Orbán droht EU mit Veto gegen Ukraine-Politik

Ungarns Premier Viktor Orbán hat mit einem Veto gegen den Beginn von EU-Beitrittsgesprächen mit der Ukraine gedroht. Die Entscheidung darüber soll beim EU-Gipfel Mitte Dezember in Brüssel fallen, wo auch über die Genehmigung von weiteren 50 Milliarden Euro für die Ukraine abgestimmt wird. Kommentatoren fragen sich, was Orbán erreichen will.

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Večernji list (HR) /

Nicht schwarzes Schaf, sondern erste Schwalbe

Orbán wittert Oberwasser, mutmaßt Večernji list:

„Der Eindruck ist, dass Brüssel, Berlin, Paris und die anderen Hauptstädte Orbán als eine Art Fliege betrachtet haben, die alle am Tisch dazu bringt, ihre Themen und Diskussionen fallen zu lassen, um sich nur mit dieser Fliege zu beschäftigen. Orbán wurde abgewinkt in der Hoffnung, seine Themen wären nicht die dominanten in der EU. ... Er hat enge Verbündete in Polen verloren, wo die Konservativen keine Kontrolle mehr über das Parlament haben, doch er glaubt, mit dem Sieg von Robert Fico in der Slowakei und Geert Wilders in den Niederlanden etwas gewonnen zu haben. Orbán sagt deshalb, 'Ungarn ist nicht das schwarze Schaf, sondern die erste Schwalbe'. ... Seine letzten Reden zeigen, dass er in Form ist und entweder seine Entscheidungsschlacht oder etwas Unerwartetes vorbereitet.“

Gazeta Wyborcza (PL) /

Versuch, die Gunst der Stunde zu nutzen

Orbán untergräbt die EU-Linie in einer schweren Zeit, sorgt sich Gazeta Wyborcza:

„Blufft er wieder, um Gelder für Ungarn freizumachen? Oder sieht er ernsthaft eine Chance, die Haltung der EU gegenüber Kyjiw zu ändern? ... Ungarns aktueller Versuch, die gemeinsame Linie der EU gegenüber der Ukraine zu untergraben, kommt zu einem schwierigen Zeitpunkt für Kyjiw und Europa, an dem bereits klar ist, dass die diesjährige ukrainische Gegenoffensive weniger Erfolge als erwartet gebracht hat. Und eine erneute Präsidentschaft von Donald Trump scheint zunehmend vorstellbar.“

Ukrajinska Prawda (UA) /

An die eigene Geschichte erinnern

Der politische Analyst Dmytro Baschtowyj hält Ungarn in Ukrajinska Prawda den Spiegel vor:

„Ungarn war kein Musterbeispiel eines modernen demokratischen Landes, doch dank der wirtschaftlichen und politischen Unterstützung seitens der EU konnte es sich aus dem Orbit des sozialistischen Systems lösen. Nun scheint die ungarische Führung ihre eigenen Erfahrungen mit der europäischen Integration 'vergessen' zu haben. ... Ungarn, das auf dem Weg von der kommunistischen Vergangenheit zur demokratischen Transformation war, ist während der Amtszeit von Viktor Orbán wieder in eine Autokratie abgerutscht. ... Mit einem solchen politischen Kurs sollte eher Ungarn und nicht die Ukraine nur den Status eines 'privilegierten Partners' der Europäischen Union statt eines Mitglieds erhalten.“

Népszava (HU) /

Argumente nicht stichhaltig

Die Gründe der ungarischen Regierung sind vorgeschoben, meint Népszava:

„Außenminister Péter Szijjártó sagte, dass im Falle eines EU-Beitritts der Ukraine der Krieg 'in die Union einziehen' würde. Diese Äußerungen sind eher für die heimische Öffentlichkeit bestimmt und sollen auch dem Kreml gefallen. Der Schritt des Beginns von Beitrittsverhandlungen ist weit von dem Moment entfernt, dass ein Land zum Beitrittskandidaten wird. Die Ukraine ist noch nicht reif für die EU-Mitgliedschaft, aber das wurde im Bericht der EU-Kommission auch nicht behauptet.“

Magyar Hang (HU) /

Lieber mitverhandeln

Mit einer Blockade-Politik könnte sich Ungarn selbst Steine in den Weg legen, warnt Magyar Hang:

„Der Beitrittsprozess böte der Ukraine eine Zukunftsvision, eine Perspektive, die die ungarische Regierung dem Land entziehen würde, indem sie den Fortschritt in diesem Prozess wahrscheinlich blockiert. Sie würde sich zudem auch selbst der Chance berauben, als EU-Mitglied die ukrainische Seite im organisierten Rahmen der Beitrittsverhandlungen dazu zu zwingen, die Kriterien der Rechtsstaatlichkeit zu erfüllen, die Korruption einzudämmen und vor allem die Rechte der ungarischen Gemeinschaft in Transkarpatien zu garantieren.“

Kurier (AT) /

Wohlkalkulierte Erpressung

Die EU hat noch kein wirksames Mittel gegen die Störattacken aus Budapest, bedauert der Kurier:

„Nach jahrelangem, hilflosem Zusehen, wie Orbán Stück um Stück Ungarn das 'Liberale' abräumte, hatte Brüssel im Vorjahr gehofft, endlich eine probate Strafe gegen den Vorbeter der 'illiberalen Demokratie' gefunden zu haben: Mehr als 20 Milliarden Euro hält Brüssel zurück. Bis – so die Hoffnung – das System Orbán wieder auf den gemeinsamen europäischen Weg zurückfindet. Der Haken dabei: Gibt es kein EU-Geld für Ungarn, legt sich Orbán quer.“