Stehen Ukrainer den Medien näher als Syrer?

Seit Tagen berichten europäische Medien rund um die Uhr über den Krieg in der Ukraine. Oft wird hervorgehoben, dass dieser mitten in Europa stattfindet. Einige Kommentatoren kritisieren, dass weiter entfernte Konflikte weniger Aufmerksamkeit bekommen haben und Geflüchtete aus anderen Krisengebieten weniger Solidarität erfahren.

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The Independent (GB) /

Entsetzen ist von Rassismus durchzogen

Die Art und Weise, wie viele Medien im Westen über den Ukraine-Krieg berichten, offenbart tief sitzenden Rassismus, klagt The Independent:

„Weil die Ukrainer weiß und dem Westen nahe sind, ist es für einige politische Kommentatoren und Reporter offenbar schwierig nachzuvollziehen, wie es zu diesem Konflikt kommen konnte. Es ist, als ob Blutvergießen und Invasionen nur Ländern aufgezwungen werden sollten, die von Schwarzen oder 'People of Color' bewohnt werden. Einige Beobachter hatten keinerlei Bedenken, ihre Besorgnis über diese ernüchternde Wendung zu teilen - offenbar ohne zu realisieren, wie das die Ideologie der weißen Vorherrschaft bestärkt, die das Leben anderer als wertlos einstuft.“

Hürriyet (TR) /

Medien haben versagt

Hürriyet beobachtet, dass europäische Medien mit Hilfe von rassistischen Kategorisierungen unterschieden haben zwischen Geflüchteten aus der Ukraine und beispielweise Syrien oder Afghanistan. Verdienen nur weiße Menschen Solidarität und Schutz, fragt das Blatt:

„Die westlichen Medien haben in der Russland-Ukraine-Krise in Bezug auf den Sprachgebrauch versagt. ... Ihre Berichterstattung zur Situation in der Region, bei der die Hautfarbe und Religionszugehörigkeit hervorgehoben werden, hat für viel Empörung gesorgt und folgende Fragen aufgeworfen: Fand das, was in Syrien, Afghanistan oder Irak geschah, nicht vor aller Augen statt? Sollen etwa humanitäre Krisen und Kriege ignoriert werden, solange sie nicht mitten in Europa geschehen?“

L'Obs (FR) /

Es reicht nicht aus, Europa zu verteidigen

Der Umgang mit Geflüchteten verschiedener Herkunft bestimmt über Europas künftigen geopolitischen Einfluss, meint der Philosoph Slavoj Žižek in L'Obs:

„Es reicht nicht aus, 'Europa zu verteidigen': Unsere eigentliche Aufgabe ist es, die Länder der Dritten Welt davon zu überzeugen, dass wir ihnen angesichts der globalen Probleme bessere Lösungen bieten als Russland oder China. Und das erreichen wir nur, wenn wir uns selbst weit über die postkoloniale politische Korrektheit hinaus verändern und uns gnadenlos von allen Formen des Neokolonialismus entfernen, selbst von jenen, die als humanitäre Hilfe getarnt sind.“