Frankreich: Verbot islamischer Abayas an Schulen?

Kopftücher sind an Frankreichs Schulen bereits verboten, jetzt will Frankreichs neuer Bildungsminister Gabriel Attal auch Abayas verbieten. Das Tragen der knöchellangen Übergewänder sei eine "religiöse Geste", so Attal mit Bezug auf Frankreichs strikten Laizismus. Die Presse diskutiert das geplante Verbot kontrovers.

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Expresso (PT) /

Schädlich und an der Sache vorbei

Expresso kritisiert Attals Plan:

„Warum will Frankreich, das sich bei der Integration muslimischer Jungen aus den ärmsten Vierteln und ohne Bezug zu den Werten der Republik in einer Sackgasse befindet, dieses Problem mit dem Verbot eines Kleidungsstücks für muslimische Mädchen lösen? Die Jugendlichen, die Autos und Geschäfte demolieren, offenbaren ein Problem bei der Integration junger muslimischer Männer, nicht bei der junger muslimischen Frauen, die mit der Abaya ein paradoxes Element der Integration in die europäische Gesellschaft haben. ... Dieses Kleidungsstück öffnet muslimischen Mädchen die Tür zur Freiheit und zur Integration: Wenn sie die Abaya tragen, erhalten sie die Erlaubnis ihrer Familie, außerhalb der erdrückenden Macho-Blase des Viertels zu studieren und zu arbeiten.“

The Spectator (GB) /

Die Franzosen sind dafür

The Spectator begrüßt das Vorhaben:

„Das Ziel islamischer Konservativer, ganz gleich ob in Teheran, Toulouse oder Tottenham, ist es, Frauen unter einer Abaya oder einem Hidschab zu verstecken. ... Der französische Regierung ist Beifall zu zollen, wenn sie zeigt, dass die Intoleranten nicht toleriert werden. ... In einer Umfrage in diesem Sommer sprachen sich nur 23 Prozent der Menschen für das Tragen solcher Kleidungsstücke in Schulen aus. Selbst unter linken Wählern ist die Ablehnung der Abaya verbreitet. 60 Prozent der Anhänger der linkspopulistischen Partei La France Insoumise lehnen sie ab und auch drei Viertel der Sozialisten waren der Meinung, dass sie verboten gehört.“

Le Figaro (FR) /

Symbol gescheiterter Integration

Le Figaro drückt Attal die Daumen für sein Vorhaben:

„Der vom Bildungsminister begonnene Kampf wird lang und schwierig sein. Denn die Abaya ist weit mehr als nur die Abaya. Dieses Kleidungsstück, das kulturelle Unterschiede betont, ist die Folge einer ungeregelten Einwanderung und einer gescheiterten Integration. Sie ist das Symbol einer Schule, die nicht mehr in der Lage ist, den Reichtum der Intelligenz, die Freuden der Freiheit und den Stolz auf ein gemeinsames Erbe zu vermitteln. … Der junge Minister hat gezeigt, dass er Talent und Mumm hat. Nun muss er Durchhaltevermögen beweisen.“

Libération (FR) /

Bitte kein übereiltes Vorgehen

Zuerst muss der Rechtsrahmen präzisiert werden, fordert der Essayist Jad Zahab in Libération:

„Während die Gesetze von 1905 und 2004 sichtbare religiöse Zeichen relativ klar verbieten, sind sie sehr viel unklarer, was kulturelle Zeichen betrifft, die für religiösen Bekehrungseifer missbraucht werden könnten. ... Frankreich steht nicht im Krieg gegen eine Religion, Gläubige oder eine Kultur. Trotzdem müssen diejenigen gestoppt werden, die Kleidung oder Zeichen jeglicher Art missbrauchen, um religiösen Druck auszuüben. … Die Gesetze müssen so ergänzt werden, dass sie die Umdeutung von kulturellen Zeichen für religiöse Zwecke angemessen berücksichtigen. … Der Grundsatz der Laizität steht nicht im Widerspruch zur Gewissensfreiheit oder zum Recht der Frauen, sich zu kleiden, wie sie möchten. Er ist nicht das Problem, sondern die Lösung.“

Süddeutsche Zeitung (DE) /

Gefahr der Stigmatisierung

Das hinter dem Verbot liegende Motiv mag zwar für einen laizistischen Staat verständlich sein, birgt aber auch Gefahren, mahnt der Frankreich-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Oliver Meiler:

„Die Verfügung mischt ... eine polemische Note in diese Rentrée scolaire, den Schulanfang, und das wohl ganz gezielt: Die zentristische Regierungsmehrheit und ihr Präsident Emmanuel Macron wollen mit aller Macht entschlossen wirken, auch ein bisschen autoritär, um so die wachsende extreme Rechte auf einem leicht entflammbaren Feld zu kontern. Aber natürlich riskiert die Regierung dabei, ausgerechnet mal wieder und recht pauschal auf jene Bevölkerungsgruppe zu zeigen, die sich von allen bereits am meisten stigmatisiert fühlt. Nicht nur wegen der Kleider.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Besser die Durchmischung an Schulen fördern

Das Verbot könnte den Graben zwischen Mehrheitsgesellschaft und Muslimen weiter vertiefen, warnt die Neue Zürcher Zeitung:

„Man kann verstehen, dass die Regierung vermeiden will, dass die Schule zum Austragungsort religiöser Konflikte wird. Doch ein Verbot islamischer Symbole heizt den Konflikt um die Stellung des Islam und der Muslime in Frankreich eher an. Um ihre Integration zu fördern, ist die Schule von zentraler Bedeutung. Eine bessere soziale Durchmischung der Schulen wäre aber wichtiger als ein Verbot der Abaya. Im schlimmsten Fall führt dieses dazu, dass sich die Musliminnen weiter absondern und in private religiöse Schulen wechseln.“