Ukraine-Plan: Kapitulation oder Friedenssicherung?
Der von russischen und US-Unterhändlern erstellte 28-Punkte-Plan zur Beilegung des Ukrainekriegs liegt nun auch Kyjiw vor. Wolodymyr Selenskyj kündigte an, damit zu arbeiten, um ein "würdiges Ende des Krieges" zu erreichen. US-Außenminister Marco Rubio bezeichnete das Dokument als "Liste möglicher Ideen", nicht als finalen Vorschlag. EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas mahnte eine Beteiligung der Europäer an, damit der Friedensplan funktioniere.
Wenig Kraft, Diktatfrieden abzuwenden
SRF schwant nichts Gutes:
„Die ukrainische und die europäische Antwort auf diesen Geheimplan wäre normalerweise ein entschiedenes Nein. Doch die Lage hat sich erheblich zu Ungunsten der Ukraine verändert. Militärisch rückt Russland deutlich vor. Die ukrainischen Streitkräfte sind erschöpft, während Russland, trotz hoher Verluste, den Krieg weiterführen kann und weiterführen will. Präsident Wolodimir Selenski ist zudem wegen eines Korruptionsskandals zuhause in Bedrängnis. Und die Europäer erweisen sich als ausserstande oder unwillig, dem Land in seiner immer prekäreren Lage finanziell und militärisch ausreichend zu helfen. Kiews Handlungsoptionen werden weniger. Die Luft wird dünn. Die Chancen schwinden, sich einem russisch-amerikanischen Diktatfrieden verweigern zu können.“
Europa muss sich endlich aufraffen
Es wird Zeit, dass die EU ihren Worten Taten folgen lässt, fordert Helsingin Sanomat:
„Sowohl in Moskau als auch in einigen Kreisen in Washington ist man offensichtlich der Ansicht, dass der Korruptionsskandal im Umfeld des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ihn so sehr geschwächt hat, dass jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um die Ukraine mit harten Bedingungen unter Druck zu setzen. Allerdings dürfte es für Selenskyj nun noch schwieriger sein, diesen zuzustimmen. Für Europa, insbesondere für die EU, sollte dies ein Weckruf sein. ... Starke Worte reichen nicht aus, es sind Taten erforderlich. Vielleicht könnte die EU zunächst einmal versuchen, Entscheidungen zu treffen. Beginnen könnte man mit den in Belgien eingefrorenen russischen Geldern und mit Waffenlieferungen.“
Doppelkrise setzt Selenskyj unter Druck
Im eigenen Land wird die Lage für den ukrainischen Präsidenten brenzlig, stellt La Stampa fest:
„Gestern Abend sprachen viele politische Kommentatoren in Kyjiw von der 'Stunde X'. Die beiden Krisen – der Krieg gegen Russland und der Bestechungsskandal – haben sich auf fast unglaubliche Weise überschnitten und miteinander verflochten. Nimmt man noch hinzu, dass Putin in Militäruniform die Einnahme weiterer Städte in der Ostukraine verkündet und die Kyjiwer Führung als 'kriminelle Bande' bezeichnet, wird die mediale Wirkung beinahe apokalyptisch.“
Unsere halbherzigen Statements verpuffen
Dagens Nyheter hat eine klare Meinung zu dem Plan:
„Ein anderes Wort dafür ist 'Kapitulation'. Wladimir Putin darf das ganze Land nicht sofort verschlingen, aber man gibt ihm einen großen Bissen, und alles wird getan, um sicherzustellen, dass der Rest im Handumdrehen erobert werden kann. Dass die USA überhaupt so verhandeln, ist eine Schande. ... Europas Reaktion beschränkt sich auf eher halbherzige Erklärungen, dass Frieden die Zustimmung der Ukraine zu den Bedingungen voraussetzt. Wir scheinen dem Mann im Weißen Haus langsam als ziemlich nachgiebig zu gelten. Was unternimmt er, wenn er uns als gefügig ansieht? Drohungen mit Zöllen und dem Entzug von Sicherheitsgarantien, falls wir uns nicht den Versuchen anschließen, Kyjiw Putins Bedingungen aufzuzwingen.“
Moskau braucht einen Erfolg – und Geld
Politologe Nikolai Mitrochin macht sich auf Facebook Gedanken über Russlands Beweggründe zur Beendigung des Krieges:
„In dem ganzen Putin-Trump-Plan sehe ich nur einen Zweck: Dass die Ukraine die Truppen aus dem Nordwestteil des Gebiets Donezk abzieht und Moskau wenigstens Kramatorsk und Slawjansk in relativ heilem Zustand und mit zehntausenden Einwohnern zufallen. Dann könnte man vor dem russischen Publikum von einer 'Befreiung' reden. ... Aber in diesem Dokument gibt es auch das Eingeständnis, dass Russland den Krieg sehr schnell beenden will, weil das Geld alle ist und man sich schnell von den Sanktionen befreien muss. Und hier könnte die Rolle der EU entscheidend sein, wenn sie diese Vereinbarung nicht unterschreibt – wo soll Putin dann hin mit seiner Ware?“
