SOZ-Gipfel: Multilateralismus abseits vom Westen?

Beim Treffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) in Tianjin haben die Staats- und Regierungschefs aus China, Russland und Indien bewusst Geschlossenheit signalisiert. Wladimir Putin und Narendra Modi sprachen ausgiebig unter vier Augen und gingen Hand in Hand auf den Gastgeber Xi Jinping zu, den sie betont herzlich begrüßten. Für Europas Presse hat diese Entwicklung viel mit der Politik aus Washington zu tun.

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Correio da Manhã (PT) /

Antwort auf die Verrücktheiten des US-Präsidenten

Das SOZ-Treffen ist der Beweis, dass eine multilaterale Weltordnung auch ohne Trump existiert, schreibt Correio da Manhã:

„Das Treffen findet in einem Kontext starker Turbulenzen in den internationalen Beziehungen statt und wird als Antwort auf Donald Trump gesehen, den Hauptdestabilisator des Multilateralismus, der mit seinem fehlgeleiteten politischen Vorgehen, China zu isolieren, genau das Gegenteil erreicht. ... Mit den Teilnahmen von Wladimir Putin, Recep Erdoğan, Massud Peseschkian und UN-Generalsekretär António Guterres sendet Peking eine klare Botschaft an Trump, aber auch an Europa: Es gibt einen nicht-westlichen Multilateralismus, der sich als Antwort auf die Verrücktheiten Washingtons verstärkt.“

Mladá fronta dnes (CZ) /

Trump treibt China neue Partner zu

Peking versucht mit Erfolg, Trumps unberechenbare Politik zu seinem Vorteil zu nutzen, analysiert Mladá fronta dnes:

„China schafft es allmählich, das globale Kräfteverhältnis zu verändern und seinen wachsenden wirtschaftlichen und politischen Einfluss in der Welt zu demonstrieren. Trump treibt mit seiner Mobbing-Politik andere Länder in die Arme Chinas. Jüngstes Beispiel ist das Schwergewicht Indien, dessen Präsident sicherlich kein großer Bewunderer Chinas war und ist. Analysten sind sich einig, dass das Verprellen Modis, eines wichtigen strategischen Partners, den Amerika über lange Zeit als Kernstück seiner Strategie zur Eindämmung Chinas kultiviert hatte, ein schwerwiegender Fehler Trumps ist.“

La Repubblica (IT) /

Zurück zum Reich der Mitte

Xi denkt mittel- bis langfristig, analysiert La Repubblica:

„Es besteht keine Eile, denn die Zeit ist auf der Seite Pekings, das sich einen Zeithorizont von zehn Jahren setzt, um wieder zum Reich der Mitte zu werden und das lange Jahrhundert des Westens zu beenden. Um zu verstehen, woher die Überzeugung des Erben Maos hinsichtlich der Unaufhaltsamkeit des eurasischen Plans stammt, muss man bei den Zahlen ansetzen: Die zehn Mitgliedsländer der SOZ machen zusammen 80 Prozent der Landmasse, 40 Prozent der Weltbevölkerung und 22,5 Prozent des BIP aus, das zusammen mit dem der Brics-Staaten – dem ebenfalls von China mitgeleiteten Wirtschaftsbund – mehr als die Hälfte des weltweiten Wohlstands umfasst.“

taz, die tageszeitung (DE) /

Kann sich Europa Moral überhaupt noch leisten?

Für die EU birgt der Gipfel eine bittere Erkenntnis, schreibt die taz:

„Die Volksrepublik [China] wird auf absehbare Zeit nicht von der Seite Russlands rücken, und sie wird sich zunehmend als Gegenmacht zum politischen Westen positionieren. ... Dass Peking einen autoritären, russlandfreundlichen Block anführt, stellt vor allem eins dar: den politischen Mittelfinger an den Westen. Man hätte den Reden Xi Jinpings nur genau zuhören müssen. ... Aus moralischen Gründen täte Europa zwar gut daran, seinen demokratischen Werten treu zu bleiben und die Abhängigkeiten gegenüber China zu begrenzen. Doch mit einem US-Präsidenten, der seinerseits im Rekordtempo sämtliche rechtsstaatliche Prinzipien über Bord wirft, drängt sich natürlich eine ganz realpolitische Frage auf: Kann sich die EU eine gewisse ­Moral überhaupt noch leisten?“

Corriere della Sera (IT) /

Der globale Süden lässt die Muskeln spielen

Peking präsentiert sich als zweiter globaler Machtpol, konstatiert Corriere della Sera:

„Die Anwesenheit von Modi, Putin und unter anderem des türkischen Präsidenten Erdoğan und des iranischen Präsidenten Peseschkian bot Xi die Möglichkeit, seine Idee einer Alternative zur westlichen Weltordnung wieder aufzugreifen. ... Beim Galadinner gestern Abend setzte der chinesische Präsident auf die Konvergenz der Interessen der Länder des 'globalen Südens' und argumentierte, dass die SOZ reif sei, 'große Verantwortung' zu übernehmen und 'Fortschritt und Stabilität für die menschliche Zivilisation' in 'einer neuen Art von internationalen Beziehungen' zu bringen“

