Nach Misstrauensvotum: May, die Unerschütterliche?

Mit 200 zu 117 Stimmen hat Theresa May das Misstrauensvotum innerhalb ihrer Fraktion für sich entschieden. Doch noch immer ist unklar, was aus Mays Brexit-Deal mit der EU wird. Dass sie dennoch standhaft bei ihrer Linie bleibt, registrieren einige Kommentatoren mit Unverständnis, andere mit Respekt.

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Deutsche Welle (RO) /

May und Merkel - Schwestern im Geiste

Die Sturheit zweier europäischer Frauen ist schuld daran, dass der Brexit sich so dramatisch zugespitzt hat, findet der Rumänische Dienst der Deutschen Welle:

„Ehrlicher und bescheidener als die Verschiebung des feierlich versprochenen Parlamentsvotums wäre es gewesen, wenn sich Theresa May ihre Grenzen eingestanden, ihre Karriere beendet und der Demokratie damit einen letzten Dienst erwiesen hätte. ... Doch Rationalität und Bescheidenheit sind trotz ihrer Erscheinung nicht ihre Stärke. So wie auch die der deutschen Kanzlerin nicht. Die - würde sie Europa lieben, so wie sie immer vorgibt - hätte einem freundlichen Ausscheiden Großbritanniens eine wirkliche Chance geben müssen. ... Es wird zu einem Gutteil an diesen beiden europäischen Regierenden liegen, wenn der Brexit, den keine von beiden wollte, zu einer grausamen Scheidung wird.“

tagesschau.de (DE) /

Jetzt bitte alles auf eine Karte

Von der Zähigkeit Mays beeindruckt zeigt sich hingegen der Journalist Björn Staschen auf tagesschau.de:

„May kann es eigentlich nur falsch machen - aber das macht sie ziemlich gut. Ich habe hier schon zweimal gestanden und gesagt: Das ist der Anfang vom Ende der Premierministerin. Ich habe mich geirrt: Sie ist die einzige, die fest zu ihrem Plan steht. ... Die Brexit-Frage lässt sich nicht mehr durch Vermittlung lösen. Zu tief haben beide Seiten ihre Gräben ausgehoben, als dass sie sich darüber noch die Hand reichen könnten. May muss nun zuspitzen. Entweder, sie schlägt sich auf die Seite derer, die ein zweites Referendum fordern, oder sie geht sehenden Auges in den harten Brexit. Dazwischen bleibt nur Verschiebung, Machtkampf und Geschacher. Also bitte: alles auf eine Karte.“

De Telegraaf (NL) /

Fantasielos, doch mit einem Rückgrat aus Stahl

Der London-Korrespondent von De Telegraaf, Joost van Mierlo, zeichnet ein dialektisches Bild von Mays Persönlichkeit:

„Die stoische Gelassenheit ist zugleich ihre Schwäche. May kann sich schlicht nicht vorstellen, dass sie mit der von ihr gewählten Herangehensweise nicht Recht hat. Die für Politiker notwendige Flexibilität fehlt ihr völlig. Das ist ihre Achillesferse, aber vielleicht auch ihre Rettung. Ihre Standhaftigkeit beruht auf Pflichtbewusstsein und Fantasielosigkeit. Sie ist verantwortlich für das Wohl des Landes, und sie kann sich nicht vorstellen, dass jemand anderes das auch sein könnte. Daraus schöpft sie die Energie, trotz aller Erniedrigungen weiterzumachen. Sie erscheint zerbrechlich, aber ihr Rückgrat ist aus Stahl.“

Jyllands-Posten (DK) /

Unmittelbare Katastrophe abgewendet

Jyllands-Posten zollt Theresa May Respekt:

„Die Unterstützung, die sie Mittwochabend erfuhr, war schön, aber nicht überwältigend. Sie hat mitgeteilt, dass sie bei der nächsten Wahl nicht wieder kandidieren wird. Aber es ist imponierend, dass sie die Last weiterhin trägt. Es wird nicht leicht werden. Mehr als ein paar symbolische Zugeständnisse von der EU kann sie nicht erwarten. Vielleicht ein paar freundliche Worte in einem Zusatz zum Austrittstext, mehr aber auch nicht. ... Aber die unmittelbare Katastrophe ist abgewendet. Das sollten alle, die etwas von Großbritannien halten, begrüßen.“

El Periódico de Catalunya (ES) /

Hardliner ohne Bezug zur Realität

Die Hardliner unter den Tories haben sich in eine Sackgasse manövriert, findet El Periódico de Catalunya:

„Die Antreiber des Misstrauensvotums haben May herausgefordert und damit die chaotischen Verhältnisse bei den Tories aufgedeckt, einer geschwächten und gespaltenen Partei. ... Dieser Flügel wird sich aber weder mit dem gestrigen Ergebnis zufriedengeben noch mit Mays Ankündigung, sie werde bei den kommenden Wahlen nicht antreten. ... Anscheinend verstehen die Ultrakonservativen nicht, dass der Brexit kein Abkommen mit May ist. Er ist ein Abkommen mit ihrer Regierung. Und die Grenzfrage mit Irland, die bei den radikalen Antieuropäern so umstritten ist, wird bleiben.“

The Guardian (GB) /

Wie dumm kann man sein?

Auch Kolumnistin Polly Toynbee sieht May gestärkt, wie sie in The Guardian schreibt:

„Verglichen mit ihren Feinden ist Theresa May ein strategisches Genie. Geblendet von Wut und Raserei konnten diese Unbeherrschten nicht ihrem Drang widerstehen, die Vertrauensabstimmung vom Zaun zu brechen, ohne darauf zu warten, dass sie genug Unterstützung unter den Abgeordneten haben, um die Regierungschefin zu stürzen. Was für Idioten! ... [Die prominenten Tory-EU-Kritiker] Jacob Rees-Mogg und Boris Johnson sind nun geschwächt, hoffentlich werden wir sie künftig weniger oft auf unseren Fernsehschirmen sehen. Ihre Dummheit hat die dem politischen Tod geweihte Premierministerin wiederbelebt und ihr neue Glaubwürdigkeit verliehen. ... May selbst, aber auch ihr Brexit-Plan erhalten damit neuen Auftrieb.“

Corriere del Ticino (CH) /

Weicher Brexit rückt in weite Ferne

Die im ausgehandelten Brexit-Deal noch relativ weiche Variante eines EU-Austritts könnte jetzt endgültig gestorben sein, meint hingegen Kolumnist Gerardo Morina in Corriere del Ticino:

„Das Brexit-Kapitel bleibt offen. Selbst wenn May in Brüssel einige Nachbesserungen der aktuellen Bestimmungen erreicht, sind Neuverhandlungen über den Brexit ausgeschlossen. Somit scheint der Handlungsspielraum eher klein bemessen, während das Szenario eines 'No Deal' längst nicht abgewendet ist. ... Ein Alptraum für London und ein tragisches Ergebnis auch für diejenigen, die sich, wie May selbst, eine 'softe' Lösung gewünscht hätten. ... Aber diese Lösung wird seit jeher von den Hardlinern in ihrer eigenen Partei abgelehnt.“