Brüssel billigt Freihandelsabkommen mit Mercosur
Die EU-Kommission hat die Ratifizierung des seit 1999 verhandelten Freihandelsabkommens mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten auf den Weg gebracht. Neue Schutzklauseln für Agrarprodukte sollen dabei noch vorhandenen Widerstand überwinden, denn nun müssen die nationalen und das europäische Parlament zustimmen. Tritt das Abkommen in Kraft, entsteht eine der größten Freihandelszonen der Welt.
Ähnliche Werte und Interessen
El País freut sich auf ganzer Linie über einen Pakt mit einem seelenverwandten Kontinent:
„Die Fortschritte in Sachen Mercosur sind eine hervorragende Nachricht. Das Abkommen ist die umfassendste Vereinbarung in der Geschichte der EU: ein gemeinsamer Markt von 780 Millionen Menschen, ein erwarteter Handelsanstieg um 40 Prozent und eine geschätzte Einsparung von jährlich 4 Mrd. Euro an Zöllen für die Europäer. ... Dies ist die größte Errungenschaft der Kommission in der zweiten Amtszeit von Ursula von der Leyen. ... Die Vereinbarung ist die Grundlage für ein Netzwerk von Beziehungen zu Lateinamerika, jener Weltregion, die Europa in Werten und Interessen am ähnlichsten ist.“
Die Industrie hat die besseren Argumente
Trotz Nachteilen für den Agrarsektor erwartet Der Standard positive Effekte im Hinblick auf die Bewahrung des Wohlstands:
„Der Druck auf die vielen kleinen heimischen Landwirte, die schon jetzt bei vielen Produkten mit ungleich größerer Konkurrenz aus anderen Ländern konkurrieren, wird sicher nicht geringer. Aber die Industrie hat in der derzeit schwierigen Lage einfach die besseren Argumente. Sie bietet vielen Menschen gutbezahlte Jobs, forscht an neuen Technologien und Produkten. All das muss man dringend forcieren. Abkommen mit anderen Teilen der Welt sind eine Chance, wenn man den Wohlstand erhalten will.“
Paris ist doppelt geschwächt
Das Abkommen ist Ausdruck der zunehmenden Schwäche Europas und Frankreichs, urteilt Le Monde:
„Auch wenn die Zugeständnisse [der EU-Kommission] spät kommen, sind sie willkommen. Doch nichts deutet darauf hin, dass sie ausreichen werden, um die Wut der [französischen] Landwirte zu mildern und die Unzufriedenheit über einen Vertrag zu überwinden, der einen doppelten Verlust an Einfluss widerspiegelt. Die EU ist nicht mehr in der Lage, den Handelspartnern ihre Normen bedingungslos aufzuzwingen und vorzuschreiben, wie sie produzieren sollen. ... Und Frankreich wird zunehmend bewusst, dass es angesichts haushaltspolitischer Unfähigkeit und politischer Instabilität immer größere Schwierigkeiten haben wird, Einfluss auf europäische Entscheidungen zu nehmen.“
Fair ausgehandelte Win-win-Situation
Endlich gibt es einmal positive Entwicklungen in den internationalen Beziehungen, freut sich La Croix:
„In den meisten Ländern dient der internationale Handel dazu, Wachstumsquellen zu finden. Das trifft auch auf Frankreich zu, das sich dem Abkommen mit Mercosur jedoch vehement entgegengestellt hat. Paris hat Branchen des Agrar- und Lebensmittelsektors verteidigt, die unter dem Abkommen leiden werden, wenn es in Kraft tritt. Andere Sektoren werden hingegen profitieren. In einer Welt, in der räuberische Mächte ihre Interessen unilateral durchsetzen wollen, zeigt der Vertrag zwischen EU und Mercosur, dass es möglich ist, Nützliches auszuhandeln und dabei seine Grundsätze zu verteidigen. Das ist ermutigend.“
Fingerhakeln zwischen Berlin und Paris
Europa ringt noch um das Abkommen, schreibt Polityka:
„Die Angst der Landwirte vor der Konkurrenz durch billigeres lateinamerikanisches Rindfleisch, Geflügel oder Zucker ist der Hauptgrund für die Ablehnung des Abkommens durch Frankreich, Italien, Polen und Österreich. ... Frankreich, die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU, davon zu überzeugen, dem Abkommen mit dem Mercosur zuzustimmen, ist die größte Herausforderung für Brüssel. Deutschland ist sehr an einer Liberalisierung des Handels mit Lateinamerika interessiert (unter dem Motto 'südamerikanisches Rindfleisch gegen deutsche Autos'), aber gleichzeitig will Berlin Paris in dieser Frage nicht überstimmen.“
Jetzt in Asien keine Zeit verlieren
Bei diesem Abkommen darf es nicht bleiben, betont das Handelsblatt:
„Das politische Momentum ist da – nun müssen EU-Staaten und Kommission es für die nächsten Abkommen nutzen: allen voran mit Indien, einem der wichtigsten strategischen Partner der kommenden Jahrzehnte. ... Ebenso entscheidend ist der Fortschritt mit den dynamischen Volkswirtschaften Südostasiens: Indonesien, Philippinen, Malaysia und Thailand. Mit all diesen Ländern verhandelt die EU seit Jahren – sie darf sich nicht noch einmal 26 Jahre Zeit lassen. Europa darf jetzt keine Zeit mehr verlieren. Die Ratifizierung von Mercosur wäre ein Durchbruch, doch erst Indien und Südostasien werden zum Prüfstein, ob die EU dem Protektionismus von Donald Trump eine echte Alternative entgegensetzen kann.“