Rechtsextremismus: Mord erschüttert Deutschland

Rund drei Wochen nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat der Verdächtige Stephan E. die Tat gestanden. Er habe aus Empörung über Lübckes Äußerungen zur Flüchtlingspolitik als Einzeltäter gehandelt. Stephan E. soll Kontakte in die rechtsextreme Szene gehabt haben. Wie konnte es zu dem Mord kommen?

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taz, die tageszeitung (DE) /

Auf dem rechten Auge immer noch blind

Der Kampf gegen Rechtsextremismus wird immer noch nicht ausreichend ernst genommen, kritisiert die taz:

„Mehr Geld, mehr Know-how, mehr politischer Wille muss in seine Bekämpfung fließen - und vor allem in die Aufklärung neonazistischer Strukturen, die viel zu lange vernachlässigt wurde. Stattdessen ist wieder einmal die Rede vom Einzeltäter, die auch schon beim Umgang mit dem vermeintlichen NSU-'Trio' verhindert hat, das Netzwerk der TerroristInnen besser auszuleuchten. ... Die Gefahr durch Rechtsterrorismus stand nicht einmal bei der Innenministerkonferenz oben auf der Agenda. Stattdessen wollte Seehofer über Abschiebungen nach Afghanistan und Clan-Kriminalität diskutieren. Da war Walter Lübcke seit zehn Tagen tot und zumindest der Verdacht auf einen rechtsextremen Hintergrund existierte bereits.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Enthemmte Sprache kann zum Morden führen

Die AfD trägt mit ihrer Sprache eine Mitschuld daran, dass rechte Täter zu Gewalt greifen, meint die Neue Zürcher Zeitung:

„Es reicht, sich die täglichen Kommentare der Partei auf Facebook anzuschauen, ihrem wichtigsten Kommunikationskanal. ... Die Kommunikation der AfD erinnert an eine vollgeschmierte Klowand. ... Eine enthemmte Sprache macht aus denen, die sie benutzen, keine Mörder. Aber sie kann Mörder machen. ... Wenn ein ohnehin schon radikalisierter Kopf am laufenden Band hört und liest, dass das eigene Land ein Unrechtsstaat sei und die Repräsentanten diktatorische Darsteller, dann kann er durchaus auf den Gedanken kommen, dass seine Pläne zum Widerstand ... berechtigt sein könnten. Kein Mensch weiss bis jetzt, welche Faktoren Stephan E. letztlich zum Mörder gemacht haben. Aber vermutlich wird auch er auf Facebook oder in anderen sozialen Netzwerken unterwegs gewesen sein.“

Financial Times (GB) /

Deutsche Demokratie steht auf dem Spiel

Dass sich die CDU nicht von der AfD distanzieren will, könnte sich für die Partei und ganz Deutschland noch bitter rächen, warnt Financial Times:

„Die CDU-Führung unter Annegret Kramp-Karrenbauer hat Koalitionen mit der AfD kategorisch ausgeschlossen, und doch vergeht kein Tag ohne parteiinternes Geplänkel zu dem Thema. Wer die volle Bedeutung dieses kaltblütigen Mordes richtig einordnen möchte, muss anerkennen, dass hier mehr auf dem Spiel steht als die Zukunft der Partei oder deren Fähigkeit und Möglichkeit zu regieren. Es geht um die Zukunft der deutschen Demokratie - die beste, die das Land je hatte. Das muss jeder und jedem Deutschen ein ernstes Anliegen sein. Für die CDU geht es um die eigene Ehre und vielleicht sogar ums Überleben.“

La Stampa (IT) /

Blutspur zieht sich durch Europa

Vor Lübcke gab es weitere Politiker, die zum Opfer der Rechten wurden, erinnert der Diplomat Michele Valensise in La Stampa:

„Vom Tod der Labour-Abgeordneten Jo Cox, die in Leeds Opfer eines britischen Neonazis am Vorabend des Brexit-Referendums wurde, über die Ermordung des Bürgermeisters von Danzig, Pawel Adamowicz, zu Beginn des Jahres, bis zum Fall Lübcke. Wie der deutsche Politiker kämpften auch die beiden anderen für die Einhaltung der Rechte und Solidarität, sie wurden zum roten Tuch für intolerante und nationalistische Fanatiker in verschiedenen europäischen Ländern. Der gewalttätige Radikalismus der extremen Rechten ist nach Deutschland zurückgekehrt. ... Seit der Wiedervereinigung sind mehr als 150 Menschen Opfer von Angriffen Rechtsextremer geworden, und der Angriff auf Lübcke ist der erste politische Mord seit 1949.“