Ukraine-Krieg: Was ist von Trumps Kehrtwende zu halten?
US-Präsident Donald Trump hält es für möglich, dass die Ukraine ihre von Russland besetzten Gebiete zurückerobert. Mit Unterstützung Europas und der Nato seien die ursprünglichen Grenzen zum Zeitpunkt des Kriegsbeginns eine Option, schrieb er auf Truth Social. Bisher hatte Trump auch Gebietsabtretungen zur Beendigung des Krieges ins Spiel gebracht. Kommentatoren debattieren Motive und mögliche Folgen.
Abrutschendes Rating wirkt Wunder
Elita Veidemane, die Chefredakteurin von Neatkarīgā, sieht Trumps Positionswechsel vorrangig durch dessen Streben nach Beliebtheit im eigenen Land bedingt:
„Die wachsende Hilfe der Nato-Staaten für die Ukraine untergräbt Trumps Aussagen, die finanzielle Last trügen allein die USA. Zudem wird Trump sowohl von Republikanern als auch von Demokraten für seine übertriebene 'Nachgiebigkeit' gegenüber Russland kritisiert, und er ist sich dessen wohl bewusst, weshalb sich seine Rhetorik ändert. Hoffen wir, dass sich nicht nur die Rhetorik, sondern auch die Taten ändern – dann dürfte auch das Rating des Präsidenten steigen: Für ihn als ausgeprägten Narzissten ist dies ein wichtiger Aspekt seines Lebens.“
Steter Fluss an Waffen ist entscheidend
Verlässliche US-Waffenlieferungen könnten Moskau zu Kompromissen zwingen, schreibt Militäranalyst Mykola Bjeljeskow in einem von NV übernommenen Facebook-Post:
„Wenn die von Europa finanzierten Lieferungen aus den USA systematisch und langfristig erfolgen, wäre das ein klares Signal an den Besatzer aus dem Kreml: Er kann nicht darauf hoffen, dass das Interesse an der Unterstützung der Ukraine nachlässt, und es wäre klüger zu verhandeln, statt weiterhin zu versuchen, seine Bedingungen zu diktieren. Diese Gewissheit fehlte nach der Genehmigung des letzten Hilfspakets durch den Kongress im lange zurückliegenden April 2024. Und genau darauf setzte Moskau. Nun besteht die Hoffnung, dass die Nachhaltigkeit der Lieferungen im Rahmen des PURL-Programms das Kalkül des Gegners etwas korrigieren wird.“
Abfuhr an die Koalition der Willigen
Trump hat sich keineswegs auf die Seite der Ukraine-Unterstützer geschlagen, sondern ihnen einen Korb gegeben, meint die Weltwoche:
„Es ist ein mehrfaches Missverständnis, Trumps jüngste öffentliche Äusserungen in Sachen Ukraine-Krieg für eine 'Kehrtwende' zu halten. Er hat der 'Koalition der Willigen' erneut eine Abfuhr erteilt. ... Sollte in der 'Koalition der Willigen' das militärische Abenteurertum gegen den russischen 'Papiertiger' die Überhand gewinnen, die USA werden zusehen und sich die Hände in schönster Unschuld waschen. Sie sind nur noch ein bisschen schwanger mit diesem Krieg, den sie nicht schlichten, dessen Kriegsursachen sie nicht beilegen können oder wollen. 'Viel Glück', beschied Trump auf Truth Social.“
Ein auf seinen Vorteil fokussierter Tyrann
Erpressung und Eigennutz bestimmen Trumps Außenpolitik, kommentiert Birgün:
„Die Methode, die US-Präsident Trump in den internationalen Beziehungen verfolgt, schwankt zwischen 'Tyrannei' und 'cleverem Geschäftsmann'. Die gegen Russland kämpfende Ukraine braucht Waffen aus den USA. Trump hat sich hier eingeschaltet und die Ukraine gezwungen, ihre wichtigen natürlichen Ressourcen als Gegenleistung für ihre Schulden abzugeben. Auch wenn das zwischen den beiden Ländern geschlossene Abkommen nicht ganz den Vorstellungen Trumps entsprach, haben die USA dennoch versucht, aus der Notlage eines befreundeten Landes wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen.“
EU und Nato sollen es richten
Der Tagesspiegel bleibt vorsichtig und empfiehlt eine genaue Lektüre:
