Gaza und Westjordanland: Geht Israel zu weit?

Ein israelischer Planungsausschuss hat ein Projekt zur Ausweitung jüdischer Siedlungen in einem besonders sensiblen Gebiet im Westjordanland genehmigt. Dadurch würde dieses Palästinenser-Gebiet zweigeteilt. Zeitgleich rückt Israels Armee auf Gaza-Stadt vor. Dort herrscht inzwischen nach international anerkannten Kriterien eine Hungersnot, teilte das IPC Famine Review Commitee mit. Die Medien beurteilen Israels Vorgehen und die Haltung des Auslands.

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Naftemporiki (GR) /

Hamas könnte den Krieg schnell beenden

Naftemporiki kritisiert sowohl Netanjahu als auch die Hamas:

„Trotz der anhaltenden massiven Proteste der israelischen Bevölkerung gegen die Fortsetzung des Krieges, der internationalen Empörung und der Gefahr einer internationalen Isolation setzt er [Netanjahu] seine aggressive Politik unbeirrt fort. Er ignoriert sogar die Appelle der Angehörigen der Geiseln, die befürchten, dass die Tage ihrer Lieben gezählt sind, und auf eine Einigung drängen. Natürlich hätten die von der Hamas festgehaltenen Geiseln schon längst bedingungslos freigelassen werden müssen. In fast zwei Jahren Krieg nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023 hätte die Hamas, wenn sie gewollt hätte, die israelischen Geiseln freilassen können und Netanyahu damit jedes Argument für die Fortsetzung des Krieges genommen.“

Berlingske (DK) /

Kritik ohne naive und schädliche Gesten

„Netanjahu ist mittlerweile selbst ein Problem“, sagte die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen über ihren israelischen Amtskollegen. Ganz zu Recht, findet Berlingske:

„Kritik an Netanjahu ist nicht dasselbe wie Kritik am Staat Israel und den Israelis als Volk. … Bemerkenswert ist auch, dass die dänische Premierministerin ihrer Kritik an Netanjahu nicht die Anerkennung Palästinas als Staat folgen lässt, wie es viele europäische Länder getan haben oder gerade tun. Auch das ist sehr lobenswert: Eine solche Anerkennung ist nur symbolisch, und in der gegenwärtigen Situation wird diese Symbolik nur der Hamas nützen. Dänemark sollte sich an dieser Art naiver und fehlgeschlagener Tugendhaftigkeitssignale nicht beteiligen.“

Aftonbladet (SE) /

Schweden belädt sich mit Schuld

Aftonbladet lässt kein gutes Haar an der schwedischen Regierung für ihre Unterstützung Netanjahus:

„In der Vergangenheit wurde Schweden oft als moralische Supermacht angesehen. ... Wir setzten uns für die UN und das Völkerrecht ein, selbst wenn die Großmächte etwas anderes wollten. Bis jetzt. Jetzt ist Schweden stattdessen offen für die Rechte der Stärkeren. Während des fast zweijährigen Krieges in Gaza hat unsere Regierung im Konflikt stets die Seite von Premierminister Benjamin Netanjahu ergriffen. In Europa fallen wir als Extreme auf. Und in den Augen des globalen Südens als verlängerter Arm der Politik von Präsident Donald Trump. Zukünftige Regierungen werden Jahrzehnte brauchen, um diese Schuld und Schande reinzuwaschen.“

Irish Examiner (IE) /

Bewusst herbeigeführte Hungersnot

Dass in einem Teil des Gazastreifens eine Hungersnot herrschen soll, bringt Irish Examiner zu einem harten Urteil mit Israels Strategie:

„Es ist das erste Mal, dass im Nahen und Mittleren Osten eine Hungersnot offiziell bestätigt wurde. ... Was die Welt in Echtzeit miterlebt, ist kein Krieg. Es ist bewusst herbeigeführter Hunger, gezielte Vertreibung und ein gnadenloser Angriff auf eine gefangene und terrorisierte Bevölkerung. Israels unmenschliche Strategie macht Hunger und Angst zur Waffe, sie bestraft Schuldlose, darunter Mütter, Kinder und Alte. Dies ist ein moralischer Kollaps epischen Ausmaßes. Diese Hungersnot ist menschengemacht. Sie ist das Ergebnis politischer Entscheidungen.“

El Mundo (ES) /

Zerbrechliche Sicherheit

El Mundo hält die Siedlungspläne nicht für zukunftstauglich:

„Die Worte des israelischen Finanzministers Bezalel Smotrich machten die offene Missachtung des Völkerrechts durch die israelische Regierung deutlich. Er prahlte gestern mit dem Bau von 3.400 jüdischen Häusern, um dem 'Betrug' der Zwei-Staaten-Lösung ein Ende zu machen. Ein Friedensplan, der von den Vereinten Nationen unterstützt wurde, mit einem dreiteiligen palästinensischen Staat: Westjordanland, Ost -Jerusalem und Gazastreifen. ... Israel hat das Recht, seine Sicherheit zu schützen, aber diese Sicherheit wird zerbrechlich sein, wenn den Palästinensern die Hoffnung auf Souveränität genommen wird und wenn es darum geht, auf Kosten der demokratischen Werte des Landes etwas durchzusetzen.“

taz, die tageszeitung (DE) /

Siedlungen sind nicht in Stein gemeißelt

Dass mit den jüdischen Siedlungen das endgültige Ende einer Zweistaatenlösung droht, ist für die taz nicht schlüssig:

„Zweimal schon hat Israel Siedlungen für 'Land gegen Frieden' aufgegeben. Erstmals 1982 im Sinai, wo unter anderem die Kleinstadt Jamit gewaltsam geräumt und dem Erdboden gleichgemacht wurde. Das zweite Mal in Gaza 2005 unter Ariel Scharon, wo rund 10.000 Sied­le­r*in­nen ebenfalls unfreiwillig und unter Gegenwehr ihre Häuser verlassen mussten – zum Teil nach mehr als 30 Jahren. ... Die Siedlungen sind es nicht, die eine Zweistaatenlösung verhindern, sondern es ist vor allem der mangelnde politische Wille. Dieser Wille fehlt komplett, und zwar nicht nur auf israelischer Seite.“

Le Monde (FR) /

Schändliche Rhetorik kaschiert übles Tun

Der israelische Premier verrennt sich in seiner Wut, kommentiert Le Monde:

„Benjamin Netanjahu ist zornig über Frankreichs Ankündigung, Palästina anzuerkennen, ein altes Ansinnen, dessen späte Umsetzung nun besondere Bedeutung erhält zu einem Zeitpunkt, an dem Israel sich an einer blutigen ethnischen Säuberung im Gazastreifen festbeißt und seinen Willen beteuert, seine Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten im Westjordanland auszuweiten. Dass sich andere Länder wie Kanada, Großbritannien und Australien Frankreich anschließen, vergrößert die Wut des israelischen Premiers nur weiter. ... Indem Netanjahu auf Antisemitismus als ultimatives Argument gegen die Kritiker seiner Politik zurückgreift, fügt er zu einem für Israel zerstörerischen Abgleiten noch eine schändliche Rhetorik hinzu.“

La Repubblica (IT) /

Verhandeln mit aufgesetzter Pistole

La Repubblica beleuchtet Netanjahus Taktik in Gaza:

„Mit der vollen Unterstützung der USA scheint Benjamin Netanjahu davon überzeugt zu sein, dass er die Freilassung der Geiseln, die Kapitulation der Hamas und die Eroberung des gesamten Gazastreifens erreichen kann, indem er den Krieg als Verhandlungsmittel einsetzt. Das zumindest lassen die widersprüchlichen Erklärungen vermuten, die die israelischen Behörden, die Regierung und die Armee seit Anfang August abgeben, als die große Invasion des Gazastreifens angekündigt wurde. ... Gestern erklärte der Premierminister, er habe seine Leute angewiesen, unverzüglich Verhandlungen über die 'Freilassung aller Geiseln und die Beendigung des Krieges zu für Israel akzeptablen Bedingungen' aufzunehmen.“

Der Standard (AT) /

Auf Kosten der Bevölkerung beider Seiten

Die israelische Regierung macht reine Klientelpolitik, meint Der Standard:

„Die Offensive [in Gaza] stellt auch eine neue Belastung für die israelischen Reservisten dar. Bis zu 130.000 müssen ihr Leben in einem Krieg riskieren, den Kritiker längst für politisch motiviert halten. Für Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und seine rechtsextremen Koalitionspartner bleibt deshalb nur ein beschämender Sieg: Auf Kosten der Palästinenser und der eigenen Bevölkerung setzen sie eine Klientelpolitik um, durch die alle anderen verlieren werden.“