Die Rechnung nicht ohne das Volk machen
Militärexperte Juri Fjodorow warnt in einem von Echo übernommenen Facebook-Post davor, bei Verhandlungen die ukrainische Zivilgesellschaft zu übergehen:
„Die Position der ukrainischen Gesellschaft spielt eine entscheidende Rolle. Wenn sie bereit ist – und das ist sie –, sich gegen die russische Invasion zu wehren, führt für sie eine mögliche Zustimmung eines jeden ukrainischen Leaders zum 'Trump-Plan' – sei es Selenskyi, jemand anderes oder eine 'kollektive Regierung' – zu einem Maidan. ... Das versteht man weder in Washington noch in Moskau, wo man denkt, es reiche, sich untereinander einig zu werden, um den Krieg zu beenden, und die Ukrainer nehmen gehorsam jedwede Vereinbarung an. Sie irren sich.“
Kyjiw in absurder Lage
Aktuálně.cz kommentiert:
„Der Plan ist absurd. Die Ukraine soll die Annexion der Krim anerkennen, den noch unbesetzten Teil des Donbass abtreten und einer Reduzierung ihrer Armee zustimmen. Genau das bietet der amerikanische Friedensplan Kyjiw an. Die einzige Hoffnung der Ukrainer ruht nun paradoxerweise auf Wladimir Putin, der wie immer die Masche abziehen kann: 'Mir reicht das nicht, ich will noch mehr.'“
Verlogenes Vorgehen
The Daily Telegraph empört sich über Trump:
„Selten gab es einen offensichtlicheren und zynischeren Kontrast zwischen öffentlichen Äußerungen und privaten Handlungen. Während Donald Trump seine Verärgerung über Wladimir Putin zum Ausdruck brachte und Sanktionen gegen Russlands größte Ölkonzerne verhängte, verhandelten die Gesandten beider Staatschefs weiter über die Zukunft der Ukraine. Das Bekanntwerden eines 28-Punkte-Friedensplans, auf den sich Russland und Amerika offenbar geeinigt haben, lüftet den Schleier über diesen Treffen. ... Wie in einem wiederkehrenden Albtraum sehen sich die Ukraine und der Rest Europas erneut mit der Aussicht konfrontiert, dass Trump sich mit Putin zusammentut, um Wolodymyr Selenskyj eine Einigung aufzuzwingen.“
Keine erzwungene Kapitulation zulassen
Der Abgeordnete der liberalen Estnischen Reformpartei Marko Mihkelson warnt bei Postimees:
„Die (geheimen) direkten Gespräche zwischen den USA und Russland (Steve Witkoff und Kirill Dmitrijev) können grundsätzlich nicht zu einem GERECHTEN Frieden in Europa führen. Die Folge wäre eine teilweise oder vollständige Kapitulation der Ukraine. Kyjiw kann dem nicht zustimmen. Jede Art von Verhandlungen über die Zukunft der Ukraine und Europas ohne die Beteiligung der Ukraine und Europas (wenn dies der Fall ist) ist eine Sackgasse. Estland ist ein europäischer Staat, und wir und die mit uns gleichgesinnten Länder können und dürfen unter keinen Umständen eine Kapitulation vor der russischen Aggression akzeptieren. Verhandlungen mit Kriegsverbrechern führen nicht zum Frieden.“
Washington lockert den Druck auf Moskau
Corriere della Sera schimpft:
„Morgen sollte das Weiße Haus unter Donald Trump die ersten Sanktionen gegen den russischen Ölsektor in Kraft setzen. Das wird nicht geschehen, zumindest nicht in einigen Schlüsselbereichen. ... Stillschweigend hat die Trump-Regierung im letzten Moment die Frist für den Verkauf aller ausländischen Assets der beiden russischen Ölkonzerne Rosneft und Lukoil vom morgigen Tag auf den 13. Dezember verschoben. Diese Vermögenswerte sind weiterhin verlockend für amerikanische Unternehmen, doch das Weiße Haus zieht es nun vor, den Druck zu mindern.“
Hoffentlich nicht nur Schall und Rauch
Nach Einschätzung von Radio Kommersant FM ist Bewegung in die Verhandlungen zwischen USA und Russland gekommen, wenngleich die Konturen noch diffus sind:
„Es ist nicht auszuschließen, dass dieses ganze Geschehen nur ein Nebelvorhang ist. Vielleicht ist wirklich etwas in Vorbereitung, und dafür müssen der Boden bereitet und die öffentliche Meinung bearbeitet werden. Aber Konkretes liegt nicht vor. Das alles ist im Geiste von Donald Trump, sein geliebter Kniff: eine Show veranstalten und die These von der eigenen Unberechenbarkeit ausbauen. Dessen ungeachtet entwickelt sich die Situation, dem muss man zustimmen. Also warten wir auf neue große Sensationen. Hauptsache, sie erweisen sich nicht als Schall und Rauch.“