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24tv.ua (UA) /

Pekings alternative Weltordnung

Xi Jinping entwirft eine Gegenwelt zum Westen, analysiert Publizist Witalij Portnykow in 24tv.ua:

„Der chinesische Staatschef demonstriert dem US-Präsidenten Donald Trump eine wahrhaft alternative Welt. Eine Welt, in der Sanktionen und Drohungen aus Washington keine Beachtung finden. Eine Welt, in der China – durch den Kauf von russischem oder iranischem Öl – zeigt, dass diese Länder westliche Sanktionen ignorieren können. Eine Welt, in der Waffen an ein Land geliefert werden, das seit Jahren Zivilisten in einem Nachbarstaat tötet. Dass heute faktisch zwei politische und wirtschaftliche Welten existieren, ist uns schon lange bewusst. Wir haben verstanden, dass westliche Sanktionen genau deshalb nicht so wirken können, wie es einst in Washington oder Brüssel erwartet wurde.“

Handelsblatt (DE) /

Bislang nur ein fragiles Mosaik

Noch sind die Konturen des Bündnisses schwer greifbar, schreibt das Handelsblatt:

„Es ist kein Militärbündnis, das man mit Sanktionen oder Abschreckung kontern könnte, sondern ein flexibles Geflecht von wirtschaftlichen Anreizen, politischen Loyalitäten und sicherheitspolitischen Deals. Doch genau darin liegen auch die Schwachstellen. Die Gegensätze zwischen Indien und China, das Misstrauen der zentralasiatischen Republiken gegenüber dem Kreml, der Streit zwischen Pakistan und Indien: All das kann der Westen nutzen, um die Bruchlinien im Bündnis offenzuhalten. Noch ist die SOZ kein monolithischer Block, sondern ein fragiles Mosaik.“

Helsingin Sanomat (FI) /

Keine Liebesbeziehung

Die Annäherung zwischen Indien und China ist von Pragmatismus geprägt, betont Helsingin Sanomat:

„Die Entspannung begann im Oktober 2024. Damals verständigten sich Xi und Modi auf Erleichterungen bei der Visaerteilung und im Handel. … Es ist keine Liebesbeziehung, sondern eine pragmatische Zwangsehe, in der man schamlos fremdgeht und es keine Garantie für Beständigkeit gibt. China ist nämlich ein strategischer Verbündeter des islamischen Staates Pakistans und Pakistan wiederum ist Indiens Erbfeind. Als die Atommächte Indien und Pakistan im Mai eine Woche lang einen kriegsähnlichen Konflikt austrugen, stand China zumindest im Hintergrund auf Pakistans Seite.“

Visão (PT) /

Im kleinen Kreis der Stalinisten

Zur Militärparade am Mittwoch, bei der China dem Sieg über Japan vor 80 Jahren gedenkt und an der neben Putin auch der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un teilnehmen soll, schreibt Visão:

„Xi ist der Wolf im Schafspelz. Er lächelt, winkt, aber er ist der neue Kaiser. Putin ist weiterhin der wankelmütige Kosake – clever, berechnend, aber mit immer leereren Taschen. Kim ist der gefährliche Angeber, der von Peking unterstützt wird. Drei Männer, drei Stalinisten. Oder besser gesagt, die Version von Stalin im jeweiligen Director's-Cut-Modus. ... Xi wird nicht aufmarschieren, um irgendjemanden zu ehren. Er wird seine Muskeln spielen lassen. Um Angst zu verbreiten. Bei den Gästen, in Washington, bei der Nato.“

Jutarnji list (HR) /

Ein geeinter Gegenpol

Jutarnji list fasst zusammen:

„Mit den angereisten Gästen und durch diplomatische Finessen und PR-Taktik will das chinesische Regime drei Botschaften senden: Erstens, dass die Herausforderer der jahrzehntelang vom Westen dominierten Weltordnung stabile Einigkeit vereint, da ihr Verhältnis auf Vertrauen und Dialog aufbaut – im Gegensatz zur aggressiven und einseitigen Dominanz des Westens gegenüber den 'kleineren' und 'schwächeren'. Zweitens symbolisieren die Teilnahmen von Putin und Kim Jong-un [an der Militärparade am Mittwoch in Peking] die tiefe politische und militärische Kohäsion von China, Russland und Nordkorea; eines Verteidigungsblockes, der sich mit gemeinsamen Kräften gegen die Dominanz der Nato stellt. Und drittens möchte Xi (das starke) China als führenden Stabilisator in einer fragmentierten und turbulenten Welt präsentieren.“