„Trump sagt nicht etwa, dass die US-Regierung bei einer Rückeroberung russisch besetzten Gebietes aktiv helfen wird. Sondern er hält es für eine 'Option', dass die Ukraine 'mit Unterstützung Europas und der Nato' dieses Ziel erreicht. Die USA würden weiterhin Waffen liefern, aber 'an die Nato, damit die Nato damit machen kann, was sie will'. Trump legt sein Land weder politisch noch militärisch auf irgendetwas fest. Er meint sein Engagement lediglich in dem Sinne ernst, dass er Putin glauben machen möchte, dass er es ernst meint. Die Verantwortung für ein Gelingen legt er in die Hände von Nato und EU. Mit anderen Worten: Trump laviert weiter herum.“
Karten vorerst neu gemischt
La Repubblica bleibt skeptisch:
„Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass Donald Trump seine Haltung gegenüber der Ukraine geändert hat. In Trumps Sichtweise haben sich die Rollen vertauscht. Monatelang hatte der amerikanische Präsident behauptet, dass die Ukraine nicht 'die Karten in der Hand' habe und es daher für sie sinnvoll sei, einen territorialen Kompromiss mit einem relativ gesehen viel stärkeren Russland anzustreben. Heute (aber wir werden sehen, wie lange das anhält) schreibt er, dass Russland ein 'großes wirtschaftliches Problem' habe und dass Kyjiw dank seiner außergewöhnlichen Moral in der Lage sein könnte, Boden gut zu machen.“
Nebulöse Versprechen
Viele Fragen bleiben offen, erklärt der Politologe Linas Kojala in Delfi:
„Das US-Versprechen, weiter Waffen – genauer gesagt über die NATO – zu liefern, signalisiert zwar Kontinuität und Zusammenarbeit mit den Verbündeten. Doch es fehlt an Details, welche Systeme in welchen Mengen die Ukraine tatsächlich erhält. Einige Waffensysteme fehlen den Amerikanern selbst, sodass die Lieferströme ins Stocken geraten könnten. ... Deutlicher formuliert wird hingegen die europäische Verantwortung. Der Appell des US-Präsidenten, die Energieverbindungen zu Russland zu kappen, ist positiv, doch entscheidend wäre, dass Trump mit seinem Freund Viktor Orbán spricht. Ungarn gehört zu den wichtigsten Käufern russischer Rohstoffe in der EU. Würde Budapest sich auch nur teilweise umorientieren, wäre die Wirkung spürbar.“
Möge der Stärkere gewinnen
Radio Kommersant FM sieht Trumps Aussagen als Rückzieher von seinen bisherigen Friedensbemühungen:
„Die wichtigste Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Die Friedensverhandlungen sind offiziell gescheitert, auf der Tagesordnung bleibt ausschließlich ein militärisches Szenario, genauer gesagt, eine neue Etappe der Eskalation. ... Der Chef des Weißen Hauses ist allerdings nach wie vor konstruktiv eingestellt, er nimmt keine pro-ukrainische Position ein, sondern distanziert sich einfach von den aktuellen Ereignissen und tritt zur Seite: Wenn Europa will und kann, soll es kämpfen, während sich die USA um ihre internen Probleme kümmern. Mit anderen Worten: Möge der Stärkere gewinnen.“
Krasser Kontrast zu Putin
Die Unbeständigkeit des US-Präsidenten findet La Libre Belgique unerträglich:
„Diese Haltungsrotationen veranschaulichen deutlich Trumps disruptive Außenpolitik: ständige Improvisation und Schockformeln mit dem alleinigen Ziel, einen Deal abzuschließen, so unbedeutend er auch sein mag. Eine inhaltsleere Politik, die einem vergänglichen Ego schmeichelt. ... Bei diesen Drehungen wird einem schwindelig gegenüber einem Wladimir Putin, der keinen Deut von seiner kriegerischen Strategie oder seinen eisigen Reden abweicht. Seit drei Jahren wiederholt der Kreml, dass die Ukraine ihre Gebiete nie zurückerhalten werde. ... Das Zögern des einen stärkt die Besessenheit des anderen. Eine frappierende Asymmetrie.“