Ungarn: Orbán plant Referendum über LGBT-Gesetz

Ungarns Premier Orbán will die Bürger über das umstrittene Anti-LGBT-Gesetz abstimmen lassen, das zu einem Vertragsverletzungsverfahren seitens der EU geführt hat. Die Frage ist, ob Eltern Sexualkunde zustimmen müssen und ob Minderjährigen Informationen zu Homo- und Transsexualität sowie geschlechtsangleichende Behandlungen zugänglich sein sollen. Mit Kinderschutz hat das alles nichts zu tun, meinen Kommentatoren.

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Adevărul (RO) /

Es geht um die nächste Wahl

Dies ist nicht das erste Mal, dass Ungarns Premier vor einer Wahl ein Referendum ankündigt, erinnert der LGBT-Aktivist Vlad Viski in Adevărul:

„In der Vergangenheit hat Orbán ein Referendum gegen Einwanderer und ein anderes gegen [den ungarischstämmigen US-Milliardär] George Soros um wichtige Wahlmomente herum platziert. Die Opposition hat den Fidesz von Orbán in Budapest bereits überholt und der Verlust der Budapester Stadtverwaltung bei den Lokalwahlen 2019 an den Gergely Karácsony von einer geeinten Oppositionsliste zeigt, dass Orbáns Macht ins Wanken gerät. Dass für dieses Jahr angekündigte Referendum hat eine neue Polarisierung der Wählerschaft zum Ziel und eine Aktivierung von Orbáns Anhängern.“

Sydsvenskan (SE) /

Scheindemokratie zur Ablenkung

Orbáns Vorschlag für ein Referendum ist ziemlich listig, findet Sydsvenskan:

„Es verleiht dem Gesetz den Anschein von Legitimität und ihm selbst den Anschein, sich um den Volkswillen zu sorgen. Und das Referendum lenkt von lästigen Fragen ab: Zum Beispiel davon, dass sich die EU-Kommission um Korruption in Ungarn sorgt und deshalb zögert, die rund sieben Milliarden Euro auszuzahlen, die das Land aus dem Pandemie-Wiederaufbaufonds angefordert hat. Aber Orbáns Schachzug zeigt auch, dass Volksabstimmungen zutiefst ungeeignet sind, wenn es darum geht, Gesetze für Minderheitenrechte zu schaffen. Es ist keine Demokratie, wenn fünf Wölfe und ein Lamm darüber abstimmen, was es zu Mittag gibt.“

Diena (LV) /

Volksabstimmungen sind eine echte Gefahr

Diena sagt eine Katastrophe für Europa voraus, sollte Ungarns Beispiel in Polen, Griechenland und Bulgarien Schule machen:

„Schon die Möglichkeit eines Referendums reicht als Grund, damit der pragmatische Teil der Brüsseler Bürokratie sich beeilt und nach einem Kompromiss mit Budapest sucht. Denn erstens kann man ein Referendum nicht einfach ignorieren, und zweitens wird Ungarn mit großer Wahrscheinlichkeit Gleichgesinnte in Osteuropa und auf dem Balkan haben. Es gibt mehrere Länder, wie Polen, Griechenland und Bulgarien, in denen diese Art von Referendum nur etwas politischen Willen erfordert. Und wenn dieser politische Wille einmal auftaucht, wäre das eine Katastrophe für die Ideologie des ultraliberalen Europa und das darauf basierende Konzept eines vereinten Europa.“

Válasz Online (HU) /

Politischer Kindesmissbrauch

Ungarns Regierung benutzt Kinder als politisches Instrument, beklagt Válasz Online:

„Die Regierung will kein einziges Kind schützen, sondern sie hat sie einfach nur zum Machtinstrument, zum Bezugspunkt in einem hässlichen Machtspiel gemacht. Wenn es so etwas wie politische Pädophilie gibt, dann ist sie hier zu sehen. Wie in aller Welt sollte man es sonst nennen, wenn ein Politiker Minderjährige nutzt und objektiviert, um seine eigenen Wünsche zu erfüllen? Genau das ist passiert, als Orbán angekündigt hat, dass er 'ein Referendum über Kinderschutz' initiieren will.“

Le Point (FR) /

Ziel schon erreicht

Ungarns Premier ist sehr geschickt vorgegangen, analysiert Le Point:

„Indem er versucht hat, die Gesellschaft beim Thema LGBT zu spalten, hat er [die rechtsnationale Partei] Jobbik zu seinen früheren Thesen zurückgeführt. Und zwar so, dass Jobbik sich bei der Abstimmung im Parlament über das Anti-Pädophilie-Gesetz auf die Seite von Orbán gestellt und somit mit der Boykottstrategie der Opposition gebrochen hat. Der Premier hat verstanden, dass er die Opposition durch gesellschaftliche Themen spalten kann. … Und ohnehin werden bis zur Forderung des EuGH, das Pädophilie, Homosexualität und Pornografie vermengende Gesetz zurückzuziehen, zwei Jahre vergehen. Bis dahin wird der ungarische Regierungschef die politische Landschaft Ungarns im Hinblick auf seine Wiederwahl ausreichend gestört haben.“