Wie muss man Putins Rede deuten?

Drei Wochen nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine hat Kreml-Chef Putin in einer TV-Ansprache seine Rechtfertigungen für den Krieg wiederholt. Russland müsse sich gegen die Angriffe des Westens verteidigen. Die "Sonderoperation zur Entmilitarisierung" der Ukraine laufe nach Plan. Kommentatoren sehen die Wiederholung der Unwahrheiten als Signal der Instabilität.

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Helsingin Sanomat (FI) /

Zeichen der Schwäche

Dem russischen Präsidenten bricht der Boden unter den Füßen weg, analysiert Helsingin Sanomat:

„Putins Rede war bedrohlich. Es droht zunehmende Unterdrückung und Verfolgung. Nachdem Russland sich diese Woche aus dem Europarat zurückgezogen hat, bevor es ausgeschlossen werden konnte, kann es auch wieder die Todesstrafe einführen. Aber gleichzeitig war die Rede aufschlussreich. Die kaum kaschierte Wut verrät die Hilflosigkeit angesichts der Tatsache, dass die Invasion in der Ukraine offensichtlich nicht nach Plan verläuft und die russische Wirtschaft sich in einer Abwärtsspirale befindet. Putins Rede war also eindeutig ein Zeichen der Schwäche. Das System bricht um ihn herum zusammen. Aber die nahe Zukunft in Russland ist düster.“

Tygodnik Powszechny (PL) /

Unsicherheit mit Brutalität überspielt

Russlandexpertin Anna Łabuszewska analysiert in Tygodnik Powszechny:

„Als ich Putins Rede verfolgte, konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier ein Führer mit der penetranten Wiederholung erlernter Unwahrheiten versucht, sich selbst von der Richtigkeit seiner Entscheidungen zu überzeugen. Aber Gewissheit hat er nicht. Diese Unsicherheit überspielt er mit Brutalität. Er rechtfertigt sich, dass er nicht anders konnte, als anzugreifen. Die Argumentation wird dann jedoch unstimmig. ... Die russische Wirtschaft profitiere von den Sanktionen, weil sie sich unabhängig entwickeln könne, aber gleichzeitig seien diese Sanktionen eine Aggression gegen Russland.“

Dagens Nyheter (SE) /

Demokratie oder Neostalinismus

Man braucht gar keine vermeintliche Logik in Putins Aussagen zu suchen, meint Dagens Nyheter:

„Sollen wir Putins Massaker und seine Forderungen nach 'Säuberungen' noch damit 'erklären', dass er sich vom Westen unterdrückt fühlt? Oder reicht es, eine einfache Tatsache zu erkennen, dass alle Tyrannen Feinde brauchen? Und sie werden sie finden, innerhalb und außerhalb der Landesgrenzen. ... Die Ukraine will Freiheit. Putin will sie zerschlagen, dort ebenso wie in seinem eigenen Land. Und er wird sich nicht damit zufriedengeben. Die Menschen von Mariupol sterben für uns. Demokratie steht gegen Neostalinismus. Es gibt keinen Kompromiss zwischen diesen beiden Weltanschauungen.“