Kann Draghis Geldspritze die Konjunktur retten?

Kurz vor dem Ende der Amtszeit von Mario Draghi hat die EZB ihr Anleihekaufprogramm wieder aufgenommen. Den Leitzins beließ sie zudem bei null Prozent. Draghi forderte von den Eurostaaten Investitionen, um die Konjunkturschwäche abzuwenden. Während sich einige Kommentatoren über diese Anreize freuen, verweisen andere auf negative Effekte der lockeren Geldpolitik.

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De Morgen (BE) /

Jetzt ist die richtige Zeit für Investitionen

De Morgen freut sich, dass Draghi die Regierungen anspornt, zu investieren:

„Unsere Wirtschaft und unser Energiesektor müssen grüner werden. ... Das erfordert enorme Anstrengungen, und wann sollte man das besser tun können als jetzt, da Staaten für 30 Jahre gratis Geld leihen können? ... Auch unsere öffentliche Infrastruktur schreit nach Modernisierung. Von verrottenden Betonbrücken und Straßen bis zu überalterten Krankenhäusern, Schulen und Sozialwohnungen. ... Die internationale Zusammenarbeit braucht mehr Geld, um die südlichen Volkswirtschaften zu stabilisieren und die chaotische Migration umzuformen zu einer Arbeitsmobilität, die einen Win-Win-Effekt hat. Und mit gezielter Staatsunterstützung kann man den öffentlichen Arbeitnehmern - Pflegepersonal, Lehrern, Polizisten, Soldaten - endlich guten Lohn für ihre Arbeit geben.“

Financial Times (GB) /

Schluss mit der deutschen Sparpolitik

Nach der EZB ist jetzt vor allem die Regierung in Berlin gefordert, die Wirtschaft in Europa anzukurbeln, appelliert die FT:

„Es gab für Europa selten einen besseren Zeitpunkt, um in seine Zukunft zu investieren. Es gibt keine Inflation mehr, dafür überall in Deutschland Haushaltsüberschüsse - bei Bund, Ländern und Gemeinden. Kredite kosten nichts. ... Wenn eine Rezession zu einer tiefen Krise der Eurozone führte, würde Berlin natürlich handeln. Unter diesen Umständen wäre es viel leichter, Maßnahmen politisch zu verkaufen. Doch wir sollten nicht davon ausgehen, dass Deutschland die Feuerwehr schickt, bevor wir es mit einem Großbrand zu tun haben.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Gift für die Volkswirtschaften

Die Geldpolitik der EZB wird dramatische Folgen haben, warnt die Neue Zürcher Zeitung:

„Einmal mehr fühlt man sich beim Blick auf Europas Geldpolitik an Paracelsus erinnert. Der Schweizer Naturphilosoph erkannte schon im 16. Jahrhundert, dass die Dosis entscheidet, ob ein Mittel zum Gift wird. Eine kleine Schmerztablette kann heilsame Wirkung haben, das Schlucken einer ganzen Packung aber zum Tod führen. Bei der Geldpolitik im Euroraum ist es ähnlich. Deren wohltätige Wirkung nimmt zusehends ab, je aggressiver sie eingesetzt wird; es profitieren bald nur noch die Aktienanleger, Hausbesitzer, Schuldner. Die Volkswirtschaft als Ganzes leidet hingegen unter den Nebenfolgen. Die anfänglich heilsame Medizin verkommt zum Gift.“

Wiener Zeitung (AT) /

Undemokratische Umverteilung

Zehn Jahre Nullzinspolitik unter Mario Draghi haben die Reichen reicher und die Armen ärmer gemacht, resümiert Christian Ortner in der Wiener Zeitung die Amtszeit des Italieners als EZB-Chef:

„Das Verrückte daran: Diese enorme Umverteilung ist nicht im Geringsten das Ergebnis eines demokratischen Prozesses, sondern einer bürokratischen Entscheidung geschuldet - jener der EZB-Spitzenorgane, die keinem Parlament verantwortlich sind. Es ist schon bemerkenswert: Jede noch so kleine Erhöhung einer Steuer bedarf in der Demokratie selbstverständlich einer Abstimmung im Parlament - über die gewaltige Umverteilungspolitik der EZB hingegen hat keine demokratisch dazu legitimierte Instanz je abgestimmt oder auch nur diskutiert. Sie wurde stattdessen dekretiert. Einfach so, weil die EZB das kann.“