Ukraine: Europa und USA wieder in einem Boot?

Infolge des Alaska-Gipfels kamen am Montag der ukrainische Präsident Selenskyj und einige hochkarätige Politiker ins Weiße Haus: Fünf Staats- und Regierungschefs aus Europa sowie die Spitzen von EU und Nato klinkten sich kurzfristig in Trumps Lösungsbemühungen im Ukrainekrieg ein. Nach einem Anruf Trumps in Moskau soll seinen Angaben zufolge nun ein Treffen zwischen Putin und Selenskyj vorbereitet werden. Das Presse-Echo ist gespalten.

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The Daily Telegraph (GB) /

Durchbruch bei den Sicherheitsgarantien

Das Treffen im Weißen Haus kann der Ukraine Hoffnung machen, urteilt The Daily Telegraph:

„Im Vergleich zum irritierenden Alaska-Gipfel konnte die europäische Allianz wichtige strategische Fortschritte verzeichnen. Entscheidend ist, dass Selenskyj den US-Präsidenten davon überzeugen konnte, dass er wirklich an Frieden interessiert und nicht der Blockierer ist, als den Trump ihn beim letzten Mal zu Unrecht darstellte. Dies ebnete den Weg für den vielleicht bislang bedeutendsten Durchbruch: Trump schließt den Einsatz amerikanischer Bodentruppen als Teil einer Sicherheitsgarantie nicht mehr gänzlich aus. ... War Alaska eine beschämende Demonstration der Freundlichkeit gegenüber dem blutrünstigen Tyrannen im Kreml, könnte der Montag als stiller diplomatischer Erfolg für die Ukraine verbucht werden.“

El Mundo (ES) /

Kriegsende hätte einen hohen Preis

El Mundo warnt:

„Der ukrainische Präsident steht vor einer hochkomplexen Entscheidung: Entweder hält er an der territorialen Integrität fest oder er sichert das Überleben des ukrainischen Staates mit Zugeständnissen und einem gewissen Schutz durch die EU und die USA. Washingtons Bereitschaft, mit der Ukraine über 'Garantien' zu sprechen, hat Erleichterung ausgelöst. Das kann aber nicht über den Preis hinwegtäuschen, den Europa für einen Frieden nach Vorstellungen des Kreml zahlen müsste: Eine illegale Annexion untergräbt das Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen und legitimiert Putins Kreuzzug. ... Jeder Schritt zum Frieden ist willkommen. Aber Russlands Macht zwingt Europa mehr denn je, die Ukraine zu unterstützen und seine eigene Sicherheit mit mehr Militärausgaben zu schützen.“

Delfi (LT) /

Friedensprozesse sind nie rauschende Feste

Delfi-Kolumnist Andrius Užkalnis dämpft die Erwartungen an die weiteren Friedensgespräche:

„Die Aggression gegen die Ukraine ist im Kontext der Weltgeschehnisse keine besonders große Angelegenheit – und die Sicherheit Litauens hat, nebenbei gesagt, eine noch geringere Priorität. ... Die Atmosphäre sämtlicher Friedensprozesse der vergangenen eineinhalb Jahrhunderte – seit es überhaupt so etwas wie eine Medienöffentlichkeit gibt – war immer (und ausnahmslos) geprägt von Müdigkeit, Enttäuschung, Ekel sowie dem Vorwurf an die Verbündeten, schwach zu sein oder Verrat begangen zu haben. Einen Friedensprozess voller Ekstase und Jubel hat es nie gegeben. Wer Enttäuschungen vermeiden möchte, sollte seine Erwartungen radikal herunterschrauben.“

De Standaard (BE) /

Trump und Europa kämpfen nicht für dasselbe

Der US-Präsident lässt die Alliierten spüren, dass dies nicht "Amerikas Krieg" ist, analysiert De Standaard:

„Als Putin in Alaska von den Ursachen des Krieges sprach, meinte er damit zweifellos seine Abneigung gegen die 'dekadente' westliche und europäische Kultur. Trump fühlt sich von einer solchen Kriegserklärung nicht angesprochen. Sein Amerika ist nicht mehr Teil dieses zu bekämpfenden Westens. Auch diese Spaltung hing gestern wie ein dunkler Schatten über dem Verhandlungstisch, ohne jedes Lob für die Nato. Diese USA und Europa haben nur noch wenig Gemeinsames zu verteidigen. Wie kann Trump in einem solchen Kontext 'Sicherheitsgarantien' zusagen, die glaubwürdig, unerschütterlich und dauerhaft sind?“

The Moscow Times (RU) /

Trojanisches Pferd aus Moskau

The Moscow Times sieht in Putins Friedensvorschlägen den Versuch, die westliche Welt erpressbar zu machen:

„Putins Vorschlag ist nichts anderes als ein trojanisches Pferd. Unter dem Deckmantel des Friedens sollen die Ukraine und der Westen ihre strategischen Positionen aufgeben und damit dem Kreml erlauben, sich in ihre inneren Angelegenheiten einzumischen, und Russland Zeit geben, sich auf die nächste Etappe des Krieges vorzubereiten. Wenn der Westen einmal den Weg des Nachgebens betreten hat, wird er in einen Strudel endloser Erpressungen hineingezogen. Wie in uralten Zeiten, als die Griechen nach zehn Jahre aufreibender Belagerung Trojas zu einer Hinterlist griffen, versucht Moskau heute die Aggression hinter 'Friedensinitiativen' zu verbergen.“

La Stampa (IT) /

Militärisches Engagement fast unvermeidlich

Die Entsendung europäischer Soldaten in die Ukraine rückt näher, analysiert La Stampa:

„Denn wenn Donald Trump ein Friedensabkommen mit Putin schließt, muss der Westen der Ukraine Sicherheitsgarantien geben, die die Russen davon abhalten, in naher oder ferner Zukunft eine neue Offensive gegen die gesamte Ukraine zu starten. In diesem Fall werden es, abgesehen von einer möglichen militärischen Unterstützung durch die USA, vor allem die europäischen Länder sein, die Soldaten entsenden müssen, um ihren Verbündeten in der Ukraine zu unterstützen und zu schützen. Sollte die Vereinbarung mit Putin hingegen scheitern, würde die Gefahr eines teilweisen oder vollständigen Rückzugs der Amerikaner konkret werden. In diesem zweiten Szenario müssten die Europäer konsequent sein und ihr militärisches Engagement in der Ukraine erheblich verstärken.“