Muss der Brexit verschoben werden?

Nach einer Corona-Zwangspause nehmen die EU und Großbritannien diese Woche einen neuen Anlauf, ihre künftigen Beziehungen nach dem Brexit zu klären. London will die Übergangsfrist für den Ausstieg aus der EU nicht verlängern. Sie soll planmäßig am 31. Dezember enden. Medien diskutieren, ob dies angesichts des akuten Kampfes gegen die Folgen des Virus zu verantworten ist.

Alle Zitate öffnen/schließen
The Sunday Times (GB) /

Wirtschaft zweiten Schock ersparen

Die britische Regierung sollte um eine Verlängerung der Übergangsphase ansuchen, appelliert The Sunday Times:

„Weil die britischen Unternehmen derzeit alles daran setzen, den Lockdown zu überleben, haben sie die Vorbereitungen auf den Brexit in den Hintergrund gestellt. Ihnen in dieser Phase eine abrupte Änderung der Beziehungen Großbritanniens zur EU oder einen No-Deal-Brexit zu bescheren, wäre der Gipfel der Verantwortungslosigkeit. Es verstärkt den Eindruck, dass wir es mit einer Regierung zu tun haben, die den Brexit über alles stellt. ... Es passt zu Boris Johnsons berüchtigtem 'Scheiß auf die Wirtschaft' vor dem Brexit-Referendum. Und es bestätigt das Bild einer Regierung, die so vom Brexit besessen ist, dass sie im Januar und Februar nur langsam auf die Gefahr des Coronavirus reagierte.“

The Daily Telegraph (GB) /

Aufschub brächte noch mehr Unsicherheit

Gerade wegen der Corona-Krise sollte sich Großbritannien möglichst rasch von der EU trennen, mahnt hingegen der konservative britische Ex-EU-Abgeordnete Daniel Hannan in The Daily Telegraph:

„Ein Kurswechsel würde jetzt mehr von dem schaffen, vor dem die britischen EU-Freunde in den vergangenen vier Jahren immer gewarnt haben: Unsicherheit. Unternehmen hätten keinen blassen Schimmer, ob und wann sie sich auf neue Rahmenbedingungen für den Handel einstellen sollten. ... Wir würden riskieren, in jene Konjunkturpakete einbezogen zu werden, die Brüssel als Reaktion auf die Corona-Tragödien in Spanien und Italien anordnen wird. ... Auf unbestimmte Zeit in dieser schlimmstmöglichen Schwebesituation gefangen zu bleiben und dabei dem EU-Recht auf Punkt und Beistrich zu unterliegen, ohne gegen diese Gesetze ein Veto einlegen zu können, wäre Wahnsinn.“