Russland: Was bedeutet der sinkende Rubel-Kurs?

Die russische Währung verliert stark an Wert. Zu Jahresbeginn lag der Kurs für einen Euro bei 76 Rubel, zu Wochenbeginn bei 110. Am Montag überstieg auch der Preis für einen US-Dollar zeitweise den symbolischen Wert von 100 Rubel. Kommentatoren bewerten, was das für das Land bedeutet.

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La Stampa (IT) /

Putin unter enormem Druck

Der russische Machthaber wird von mehreren Seiten in die Enge getrieben, analysiert La Stampa:

„Die Rubel-Front wird mehr oder weniger gleichzeitig mit der russischen Verteidigungslinie durchbrochen und eröffnet eine zweite Front für Wladimir Putin, in einem Wettlauf darum, welche Front ihn zuerst die Unterstützung kostet: die ukrainischen Panzer oder die Wirtschaftskrise. ... Und noch vor dem wirtschaftlichen Problem hat der russische Staatschef nun ein politisches Problem: Soll er versuchen, auf dem Mantra 'alles ist unter Kontrolle' zu beharren, oder soll er dem Druck von Ultranationalisten wie Jewgeni Prigoschin nachgeben, der schon vor seiner Meuterei Ende Juni von Putin eine 'totale Militarisierung' der russischen Wirtschaft und Gesellschaft forderte.“

Spotmedia (RO) /

Russen bekommen Krieg zu spüren

Immer mehr Widrigkeiten für die russische Bevölkerung beobachtet Spotmedia:

„Auch wenn die Unterstützung für Putin immer noch groß ist, könnte eine Verschlechterung der Lebensqualität zur Entfremdung vom Präsidenten und zu Protesten gegen das Regime in Moskau führen. ... Das Leben in Russland hat sich seit Kriegsbeginn verändert und verändert sich weiter, trotz der Versuche von Regierungsvertretern, den Anschein von Normalität zu wahren. Zensur, Verhaftungen, Rekrutierungskampagnen, Drohnenangriffe, aber auch Verteuerungen haben viele Russen dazu gebracht, das Land zu verlassen. Die, die geblieben sind, führen ein Doppelleben, haben Angst sich zu äußern und schlagen sich von einem Tag zum nächsten durch.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Kriegswirtschaft in Reinform

Eine katastrophale Lage für die russische Wirtschaft, aber auch für Wladimir Putin sieht die Neue Zürcher Zeitung:

„Wirtschaftspolitik ist in Russland ... nur mehr ein Anhängsel des Kriegs. Das Land rutscht noch mehr in eine Kriegswirtschaft, die auf lange Zeit das wirtschaftliche Potenzial Russlands zunichtemacht. Der Kreml-Herrscher Wladimir Putin war 2000 mit dem Versprechen angetreten, nach den 1990er Jahren für Stabilität zu sorgen und das Ansehen Russlands in der Welt zu stärken. Er ist kolossal gescheitert, wenn er das wirklich wollte. Insofern ist der Wechselkurs tatsächlich ein Massstab für das internationale Prestige und die eigene Wertschätzung.“

The Insider (RU) /

Flüssiges Gold wird gegen schlechtes Geld getauscht

Russland muss sein Öl zu verschlechterten Bedingungen verkaufen, erklärt Wirtschaftswissenschaftler Igor Lipsiz auf The Insider:

„Die Devisenzuflüsse sind aus zwei Gründen zurückgegangen: niedrige Ölpreise und eine sich verschlechternde Qualität der Deviseneinnahmen. Infolge der Unterbrechung der traditionellen Kanäle geht ein Großteil der Öl- und Gasexporte nun nach Indien und China, die mit ihren nicht vollständig konvertierbaren Währungen zahlen (insbesondere Indien). Russland liefert hartnäckig Öl nach Indien und erhöht sogar seine Lieferungen, erhält dafür aber hauptsächlich Rupien. Was man mit ihnen machen soll, bleibt unklar, denn sie können nicht auf dem Devisenmarkt angeboten oder umgetauscht werden.“

Polityka (PL) /

Es droht eine Spirale der Angst

Polityka sieht dunkle Wolken über Russlands Wirtschaft aufziehen:

