Heiter bis wolkig: Die EU im Jahr 2021

Viele Beobachter sehen die EU 2021 in eine neue Phase eintreten: Mit dem Wiederaufbaufonds, der Einigung auf Klimaziele im Dezember und der gemeinsamen Impfstrategie sei eine wichtige Basis gelegt worden, um künftig enger zusammenzuhalten. Stimmen aus Frankreich sehen die aktuelle Entwicklung allerdings skeptisch, insbesondere was Deutschland anbelangt.

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Le Figaro (FR) /

Die EU rutscht nach links

Bei ihrer Gründung war die EU ein Mitte-konservatives Projekt, meint der Wirtschaftsexperte Bruno Alomar in Le Figaro, doch das hat sich geändert:

„Mit der Annahme des Prinzips der Vergemeinschaftung der europäischen Schulden im Jahr 2020 hat Deutschland dem Druck der südeuropäischen Länder endgültig nachgegeben. Es ist ironisch, dass im Jahr 2020, als man sich über den relativ guten Zustand der deutschen Staatsfinanzen freute, die als Schirm für die gesamte Eurozone fungieren, dieselben Leute sich auch darüber freuten, dass Frau Merkel endlich beschlossen hat, das aufzugeben, was Deutschland so erfolgreich gemacht hat. ... Das Gravitationszentrum der EU, ob wir es gut finden oder nicht, verschiebt sich nach links und in Richtung der südwesteuropäischen Länder. Ist es ein Wunder, dass die Briten beschlossen haben, die EU zu verlassen?“

L'Opinion (FR) /

Deutschlands Stärke schwächt Europa

Finanzexperte Emmanuel Sales macht sich in L'Opinion Gedanken über die künftigen Rollen von Berlin und Paris:

„Deutschland könnte versucht sein, einen eher autarken und kontinentalen Weg einzuschlagen. ... Infolge der anhaltenden Pandemie wird sich die fiskalische Situation in den südeuropäischen Ländern weiter verschlechtern. Das 750-Milliarden-Euro-Konjunkturprogramm wird erst spät Wirkung zeigen. Das Eurosystem wird daher weiterhin den Großteil der Staatsschulden der südeuropäischen Länder übernehmen müssen. Es wird also immer schwieriger werden, die deutsche Öffentlichkeit, stolz auf die eigene strikte Haushaltspolitik, von den Vorteilen ihrer Mitgliedschaft in der Union zu überzeugen. Es wird die ganze Kraft Frankreichs brauchen, um Europa zu einer gemeinsamen Politik zu vereinen und das Gefühl einer Schicksalsgemeinschaft wiederzuerlangen.“

De Volkskrant (NL) /

Starkes Fundament für fragiles Bauwerk

Europa ist gestärkt aus dem Krisenjahr 2020 gekommen, analysiert De Volkskrant und nennt die Abkommen zum Wiederaufbaufonds, den Klimazielen und zum Brexit gute Grundsteine für die Zukunft:

„Doch sie sind nicht mehr als ein Fundament. Das echte Bauwerk muss in den nächsten Jahren eine klare Form erhalten. Dabei müssen die Bruchlinien der Union verspachtelt werden - oder sie dürfen zumindest nicht vertieft werden. Die Bruchlinie zwischen Nord und Süd: Der Wiederaufbaufonds muss die Wirtschaft in Südeuropa stärken, so dass der Süden dem Wettbewerb mit Nordeuropa gewachsen ist. ... Die Bruchlinie zwischen Ost und West: Der Zusammenhalt der Europäischen Union wird schwer beschädigt, da vor allem Polen und Ungarn demokratische Prinzipien wie eine freie Presse oder eine unabhängige Justiz ignorieren. Darum muss man sich dringend energischer kümmern, mit alten und neuen Instrumenten, wie dem Rechtsstaatsmechanismus.“

Právo (CZ) /

In unsicherem Fahrwasser

Der Abtritt Angela Merkels aus der Politik könnte für die EU Komplikationen mit sich bringen, meint Právo:

„Merkel hat das Schiff gut durch die Wellen der globalen und europäischen Politik gesteuert. Ihr gelang es, pragmatische Beziehungen zu Russland und China zu erhalten, die so wichtig für die deutsche Wirtschaft sind. Beispielhaft dafür stehen Nord Stream 2 oder das Investitionsabkommen zwischen der EU und China. ... Wer wird nach Merkel in Europa den Ton angeben? Zweifellos wird das Macron versuchen. Auch deshalb, um Punkte vor der französischen Präsidentschaftswahl 2022 zu sammeln. Wird das zu einer Reibungsfläche zwischen Berlin und Paris, die die ganze EU beeinflusst?“

El País (ES) /

Zusammenwachsen klappt nur mit Bürgerbeteiligung

Eine Gruppe europäischer Denker hat einen Aufruf des Thinktanks Civico Europa unterzeichnet, der eine Demokratisierung der EU fordert und den El País veröffentlicht:

„Der EU ist es gelungen, an ihren Herausforderungen zu wachsen, um ihre Resilienz zu stärken und ihre Bürger besser zu schützen. ... Diese neue Etappe ist aber wieder einmal nur dann realistisch, wenn die EU-Bürger das europäische Projekt zu ihrem eigenen machen, indem der kontinuierliche demokratische Entscheidungsprozess institutionalisiert wird, transparent und inklusiv abläuft und auch die Umsetzung der Beschlüsse garantiert ist. Das ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass die EU ein Gemeinschaftsprojekt von uns allen wird. Dieses Ziel ist zwar schwer erreichbar, aber der aktuelle Kontext ist günstig, sowohl auf europäischer Ebene als auch weltweit.“

Magyar Nemzet (HU) /

Weniger Provokation, mehr Zusammenhalt

Die regierungsnahe Tageszeitung Magyar Nemzet fordert weniger scharfe Kritik an Ungarn in der EU:

„Es lässt sich deutlich erkennen, dass nach dem Austritt des stärksten Nato-Mitgliedstaats Europas und aufgrund des von der Pandemie verursachten wirtschaftlichen Abschwungs der Zusammenhalt der EU-Mitgliedstaaten wichtiger ist denn je. Die EU muss eine wirtschaftliche und militärische Autarkie erreichen. ... Doch die Philosophie, die heute den europäischen politischen Mainstream prägt, bleibt so bizarr, wie sie es das ganze vergangene Jahr über war. Statt Kooperation scheinen die Konfrontation und die Provokation die Hauptlinien dieser Politik zu sein, was sogar inmitten der größten Krise zu überflüssigen politischen Streitigkeiten führte.“