Zwischen Trump und Putin: Verzwergt Europa?
Seit dem Gipfeltreffen in Alaska zwischen Trump und Putin wächst bei den Europäern die Sorge, dass über den Ausgang des Kriegs in der Ukraine allein in Washington und Moskau entschieden wird. Nicht nur in dieser Frage sehen Kommentatoren Europa an den Rand gedrängt und fragen sich, welche Rolle der Kontinent geopolitisch überhaupt noch spielt.
Als Pragmatismus getarnte Untätigkeit
La Vanguardia zeichnet ein Bild der Schwäche:
„Die drei großen derzeitigen Krisen in der Welt haben eines gemeinsam: Europas irrelevante Rolle. Weder in den Kriegen in der Ukraine und im Gazastreifen noch im Zollkonflikt war der Alte Kontinent in der Lage, überzeugend und geschlossen aufzutreten. ... Europa beschränkt sich auf eine Rolle irgendwo zwischen Abhängigkeit und unterwürfiger Bewunderung unter dem Deckmantel des Pragmatismus. Gefangen zwischen seiner Rhetorik und seiner Passivität scheint es seine Soft Power verloren zu haben. ... Seine diplomatische Inkohärenz und strategische Schwäche treiben es auf der neuen geopolitischen Bühne in die Bedeutungslosigkeit, und seine Rolle in der Welt scheint allmählich zu schwinden.“
Kollektives Niederknien
Europa ist einer Haltung der Unterwürfigkeit und Rechtfertigung verfallen, schreibt Politologe Gintas Karalius in LRT:
„Die öffentliche Demütigung und das ständige Anbiedern an Trump entwickelten sich zur politischen Sommermode Europas. Billige Ausreden wie 'es hätte schlimmer kommen können' oder die Behauptung, es handle sich lediglich um ein 'vorübergehendes Übel', taugen kaum, um dieses kollektive Niederknien zu rechtfertigen. Denn die Risiken dauerhafter öffentlicher Erniedrigung sind offensichtlich: Wer sich einem Despoten als Fußabtreter anbietet, lädt auch andere dazu ein, auf einem herumzutrampeln. Hinzu kommt der oft unterschätzte demoralisierende Effekt auf die europäischen Gesellschaften.“
Gigant auf tönernen Füßen
Politologin Máriam Martínez-Bascuñán analysiert in El País:
„Europa, eine Wirtschaftssupermacht mit 450 Millionen Einwohnern und dem größten Markt der Welt, muss als Gruppe auftreten, um von Trump beachtet zu werden. ... Die Tragödie ist nicht die momentane Demütigung, sondern das, was sie offenbart. ... Unsere Führer sind Innenpolitiker ohne Blick für die Geopolitik. ... Und Europas Strukturen sind für die Wirtschaftssteuerung, nicht für Weltpolitik konzipiert. Das Einstimmigkeitsprinzip ermöglicht es Leuten wie Orbán, wichtige Entscheidungen zu blockieren. Und weil eine echte Regierung fehlt, müssen bei jeder Krise 27 Parteien verhandeln. Ohne Reformen, die qualifizierte Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik ermöglichen, bleiben wir ein Wirtschaftsgigant, der geopolitisch auf tönernen Füßen steht.“
Symbolische Gesten reichen nicht
Europa muss in Hinblick auf Friedensverhandlungen in der Ukraine mehr bieten als warme Worte, fordert der ehemalige Diplomat György Tatár in Népszava:
„Es ist überhaupt nicht sicher, dass Europa zu den nächsten Verhandlungen eingeladen wird. ... Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben nicht genug betont, dass sie auch an den weiteren Verhandlungsrunden teilnehmen wollen. ... Die Europäer haben bis heute nicht klargestellt, wie sie wirksam zur Sicherstellung des Waffenstillstands beitragen können. Gute Absichten reichen dafür nämlich nicht aus: Es müsste auch Abschreckungspotenzial angeboten werden, das sicherstellt, dass die Vereinbarung von den Parteien auch eingehalten wird. Wenn diese nicht ausgearbeitet werden, bleibt die Beteiligung Europas leicht eine symbolische Geste.“
Autonomie ist teuer, aber alternativlos
Die USA haben sich unter US-Präsident Trump brutal offen vom Beschützer zum Ausbeuter gewandelt, meint Blog Damijan:
„Europäische Staaten haben sich als Verlierer erwiesen, da sie in Militär, Technologie und Finanzen vollständig von den USA abhängig sind. ... China erscheint derzeit noch als wohlwollender Beschützer, doch auch das wird sich ändern, sobald Länder wirtschaftlich und technologisch völlig von ihm abhängig werden. Die einzig sinnvolle Strategie ist daher, ein möglichst hohes Maß an strategischer Autonomie in Schlüsselbereichen wie Militär, Technologie, Finanzen, Ernährung und Energie zu erreichen – auch wenn dies teurer ist, bleibt es der einzige Weg zu langfristiger Sicherheit.“
Ukraine und EU brauchen einander zum Überleben
Ein schneller EU-Beitritt der Ukraine würde nicht nur das bedrohte Land, sondern auch die Union selbst stärken, reflektiert der politische Analyst Miguel Baumgartner in Expresso:
„Die Einflüsse aus Moskau und Washington prägen auf ihre jeweils eigene Weise die europäische Innenpolitik. Das Ergebnis ist eine Union, die Gefahr läuft, zum Kollateralopfer dieses Krieges zu werden, nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch an den Wahlurnen und in den Parlamenten. Die Integration der Ukraine ist von entscheidender Bedeutung. Es handelt sich nicht nur um eine Geste der Solidarität, sondern um einen Akt der Selbsterhaltung. Es geht darum zu verstehen, dass die EU ohne Kyjiw in ihrem Schoß von innen heraus zerfallen und Opfer ihrer eigenen Widersprüche werden könnte.“