Sollte der Westen den Luftraum der Ukraine verteidigen?

Nach der international koordinierten effektiven Luftabwehr des iranischen Angriffs auf Israel hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine vergleichbare Entschlossenheit des Westens beim Schutz des ukrainischen Luftraums gegen russische Angriffe gefordert. Das Beispiel Israel zeige, dass dafür keine Nato-Mitgliedschaft nötig sei. Europas Presse vergleicht die Lage der beiden Länder.

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Neatkarīgā (LV) /

Keine überzeugenden Argumente für Zurückhaltung

Neatkarīgā urteilt:

„Paradoxerweise könnte das Hauptergebnis des iranischen Angriffs die Erkenntnis sein, dass es keine Rechtfertigung für die Feigheit des Westens gibt. Jordanien ist schließlich nicht in Konflikt mit dem Iran getreten, indem es Raketen abschoss, die in Richtung Israel flogen. Nach der äußerst erfolgreichen Abwehr des iranischen Raketenangriffs durch Israel und seine Verbündeten, bei dem fast alle Raketen abgeschossen wurden, wird der Westen auf die Frage antworten müssen: Warum können wir dies gegen den Iran tun, dasselbe aber nicht gegen Russland? Es wird schwierig sein, eine überzeugende Antwort zu finden.“

Iliya Kusa (UA) /

Die Risiken sind zu hoch

Politologe Iliya Kusa erklärt auf Facebook, warum ein ähnlicher Schutz für die Ukraine unmöglich ist:

„Israel hat einen rechtlich festgelegten Verbündeten – es wurden entsprechende Abkommen unterzeichnet. Die Ukraine hat all das nicht und wird es höchstwahrscheinlich auch nicht haben. ... Der Westen wird die Ukraine nicht so verteidigen wie Israel, weil es für ihn politisch nicht vorteilhaft ist, wie uns seit 2022 konsequent gesagt wird. Die Risiken eines Krieges mit Russland werden dort als hoch und katastrophal eingeschätzt. ... Die Situation mit Israel und dem Iran war anders: Alle wussten, dass die Iraner versuchen werden, eine große Eskalation zu vermeiden, dass sie auf einen Angriff auf ihr Konsulat reagieren würden und dass keinerlei Risiko eines Atomkriegs bestand.“

Gazeta Wyborcza (PL) /

Moskau hat mehr Einfluss in den USA

Russlandfreunde bei den Republikanern machen den Unterschied, argumentiert die Historikerin Anne Applebaum in Gazeta Wyborcza:

„Führende Republikaner sympathisieren nicht mit den Mullahs, gehen nicht auf die von ihnen angeführten Argumente ein und versuchen nicht, sie zu beschwichtigen, wenn sie empörende Forderungen gegen andere Länder stellen. Infolgedessen eilt die Regierung Biden Israel zur Hilfe, weil sie nicht mit ernsthafter Opposition rechnen muss. Im Gegensatz dazu sympathisiert ein Teil der Republikanischen Partei, einschließlich ihres Präsidentschaftskandidaten, mit der russischen Diktatur und plappert deren Parolen nach.“

De Volkskrant (NL) /

Im Stich gelassen

Der Ukraine fehlen auch die Waffen zur Luftabwehr, kritisiert De Volkskrant:

„Gut zwei Jahre nach der großen Invasion und zehn Jahre nach dem ersten russischen Überfall auf die Ukraine, hat Kyjiw aus dem Westen noch kein einziges modernes Flugzeug erhalten, mit dem es die Raketen aus der Luft holen und die russische Luftwaffe auf Distanz halten könnte. Dass westliche Länder bei dem iranischen Angriff auf Israel sofort mit eigenen Flugzeugen und Piloten eingriffen, war für viele Ukrainer fast unerträglich mitanzusehen.“

Tages-Anzeiger (CH) /

Verrat an der Ukraine

Der Tages-Anzeiger kritisiert, dass der Westen fahrlässig Hoffnungen genährt hat:

„Die Wahrheit ist: Der Westen hat die Ukraine verraten, die Amerikaner, die Europäer und allen voran die Deutschen tun viel zu wenig, damit das Land eine Chance hat, sich gegen die Aggressoren zu wehren. ... Der Westen hat der Ukraine vor zwei Jahren Hoffnung gegeben, sie könne den Krieg auf dem Schlachtfeld gewinnen. Wenn nun Biden, Scholz, Macron und die Briten die Ukrainer hängen lassen, dann ist das ein Verrat an all denen, die seither ihr Leben gelassen haben. Und genau danach sieht es im Moment aus.“