EU: Ende der klaren Linie beim Verbrenner-Aus?

Die EU-Kommission könnte von ihrem geplanten Verbot von Verbrenner-Autos ab 2035 abrücken: Verkehrskommissar Apostolos Tzitzikostas erklärte sich in einem Interview mit dem Handelsblatt "offen für alle Technologien". Zuvor hatte Bundeskanzler Friedrich Merz in einem Brief an Brüssel darum gebeten, über Hybridautos hinaus auch "hocheffiziente" Verbrenner weiter zuzulassen. Kommentatoren sehen klare Pros und Kontras.

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Frankfurter Rundschau (DE) /

Ein Signal der Verunsicherung

Die Frankfurter Rundschau kritisiert den deutschen Vorstoß:

„Die Bundesregierung hat es geschafft, die europäischen Autos – und damit einen zentralen Teil der Klimapolitik – neu zu justieren: Richtung Vergangenheit. Anstatt mit dem 2022 beschlossenen Aus für neue Verbrennungsmotoren ab 2035 Industrie und Kundschaft eine klare Linie vorzugeben, wird die Regelung wieder geöffnet. Verkauft wird das mit besagter 'Technologieoffenheit'. Tatsächlich ist es ein politisches Signal der Verunsicherung. ... Wird der Verbrenner politisch am Leben gehalten, entsteht eine fatale Logik: Warum sich umorientieren, wenn die alte Technik doch weiter eine Zukunft haben soll? Das bremst den nötigen Umstieg.“

Handelsblatt (DE) /

Verbote machen die Wirtschaft platt

Jetzt geht es darum, wirtschaftlich zu retten, was zu retten ist, betont das Handelsblatt:

„Das ist eine gute Nachricht aus Brüssel in einer Zeit, in der Deutschland täglich den freien Fall seiner Wirtschaft erlebt. Im Wochentakt geben Autozulieferer auf, Produktionsstandorte werden geschlossen, Fachkräfte wandern ab, und ganze Wertschöpfungsketten geraten ins Wanken. Allein in den vergangenen Monaten wurden nach Branchenschätzungen rund 12.000 Stellen in der Fahrzeug- und Zulieferindustrie abgebaut. Das dürfte nicht das Ende sein. ... Jetzt geht es darum, wirtschaftlich zu retten, was zu retten ist. Aber mit strammen Verboten und Enddaten macht man die Wirtschaft platt.“

Weltwoche (CH) /

Spät, ruckartig, aber immerhin

Die Weltwoche begrüßt den Kurswechsel in Brüssel:

„Ein Brief aus Berlin hat den Stein ins Rollen gebracht: Friedrich Merz flehte darin seine CDU-Parteikollegin und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an, die Regeln zu lockern, damit die Industrie nicht kollabiert. ... Was für eine Enthüllung: Brüssel kann zuhören. Jedenfalls wenn es brennt. Und wenn der Rauch bis in die Kommissionsgebäude zieht. Die EU rettet jetzt das, was sie selbst zuvor beinahe ruiniert hat. Jahrelang hat Brüssel die Autoindustrie mit ideologischer Überhitzung an den Rand des Motorschadens gefahren. Jetzt tritt die Kommission auf die Bremse. Ihre neue Offenheit für Verbrenner ist damit kein Fortschritt, sondern eine Notbremsung – spät, ruckartig, aber immerhin.“

Der Standard (AT) /

Zukunft der Autoindustrie ist elektrisch

Selbst ohne fixes Datum für das Verbrenner-Aus werden sich E-Autos durchsetzen, meint Der Standard:

„Die Zukunft der Autoindustrie ist elektrisch, das stellen weder Verkehrsexperten noch führende Autobauer infrage. Weil Batterien immer günstiger werden, können E-Autos mit Verbrennern preislich mithalten, sie sind im Betrieb etwas günstiger und der Fahrspaß ist größer. Der Verkauf rein batterieelektrischer Autos liegt heuer europaweit um 30 Prozent höher als 2024. China, der wichtigste Automarkt, elektrisiert rasant. ... Die Tage des Verbrenners sind also auch ohne Ausstiegsdatum gezählt.“

Les Echos (FR) /

Ziel muss beibehalten werden

Das Verbrenner-Aus bis 2035 ist zentral zur Sicherung der künftigen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Autobranche, betont Benoît Leguet vom Institut für Klimaökonomie I4CE in Les Echos:

„Eine Abschwächung des Ziels für 2035 würde diesen Wandel verzögern und all jene Anstrengungen gefährden, die unternommen wurden, um die Produktionskette für Elektrofahrzeuge aufzubauen – insbesondere in Frankreich. Daher muss dieses Ziel beibehalten werden, und es müssen die Mittel dafür bereitgestellt werden, um es in Europa und in Frankreich zu erreichen. Durch Beibehaltung jener Maßnahmen, die die europäischen Autobauer vor der Konkurrenz bei E-Autos schützen. Und durch die weitere Stützung der Nachfrage nach Stromern mittels finanzieller und steuerlicher Anreize.“