„Wenn es dem Staat nicht gelingt, den Wechselkurs zu stabilisieren, könnte der psychologische Effekt eine Spirale der Angst in Gang setzen und das Vertrauen in die Finanzinstitute schwächen. Aus Angst vor der Inflation und der Abwertung des Rubels erhöhen die Menschen ihre Einkäufe, zum Beispiel von Haushaltsgeräten, Autos und Wohnungen. Doch in der Regel bricht der Verbrauch kurz darauf drastisch ein.“

Corriere della Sera (IT) /

Nun kommt die Wahrheit ans Licht

Offenkundig wirken die Sanktionen doch, freut sich Corriere della Sera:

„Das zeigt sich in diesen Stunden: Heute wird ein außerordentliches Gipfeltreffen der Bank von Russland einberufen, um zu versuchen, die seit Monaten andauernde, sich nun aber beschleunigenden Talfahrt des Rubels zu bremsen. ... Die Notmaßnahmen werden jedoch nicht ausreichen, um die Probleme auf politischer Ebene und die strukturellen Probleme einer Wirtschaft zu übertünchen, die fast ausschließlich auf die Finanzierung des Kriegs ausgerichtet ist.“

BBC (GB) /

Der Kreml hat das Land fest im Griff

Die innerrussischen Folgen halten sich in Grenzen, glaubt BBC:

„Russland befand schon einmal in einer solchen Situation. Nach dem großflächigen Angriff auf die Ukraine fiel der Rubel tief, erholte sich dann aber wieder. ... Innerhalb Russlands herrscht keine Panik. Vor den Banken gibt es keine Warteschlangen. Nach 18 Monaten Krieg und Isolation haben sich die Russen an schlechte Nachrichten gewöhnt. Sie leben in dem am stärksten sanktionierten Land der Welt. ... Die Wirtschaft ist nicht zusammengebrochen, wie viele im Westen vorhergesagt hatten. Der Kreml verfügt immer noch über ausreichend Ressourcen, um das Land vollständig im Griff zu behalten.“

Echo (RU) /

Das stärkt die isolierte Festung

Die Oppositionspolitikerin Elvira Wicharewa erklärt in einem von Echo übernommenen Telegram-Post, warum dem Kreml der schwache Rubel in die Hände spielt:

„Erstens ermöglicht er ihm, mehr Vertragssoldaten und Söldner anzuwerben. Sold bekommen sie, wenn überhaupt, in Rubel. Und Rubel hat der Staat jetzt bedeutend mehr. Zweitens ist das ein Schlag gegen die Emigranten. Versuche mal, im Ausland zu leben, wenn du in Russland Geld verdienst. Alle kehren zurück - und prompt gibt es die zweite Mobilmachungswelle. Drittens: Die Isolierung der Russen von Europa und der Welt. Da fährt man schon nicht mehr in Urlaub oder mal schauen, wie es sich in den 'unfreundlichen Ländern' lebt. Die Mauern der belagerten Festung werden durch den Rubelkurs gestärkt.“

Echo (RU) /

Der Kreml überflutet das Land mit Geld

Die gestiegenen Staatsausgaben beleuchtet der Videoblogger Maxim Katz, dessen Beitrag Echo übernimmt:

„Die Haushaltsausgaben sind auf unglaubliche Werte angestiegen, der Staat muss für die Industrie-Produktion sorgen, viele Komponenten und Anlagen kaufen und dazu Drohnen aus dem Iran und Granaten aus Nordkorea. ... Er muss Geld für den Bau von Verteidigungsstellungen ausgeben, in die Importsubstitution investieren - einfach ohne Ende für alles bezahlen. Der Staat ist jetzt der einzige Investor und er überschwemmt die Wirtschaft mit Rubeln.“

Iswestija (RU) /

Alles im Rahmen

In der kremlnahen Zeitung Iswestija beschwichtigt Finanzanalyst Alexander Dschiojew:

„Betrachtet man die makroökonomischen Bedingungen, so erscheint die Reaktion der Marktteilnehmer auf die jüngsten Ereignisse übermäßig emotional. Der derzeitige reale effektive Wechselkurs des Rubels unter Berücksichtigung des Preisniveaus in verschiedenen Ländern liegt jetzt auf einem mit dem Jahr 2021 vergleichbaren Level. Somit liegt der Wert der Landeswährung in der Nähe einer historisch angemessenen Höhe. In Anbetracht der restriktiven Zentralbank-Politik und der steigenden Preise, die zu einem Abkühlen der Importnachfrage führen dürften, gibt es für den Rubel wenig Grund für eine noch stärkere Abwertung.“