Brüssel beziffert Flüchtlingsquoten

Die EU-Kommission hat am Mittwoch ihre Pläne für Flüchtlingsquoten konkretisiert. 40.000 Menschen sollen aus Griechenland und Italien in andere Länder umgesiedelt werden. Der Widerstand vieler Länder gegen die Aufnahme von Migranten ist egoistisch, kritisieren einige Kommentatoren. Andere meinen, die Zahl der Einwanderer könnte kleine Länder überfordern.

Alle Zitate öffnen/schließen
Õhtuleht (EE) /

1000 Flüchtlinge sind zu viel für Estland

Laut Vorschlag der EU-Kommission müsste Estland in einem Jahr mehr als 1000 Flüchtlinge aus dem Mittelmeerraum aufnehmen. Die Boulevardzeitung Õhtuleht fürchtet, dass die Gesellschaft dazu nicht bereit ist: "Die Zahl von Neuankömmlingen in der Größe einer Kleinstadt würde sowohl unser Sozialsystem als auch die Empathie des Volkes herausfordern. Bei der Lösung des Flüchtlingsproblems sollten keine neuen Spannungen und Sorgen in den Mitgliedstaaten geschaffen werden. Leider berücksichtigt der Vorschlag der EU-Kommission nicht im Geringsten die praktische Fähigkeit unseres Landes, die Flüchtlinge aufzunehmen. Die EU-Kommission hat für Estland 1.76 Prozent der Flüchtlinge vorgeschlagen, wobei die Bevölkerung Estlands nur 0.26 Prozent der EU ausmacht. Die sieben Mal höhere Flüchtlingsquote zeigt, dass Brüssel unsere Fähigkeit höher einschätzt als wir selbst."

Večer (SI) /

Einige Hundert überfordern Slowenien nicht

Slowenien müsste nach der Quotenregelung rund 700 Flüchtlinge aufnehmen. Die liberale Tageszeitung Večer findet das machbar: "Ob der slowenische Staat 700 Flüchtlinge aufnehmen kann, ist natürlich eine rhetorische Frage. In Zeiten der Kriege auf dem Balkan waren wir trotz schlechterem Lebensstandard in der Lage, hundert Mal mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Wenn uns die Politiker erklären wollen, dass die aktuelle Zahl zu hoch für unser angeschlagenes Land ist, dann müssen wir uns ernsthaft Sorgen machen. In der nächsten Phase wird den Politikern dann nämlich die Sorge um die eigenen Bürger zu viel. Allerdings können einige hundert unglückliche Seelen, die nicht der slowenischen Kultur und nicht dem christlichen Glauben angehören, auch ein erneutes Aufkeimen von politischem Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit hervorrufen. Die slowenische politische Kultur ist dagegen noch lange nicht immun."

Lidové noviny (CZ) /

Prag in Flüchtlingsfrage unsolidarisch

Tschechien soll nach dem Vorschlag der EU-Kommission knapp zweitausend Flüchtlinge aufnehmen. Doch nahezu die komplette politische Klasse in Prag lehnt das vehement ab, klagt die konservative Lidové noviny: "Die Parteien rufen beinahe einmütig, Quoten seien keine Lösung. Aber leider sagt niemand, wie eine Lösung aussehen soll. Und das in einem Land, aus dem Exilanten in mehreren großen Wellen flüchteten und das in den vergangenen zehn Jahren von den übrigen europäischen Ländern umgerechnet 15 Milliarden Euro Hilfe bekommen hat. ... Wir sind innerhalb der EU weder ein kleines noch ein armes Land. ... Wenn wir Quoten prinzipiell ablehnen, dann müssen wir auch sagen, welche Lösung wir anbieten. Schicken wir unsere Soldaten ins Mittelmeer? Sind wir bereit, Flüchtlingslager an der afrikanischen Küste aufzubauen? Das sind keine provokativen oder rein rhetorischen Fragen. Sie wären es nur dann, wenn wir uns entschieden hätten, in Europa als blinde Passagiere aufzutreten."

Die Presse (AT) /

Osteuropas Regierungen sind kurzsichtig

Die Staaten der EU gehen an die Flüchtlingsproblematik viel zu kurzsichtig heran, kritisiert die liberal-konservative Tageszeitung Die Presse: "Wer weiter denkt - und das sollten auch jene osteuropäischen Länder tun, die sich aktuell gegen die Aufteilung von Flüchtlingen zur Wehr setzen -, muss die politischen Entwicklungen in der Ukraine und in anderen ehemaligen Sowjetrepubliken im Auge haben. Was, wenn sich dort der Krieg ausweitet, wenn Millionen Menschen aus diesen Ländern Richtung EU fliehen? Dann werden Polen, die Slowakei und Ungarn plötzlich von Flüchtlingswellen überrollt werden und jene Solidarität erbitten, die sie jetzt ablehnen. Heute heißt es, die EU soll sich nicht zu viel in dieser Region einmischen. Möglicherweise wird es dann heißen, die EU habe zu wenig zur Befriedung dieser Länder beigetragen."