Israel im Kriegszustand

Am Samstagmorgen hat die radikal-islamische Hamas Raketenangriffe auf Israel begonnen. Gleichzeitig drangen bewaffnete Palästinenser nach Israel vor und griffen Menschen in mehreren Orten in Grenznähe an, töteten Hunderte Israelis und verschleppten mehr als 100. Nach israelischen Angaben schießt die Hamas weiterhin Raketen, während Israel Ziele in Gaza bombardiert. Was jetzt passieren muss und wer von der Eskalation profitiert, fragt sich Europas Presse.

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Anna Gin (UA) /

Von Luftalarm zu Luftalarm

Anna Gin, Journalistin aus Charkiw, berichtet auf ihrer Facebook-Seite von einem Telefonat mit ihrer Tochter in Tel Aviv:

„Die Welt ist verrückt geworden - das ist der Moment, in dem Sie im einundzwanzigsten Jahrhundert endlich Ihre Tochter ans Telefon bekommen und auf beiden Seiten der Strippe die Sirenen heulen. Deine Sirene aus Charkiw und ihre Sirene aus Tel Aviv. ... Die Luftschutzsirenen an beiden Enden der Leitung klingen genau gleich. Sie künden von einem nahenden Tod, von Gewalt und Trauer. Als Kind habe ich mir zum Geburtstag immer zwei Dinge gewünscht: einen Hund und dass das Gute über das Böse siegt. Einen Hund habe ich schon.“

Nowaja Gaseta Ewropa (RU) /

Terror soll Einmarsch in Gaza provozieren

Nowaja Gaseta Ewropa erklärt die Strategie der Hamas so:

„Das Ziel der Hamas ist nicht die Einnahme eines Stücks Israel, das ist unmöglich. Ihr Ziel ist, ein Blutbad anzurichten, so viel Wut wie möglich zu erzeugen, so viele Zivilisten wie möglich als Geiseln zu nehmen und dann mit ihnen als Schutzschild dazusitzen und zu sagen, die Hamas wurde angegriffen. ... Es war ja auch nicht Bin Ladens Ziel, New York oder die Zwillingstürme einzunehmen. Sein Ziel war es, einen Vergeltungsschlag auszulösen und dann die gesamte islamische Welt zu mobilisieren und ihr zu erzählen, dass diese verfluchten Yankees einfach so den friedlichen Islam angegriffen haben. ... Vor der Hamas steht eine konkrete Aufgabe: Israel dazu zu bringen, in den Gazastreifen einzumarschieren.“

Financial Times (GB) /

Netanjahu ohne Lösungsstrategie

Israels Palästina-Strategie ist gescheitert, meint Financial Times:

„Im gegenwärtigen Klima von Trauer und Wut scheint es unvermeidlich, dass sich die Regierung in Israel für eine heftige militärische Reaktion entscheiden wird. Aber sie hat noch keine Vision, die über die Tötung von Hamas-Führern hinausgeht. Auf lange Sicht scheint es schwer vorstellbar, dass Israel der Hamas weiter die Kontrolle des Gazastreifens überlässt. ... Der Schock und die Wut in Israel erinnern an die Gefühle, die nach 9/11 in den USA herrschten. Sie lösten eine Demonstration amerikanischer Einheit und Macht aus. Das führte zu einem jahrzehntelangen 'Krieg gegen den Terror', den viele Amerikaner heute als falsch und selbstzerstörerisch ansehen. Israel könnte den gleichen gefährlichen Weg einschlagen.“

Kleine Zeitung (AT) /

Katastrophales Versagen der Geheimdienste

Der Angriff dürfte in Israel politische Folgen haben, erwartet die Kleine Zeitung:

„Ministerpräsident Netanjahu mag lautstark Rache schwören. Doch dass der israelische Militärgeheimdienst und die Armee, die sonst die kleinste Bewegung in den Palästinensergebieten überwacht, nicht mitbekommen haben, was sich zusammenbraut, bedeutet ein derart katastrophales Versagen der Dienste und einen Kontrollverlust, der nicht ohne Folgen für die Regierung bleiben wird.“

Večernji list (HR) /

Moskau hat die Hamas hofiert

Der Angriff nutzt Russland, stellt Večernji list fest:

„Wladimir Putin feierte am Samstag seinen 71. Geburtstag. Hamas gratulierte ihm ohrenbetäubend mit dem brutalen Überraschungsangriff auf Israel. Sie glauben, das hat nichts miteinander zu tun? Pustekuchen. Wem nutzt ein neuer, offener Krieg im Nahen Osten am meisten? Russland. Sie denken, die Hamas hat keine direkte Verbindung zu Moskau? Suchen Sie nur mal ein bisschen im Internet, dann finden Sie sehr schnell Informationen und Fotos, die zeigen, wie die höchsten Anführer der Hamas in Moskau im vergangenen November und im März diesen Jahres auf höchster Ebene empfangen wurden. ... Beweis genug, dass man in direkter Verbindung steht.“

hvg (HU) /

Das dürfte Kyjiw Kopfschmerzen bereiten

Eine Zweiteilung der Weltöffentlichkeit analog zum Ukraine-Krieg beobachtet hvg:

„Der Ukraine dürften nicht nur die teilweise wohl ausbleibenden US-Munitionslieferungen Kopfschmerzen bereiten, sondern auch die Tatsache, dass der Konflikt in Gaza ebenso wie der Krieg in der Ukraine die internationale Öffentlichkeit spaltet. ... Die palästinensischen Organisationen erhalten - wie schon zu Sowjetzeiten - nach wie vor starke Unterstützung aus Moskau, und führende russische Politiker, darunter Außenminister Sergej Lawrow, haben sich mehrmals mit Führern der Hamas und des Islamischen Dschihad zu Gesprächen getroffen.“

Hürriyet (TR) /

Iran führt die Region ins Chaos

Hürriyet ist von einer Beteiligung Teherans überzeugt und warnt:

„Dieser von Iran unterstützte Angriff könnte bedeuten, dass Teheran neue Angriffe in der Region starten wird, insbesondere im Irak und in Syrien, um sich für den Befehlshaber der Al-Quds-Truppen, Qassim Soleimani, zu rächen, den die USA im Jahr 2020 per Drohne getötet haben. Aus diesem Grund sind die US-Truppen im Irak und in Syrien in höchster Alarmbereitschaft. ... Der Iran ist in eine Phase der Konfrontation mit den Vereinigten Staaten und Israel in der Region eingetreten. ... Könnte dies eine Gegenoffensive gegen den Iran zur Folge haben? Eine solche Situation würde im Chaos enden.“

Politiken (DK) /

Reaktion darf nicht überborden

Der Westen muss Israel nun unterstützen, aber auch mäßigen, meint Politiken:

„Es versteht sich von selbst, dass Israel sich gegen den Überraschungsangriff der Hamas vom Samstagmorgen wehren muss. Das ist sowohl legal als auch vernünftig und völlig verständlich. Doch aufgrund der bisherigen Gaza-Kriege besteht die große Gefahr, dass Israel mit seiner militärischen Reaktion zu weit geht. Israel ist militärisch unvergleichlich viel stärker als die Hamas, und frühere Kriege haben in Gaza viele Hundert zivile Opfer gefordert. ... Die internationale Gemeinschaft, darunter Dänemark und die EU, muss also nicht nur das Recht Israels auf Selbstverteidigung unterstützen, sondern darauf bestehen, dass Israel keine unverhältnismäßige Gewalt anwendet.“