Stichwahl in Rumänien: Was steht auf dem Spiel?
In der Stichwahl um die rumänische Präsidentschaft tritt am Sonntag der pro-europäische parteilose Bürgermeister von Bukarest, Nicușor Dan, gegen George Simion von der ultrarechten AUR an. Simion hatte den ersten Wahlgang mit 41 Prozent der Wählerstimmen klar für sich entschieden, Dan kam auf 21 Prozent. In den Kommentarspalten ist die Anspannung spürbar.
Schicksalhafter Urnengang
Hospodářské noviny skizziert eine tiefe Krise des politischen Systems im Land:
„Viele proeuropäische Rumänen betrachten die Wahl am Sonntag als absolut historisch und schicksalhaft. Sollte Simion Staatsoberhaupt werden, hätte dies verheerende Folgen für die fragile Demokratie Rumäniens. Rumänische Nationalisten wie Simion oder Georgescu profitieren davon, dass die Mehrheit der Rumänen genug hat von dem in den letzten drei Jahrzehnten geschaffenen System. In diesem System wechseln sich praktisch zwei Parteien an der Macht ab und bilden ein von Korruption durchsetztes Machtduopol, das das Land nicht voranbringt und nicht in der Lage ist, einen steigenden Lebensstandard zu gewährleisten.“
Die Enttäuschten nehmen die Radikalität hin
Viele Wähler würden schlichtweg darüber hinwegsehen, welcher Ideologie George Simion anhängt, schreibt Libertatea:
„Unter rumänischen Politikwissenschaftlern herrscht Einigkeit darüber, dass George Simion und seine Partei eine neolegionäre, revanchistische Ideologie vertreten und die Verbrechen und Hassreden verharmlosen, derer sich die Anführer der Legionäre [faschistische Bewegung 1927-1941] schuldig gemacht haben, als sie in Rumänien an der Macht waren. Die Liste der Probleme von Simion ist noch länger. ... Schlussendlich kann diese Art intellektueller Beschäftigung aber als elitärer Luxus angesehen werden, da viele Rumänen viel drängendere finanzielle Probleme haben, die keine Regierung in den letzten Jahren lösen konnte.“
Rechte Profiteure an die Kandare nehmen
Ein Wahlsieg Simions wäre ein Problem für die EU, warnt De Volkskrant und mahnt zur Wachsamkeit:
„Politiker wie Orbán, Fico und Simion versuchen, auf zwei Hochzeiten zu tanzen: Sie verfolgen ihren eigenen nationalistischen Kurs und profitieren zugleich von EU-Subventionen und wirtschaftlichen Vorteilen. Dagegen muss die EU hart vorgehen. Wer wirtschaftlich von Europa profitieren will, muss sich auch zu Europa als demokratischer Wertegemeinschaft bekennen. Das ist eine Frage der Ehrlichkeit, aber auch der Strategie. In einer Welt, in der Autokraten auf dem Vormarsch sind, kann sich Europa nur wehren, wenn es seinen inneren Zusammenhalt wahrt und die Werte von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verteidigt.“
Am Scheideweg
Bei Contributors wird die europäische Dimension der Stichwahl betont:
„Es geht bei dieser Wahl nicht nur um das Präsidentenamt. Es geht um die Positionierung Rumäniens in einer Welt, in der Ideologien wieder an Einfluss gewinnen. Wenn wir einen souveränistischen Präsidenten haben, ist es sehr wahrscheinlich, dass Rumänien sich zum trojanischen Pferd innerhalb der EU entwickelt – zu einer Stimme, die gemeinsame Initiativen sabotiert, strategische Entscheidungen blockiert und die Euroskepsis in der Region nährt. Paradoxerweise würde ein solcher Präsident nicht die Souveränität Rumäniens stärken, sondern das Land schwächen. Ohne eine solide Partnerschaft mit der EU riskiert Rumänien allein in der Grauzone zurückgelassen zu werden – genau da, wo es Russland haben will.“
Kirche mit Sympathien für Rechts
Acht Bischöfe von verschiedenen Kirchen der ungarischen Minderheit haben gemeinsam dazu aufgerufen, am Sonntag gegen Extremismus zu stimmen. Dass ihr rumänisch-orthodoxes Pendant schweigt, treibt den Rumänischen Dienst der Deutschen Welle um:
„Die Rumänisch-Orthodoxe Kirche zögert auch diesmal und versteht die Dringlichkeit des Augenblicks nicht. Sie bleibt angesichts der Katastrophe neutral, wie bereits in der Vergangenheit. … Damals ließ sich die Kirche von den Legionären [faschistische Bewegung in der Zwischenkriegszeit] und deren antisemitischem und gewalttätigem Geist vereinnahmen. In den vergangenen Jahren zeigten sich hochrangige orthodoxe Geistliche offen euroskeptisch und ablehnend gegenüber dem 'dekadenten Westen'. Die AUR-Partei kommt bei der orthodoxen Elite gut an.“
Zumindest wird debattiert
Magyar Hang blickt nicht ohne Neid über die Grenze:
„In einigen Lebensbereichen ist die Lage in Rumänien besser als in Ungarn. ... Ein Beispiel ist die vierstündige Debatte zwischen den verbliebenen Kandidaten bei der wiederholten Wahl um das Präsidentenamt. Beide wurden nicht müde, ihre Argumente und, ja, auch ihre Vorwürfe gegeneinander auszusprechen, Fragen zu beantworten oder sich zu fachpolitischen Themen zu äußern. ... Demgegenüber hat Ungarns Premier mittlerweile ein ganzes Lexikon von Ausreden erfunden, warum er seit 2006 nicht mehr zu einer Debatte angetreten ist.“