten sichtbar wird, wenn die Gesundheitssysteme die Daten zu Todesfällen durch Hitzschlag, Herzinfarkt, Schlaganfall und Atemstillstand bearbeiten und mit den beobachteten Klimaverläufen und der normalen Sterblichkeitsrate in Beziehung setzen können.“

Le Quotidien (LU) /

Selbstverursachte Hölle

Le Quotidien schaut auf Ursachen und Folgen:

„Der Teufelskreis wurde in Gang gesetzt: Hitzewelle, Erwärmung der Ozeane, Häufung von Starkregenfällen. Zweiter und ebenso zerstörerischer kausaler Zusammenhang: Hitzewelle, Trockenheit, Waldbrände, die sich über Hunderttausende Hektar erstrecken und die Evakuierung von Tausenden Personen bedingen. … Es ist hervorzuheben, dass wir alle Schuld daran tragen, dass Europa in diesen Tagen brennt. Und es wird leider nicht die letzte kritische Reflexion zu einem Phänomen sein, das spätestens in einigen Jahren dafür sorgen wird, dass die Umwelt uns keinen Raum mehr zum Atmen lässt. Und sogar unsere Städte unbewohnbar und unsere Böden unbenutzbar sind, wenn sie sich regelmäßig in Sturzbäche verwandeln.“

Polityka (PL) /

Sommerurlaub im Süden kommt aus der Mode

Die Urlaubsgewohnheiten werden sich verändern, prognostiziert Polityka:

„Abgesehen von den gemäßigteren Jahren 2020 und 2021 herrschten in fünf der vergangenen sieben Sommer in Südeuropa Rekordhitzen. Dies könnte die neue Normalität sein, an die wir uns gewöhnen müssen, denn die globalen Durchschnittstemperaturen sinken nicht, sondern steigen stetig. Der Mittelmeerraum erwärmt sich um ein Fünftel schneller als der Rest der Welt. ... Reisebürokunden beginnen, ihre Präferenzen zu ändern. Italienische Daten zeigen, dass die Zahl ausländischer Urlauber außerhalb der Hochsaison steigt. ... Vielleicht ist bei Reisen in den heißen Süden ein Urlaub außerhalb der Saison keine schlechte Idee. Es geht dabei nicht nur um Komfort, sondern auch um Vernunft und Sicherheit.“

Libération (FR) /

Alltag steht vor einer Neuformatierung

Die Anpassung an hohe Temperaturen ist eine Herkulesarbeit, unterstreicht Libération:

„Diejenigen, die im Urlaub sind, können im Schatten bleiben, aber denen, die im Baugewerbe, in Bars und Restaurants oder auf Feldern arbeiten, fällt es immer schwerer, die Hitze auszuhalten. Da diese Hitzewellen zur Norm werden sollen, muss sich die gesamte Gesellschaft neu organisieren. … Angefangen bei den Arbeitszeiten und -bedingungen. ... Die [französische Eisenbahngesellschaft] SNCF hat beschlossen, im Süden Züge aufgrund der Hitzewelle zu streichen, was Tausenden Unannehmlichkeiten bereitet hat. Wenn man dies im Hinterkopf behält, bekommt man eine Vorstellung vom enormen Ausmaß der Arbeit, die ansteht, um zu bewältigen, was uns und vor allem künftige Generationen erwartet.“

El País (ES) /

Wir brauchen viel mehr Klimaschutzräume

El País sorgt sich aufgrund der Hitze um das Wohlergehen vieler Stadtbewohner:

„Fast 80 Prozent der spanischen Bevölkerung leben in Städten, bei deren Planung nicht berücksichtigt wurde, dass die Hitze sie eines Tages unbewohnbar machen könnte. ... Die Stadtbevölkerung ist praktisch zu Hausarrest verurteilt. ... 33,6 Prozent der Haushalte, vor allem von Geringverdienern, haben im Sommer keinen Zugang zu kühlen Temperaturen. Es bleiben nur die Einkaufszentren. Wir brauchen viel mehr Mut bei der Einrichtung von Klimaschutzräumen, die in 36 der 52 regionalen Hauptstädte fehlen. ... Jedes neue urbane Projekt, das diese Realität nicht berücksichtigt, muss sofort abgelehnt werden.“

La Vanguardia (ES) /

Kühlen mit Feingefühl

La Vanguardia-Redakteurin Silvia Colomé leidet in einem Café in Barcelona nicht unter der Hitze, sondern der Kälte:

„Ich schreibe diese Kolumne in Strickjacke und mit Gänsehaut. … Bevor mir die Finger einfrieren, stelle ich diese häufig wiederkehrende Frage: Muss man Klimaanlagen so niedrig einstellen? Diese Debatte ist längst zu einem typischen Fahrstuhlthema geworden. ... Experten raten, die Geräte auf höchstens sechs bis acht Grad unter Raumtemperatur zu justieren, um einen Temperaturschock zu vermeiden. Normalerweise kommt es nicht zu diesem Extrem, aber Erkältungen und Halsschmerzen sind durchaus an der Tagesordnung. Ein bisschen kühle Luft ist natürlich willkommen, aber in Maßen, zu unserem eigenen Wohl und um die Folgen für die Umwelt zu mildern.“