Putin-Gegner Nawalny in Haft zu Tode gekommen

Der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny ist tot. Nach Angaben russischer Behörden brach der 47-Jährige am Freitag im Straflager "Polarwolf" zusammen und konnte nicht wiederbelebt werden. Seine Leiche wurde bislang nicht freigegeben. Menschenrechtler sprachen von Mord an dem bekannten Oppositionellen, der 2020 einen Vergiftungsversuch überlebte. Für die Presse geht die Bedeutung seines Todes weit über das Einzelschicksal hinaus.

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Nowaja Gaseta Ewropa (RU) /

Der unbequemste aller Untertanen

Nowaja Gaseta Ewropa charakterisiert Nawalny als permanenten Unruheherd für Putins Entourage:

„Er war für sie die Quelle von Stress und Problemen. ... Seit fast 15 Jahren. Die ersten zehn Jahre wussten sie nicht, was sie mit ihm und seinen Recherchen über ihre illegal erworbenen Paläste und Yachten, die Schmiergelder und Geliebten anfangen sollten. In den letzten fünf Jahren versuchten sie, ihn zu neutralisieren. Er entkam auf wundersame Weise und hielt sie erneut in Atem, indem er in einer weiteren Untersuchung genau erzählte, wie sie seine Vergiftung organisiert hatten, die ihn töten sollte. Er telefonierte sogar mit einem seiner gescheiterten Attentäter ... Er hat ihnen immer ins Gesicht gelacht und war dreist ... Schlicht, unprätentiös, clever und immer Fakten und Beweise vorlegend.“

Echo (RU) /

Selbst als Toten fürchtet ihn der Staat noch

Republic-Chefredakteur Dmitri Kolesow sieht in einem von Echo übernommenen Telegram-Post neben einer Vertuschung der Todesumstände einen weiteren Grund dafür, dass Nawalnys Leichnam versteckt wird:

„Der Staat fürchtet, dass – solange die Emotionen in der Gesellschaft wegen Nawalnys Tod sehr stark sind –, seine Beerdigung zu einem wichtigen politischen Ereignis werden und in Massendemonstrationen ausarten könnte. Die Ereignisse in Russlands Städten zeigen, dass viele Menschen ihren Gefühlen Ausdruck verleihen und Nawalnys Andenken ehren wollen. Die Staatsmacht versucht, dies mit plumpen Polizeimethoden zu verhindern – man zerstört spontane Gedenkstätten, nimmt Trauernde fest und steckt sie in Haft.“

Spotmedia (RO) /

Kritische Situation für den Kreml

Für Spotmedia ist der Kampf zwischen Nawalny und Putin nicht beendet:

„Millionen Menschen in Russland beteiligten sich an den Protesten, die Alexei Nawalny organisierte, bevor er vergiftet wurde. ... Was werden sie morgen und in den nächsten Tagen machen, wenn sie wissen, dass jeder von ihnen ein Opfer des Regimes werden kann? Der Kreml befindet sich in einer neuen kritischen Situation. Der Tod Nawalnys hat riesige Auswirkungen. Viele europäische Staats- und Regierungschefs machen Moskau verantwortlich. ... Der Kampf zwischen Nawalny und Putin geht über Leben und Tod hinaus. Wir sind Zeugen des Beginns des letzten Kapitels einer epischen Konfrontation zwischen Demokratie und Diktatur, die das 21. Jahrhundert prägen wird.“

Avvenire (IT) /

Keine Krokodilstränen, bitte!

Trauern reicht nicht, wirft Avvenire ein:

„Wir sollten versuchen, uns in die Logik, die im Kreml vorherrscht, hineinzuversetzen. ... Warum hat man es immer mehr auf Nawalny abgesehen und ihn vor Monaten in das abgelegenste und berüchtigtste sibirische Gefängnis verlegt? Mit dem Finger auf den Kreml zu zeigen, reicht nicht aus und spielt dessen Propaganda in die Hände, die bereits einen Schatten auf die Europawahlen im Juni wirft. Stattdessen muss man den Mut und die Fantasie haben, diejenigen in Russland aktiv zu unterstützen, die versuchen, Widerstand zu leisten und die Fahne der Freiheit und der Demokratie hochzuhalten. Nawalny hat sich entschieden, dies bis zu seinem letzten Atemzug zu tun. Er hat mehr als Krokodilstränen verdient.“

Espreso (UA) /

Putin kennt keine roten Linien

Der Kremlchef macht vor nichts Halt, um seine Ziele zu erreichen, schreibt Publizist Witalij Portnykow in Espreso:

„Die Ermordung von Alexej Nawalny in der Strafkolonie hat vor allem gezeigt, dass der russische Präsident Wladimir Putin vor nichts zurückschreckt. Wir versuchen die ganze Zeit, eine Art Maßeinteilung im Handeln des russischen Staatschefs zu erkennen. Wo ist denn jene rote Linie für Putin, vor der er aufhören würde? Ermordung politischer Feinde? Krieg? Ein nuklearer Albtraum? Freunde, eine solche rote Linie gibt es nicht. Dieser Mann ist zu jeder Tat fähig, die unser Leben, das Leben seiner Landsleute und selbst die Existenz der Welt gefährdet. ... Wenn es darum geht, seine Ambitionen zu verwirklichen, ist dieser Mensch nicht bereit, aufzuhören.“

De Standaard (BE) /

Düsteres Vorzeichen

De Standaard befürchtet vor einem eventuellen Ende des Putin-Regimes noch mehr Unheil:

„Diese Art der Brutalität kann nur auf eine Art enden: mit dem (möglicherweise gewaltsamen) Tod von Putin. Bevor es soweit ist, kann Putin allerdings noch mehr Unheil anrichten, als wir es in Europa selbst nach dem Überfall auf die Ukraine für möglich hielten. Der Krieg beschleunigte den Niedergang Russlands zu einer trostlosen Diktatur. ... Das ist ein düsteres Vorzeichen, wie der Krieg in der Ukraine einmal enden kann. Nach der klassischen Logik muss die Diplomatie ins Spiel kommen. ... Aber ein Putin, der sogar Nawalny sterben lässt, ist dafür nicht empfänglich.“