Wie rassistisch ist Italien?

Nach einem Angriff auf die Diskuswerferin Daisy Osakue ist in Italien eine Debatte über Rassismus entbrannt. Die Sportlerin wurde aus einem vorbeifahrenden Auto mit Eiern beworfen und leicht verletzt. Das UN-Flüchtlingshilfswerk beobachtet eine Zunahme fremdenfeindlicher Attacken, die Opposition macht Innenminister Salvinis Flüchtlingspolitik dafür mitverantwortlich. Europas Presse schließt sich dieser Sicht an.

Alle Zitate öffnen/schließen
Aamulehti (FI) /

Moralische Dämme brechen weg

Eine ganz klare Verbindung zwischen der Politik der italienischen Regierung und der Zunahme rassistischer Angriffe sieht Aamulehti:

„Insbesondere der Vorsitzende der Lega, der stellvertretende Premier Matteo Salvini, hat Äußerungen gemacht, die als Diskriminierung von Minderheiten verstanden wurden. Neben Migranten standen Roma in seinem Fokus. Unter anderem hat er von einer 'Massensäuberung' auf Italiens Straßen gesprochen. Wahlergebnisse können moralische Dämme zum Brechen bringen, die zuvor verhinderten, dass zu Rassismus und Hass neigende Menschen Einwanderer und anders aussehende Menschen offen angreifen. Wenn Parteien an die Macht gelangen, die Unterstützer durch extremes Gedankengut gewinnen, können sich manche berechtigt fühlen, ihre eigene Beklemmung auf Kosten von Minderheiten zu entladen.“

El Mundo (ES) /

Hass kann weiter ausufern

Die EU muss Italiens Regierung zur Räson bringen, fordert El Mundo:

„Seit den vor dem Zweiten Weltkrieg aufgekommenen faschistischen Bewegungen hat Europa nicht mehr so eine alarmierende Welle rassistischer Intoleranz erlebt. Und es ist eine beängstigende Feststellung, dass diese Stimmung von der Regierung gefördert und angestachelt wird, deren Vizepremier und Innenminister Matteo Salvini sich gestern darüber freute, dass 108 auf hoher See gerettete Afrikaner nach Libyen abgeschoben wurden, bevor sie italienischen Boden erreichten. Ein Akt, der internationales Recht bricht. Europa kann diese gewaltsame Haltung eines EU-Mitglieds nicht weiter hinnehmen, weil sie die Werte aushöhlt, auf denen das europäische Projekt errichtet wurde. Denn wie die Geschichte zeigt, überwindet der Hass die Landesgrenzen viel schneller, als man ahnt, sofern nicht verantwortungsbewusst gehandelt wird.“

Mediapart (FR) /

Nur Gepöbel statt konstruktiver Lösungen

Salvini, der als Abgeordneter im EU-Parlament saß, hätte selbst dazu beitragen können, dass Europa eine gemeinsame Flüchtlingspolitik einschlägt, schimpft Mediapart:

„Hat er während seiner beiden Amtszeiten in Straßburg auch nur einmal eine europäische Lösung für die Flüchtlingskrise vorgeschlagen? Ohne die Schwierigkeiten Italiens oder dessen in den vergangenen Jahren geleistete Flüchtlingshilfe geringschätzen zu wollen, muss man feststellen, dass Salvinis Haltung vor allem veranschaulicht, wie ein Land angesichts einer herbeifantasierten Zuwanderung in Fremdenhass abgleiten kann, wohingegen andere Humanismus und Solidarität an den Tag gelegt und auf dringend notwendige europäische Hilfe zurückgegriffen haben.“

La Repubblica (IT) /

Innenminister provoziert munter weiter

Innenminister Matteo Salvini hält es nach eigener Aussage für Unsinn, beim Angriff auf Osakue von Rassismus zu sprechen. Mario Calabresi, Chefredakteur von La Repubblica, sieht das anders und macht Salvini für das Klima der Gewalt in Italien verantwortlich:

„In den vergangenen Wochen hat die rassistische Gewalt zugenommen. Sie hat in einem Klima der Hasspredigten fruchtbaren Boden gefunden. ... Tagelang schwieg die Regierung und machte sich damit mitschuldig. Gestern endlich verurteilten der Premier und der Justizminister die Gewalt. Doch es ist der Innenminister, der die Pflicht hat, für die Sicherheit der Bürger, und zwar aller Bürger, zu sorgen, damit die Gewalt nicht um sich greift. Regieren bedeutet hart arbeiten, nicht andere lächerlich machen und beleidigen. ... Wir brauchen keine Provokationen. Wir brauchen einen Innenminister.“

Corriere della Sera (IT) /

Die Geburt des Bösmenschen

Für Antonio Polito, Kolumnist von Corriere della Sera, zeichnet sich eine beunruhigende Tendenz in der Gesellschaft ab, die er als Bösmenschentum bezeichnet:

„Dabei geht es nicht nur darum, das 'Gutmenschentum' der Linken zu stürzen, das auf der Rhetorik beruhte, dass die Migrationsphänomene ohnehin zu groß sind, um gelenkt zu werden, weshalb alle aufgenommen werden müssten. ... Das 'Bösmenschentum', mit dem sich heute viele Menschen brüsten (ein Blick auf Twitter kann lehrreich sein), ist mehr: Es ist die Überzeugung, dass eine feindliche 'Invasion' im Gange ist, und dass es von daher eine moralische Rechtfertigung gibt, sich zu verteidigen. ... Kann man das als Rassismus bezeichnen? Nein, genau genommen nicht. Denn (noch) beruht er nicht auf der Proklamation der biologischen und historischen Überlegenheit einer - unserer - Volksgruppe. Aber er erzeugt zweifellos Formen der Rassendiskriminierung.“