Frankreich: Regierung Bayrou steht vor dem Aus 

In Paris stellt am heutigen Montag Premierminister François Bayrou die Vertrauensfrage in der Nationalversammlung. Nach nicht einmal neun Monaten im Amt wird er sie voraussichtlich verlieren, denn die Opposition möchte seine Minderheitsregierung nicht mehr stützen. Hintergrund ist Bayrous umstrittener Sparhaushalt zur Bekämpfung der französischen Schuldenkrise. Europas Medien debattieren Ursachen, Folgen und potentielle Lösungsansätze.

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Financial Times (GB) /

Letztlich ist der Präsident dafür verantwortlich

Frankreich durchlebt eine doppelte Krisenzeit, so Financial Times:

„Die Lähmung der Regierung und die Unfähigkeit Frankreichs, die Staatsverschuldung einzudämmen, untergraben das Vertrauen der Unternehmen und Verbraucher, schwächen die Position des Landes in der EU und zerstören das, was vom politischen Vermächtnis von Präsident Emmanuel Macron noch übrig ist. ... Weiten Teilen der politischen Klasse Frankreichs mangelt es an haushaltspolitischer Ernsthaftigkeit. ... Letztlich ist es Macron, der für sieben Jahre Budget-Disziplinlosigkeit in Krisenzeiten verantwortlich ist und Frankreich mit den vorgezogenen Wahlen im letzten Jahr in das heutige politische Chaos gestürzt hat.“

L'Opinion (FR) /

Bald ein erneuter Sprung ins Ungewisse?

L'Opinion hegt wenig Hoffnung auf einen guten Ausgang dieser Krise:

„Ein Jahr ist vergangen und zwei Premierminister sind am Boden – Barnier im Dezember und Bayrou sicherlich am heutigen Montag. Zurück zum Ausgangspunkt mit derselben unlösbaren Gleichung. ... Unabhängig vom Profil des zukünftigen Premierministers scheint dieser zum gleichen Spagat zwischen der Links-Rechts-Spaltung verdammt zu sein, die man für überwunden gehalten hatte, ehe sie von Emmanuel Macron wiederbelebt wurde. ... Auf der Suche nach einer unauffindbaren Mehrheit will der Staatschef Zeit gewinnen, aber er hat keine mehr. Wie lange wird er noch durchhalten, bevor er einen neuen Sprung ins Ungewisse wagt, indem er die Nationalversammlung ein zweites Mal auflöst?“

Frankfurter Rundschau (DE) /

Ein linker Premier wäre Macrons letzte Rettung

Macron sollte endlich die Linke berücksichtigen, empfiehlt die Frankfurter Rundschau:

„Parteichef Olivier Faure hat sich anerboten. Er würde das Sparbudget der Regierung stoppen: Die geplante Streichung von zwei Feiertagen würde er rückgängig machen; dafür möchte er die 'Super-Reichen' stärker besteuern. Und Macrons umstrittene Rentenreform ad acta legen. Macrons Wirtschaftskurs wäre zerzaust. Immerhin könnte er mit der raschen Nominierung eines linken Premiers die Blockaden und Proteste ins Leere laufen lassen. Für Macron hat dieses Argument Gewicht: Er kann nicht sicher sein, ob er eine neue Protest- und Krawallserie politisch überleben würde. Der Staatschef steht damit vor der Frage, ob er lieber sich oder seine Rentenreform retten will. Beides scheint nicht möglich.“

Les Echos (FR) /

Folgt dem italienischen Muster zur Krisenbewältigung!

Les Echos zieht aus positiven Erfahrungen Italiens vier Lehren:

„Die erste betrifft die Notwendigkeit, weitreichende und politisch kostspielige Strukturreformen durchzuführen. ... Die zweite die Verpflichtung, die Anstrengungen auch bei einem Regierungswechsel langfristig fortzusetzen. ... Auch [Meloni] hat ihren Beitrag geleistet, indem sie sich von einer Reihe ihrer Wahlversprechen lossagte oder diese veränderte. ... Die dritte Lehre besteht in einem dauerhaften Widerstand gegen das Prinzip des 'Koste es, was es wolle' – auch auf die Gefahr hin, unbeliebt zu werden. ... Und die letzte Lehre ist die wichtigste: All diese Anstrengungen wurden unter dem Druck Europas unternommen. ... Italien musste seine Souveränität opfern, um gerettet zu werden. Darüber sollte man auch in Paris nachdenken.“

La Repubblica (IT) /

Es gibt zwei stabilisierende Faktoren

Nicht zuletzt wegen des robusten Wirtschaftswachstums macht sich der ehemalige EU-Kommissar Paolo Gentiloni in La Repubblica keine allzu großen Sorgen:

„Die Krise der Mehrheit im Parlament und die Krise der öffentlichen Finanzen sind verflochten und drohen sich gegenseitig zu verstärken. Es wird nicht leicht sein, diese Verflechtung zu lösen und eine institutionelle Krise zu vermeiden, wobei die relativ gute Wachstumsentwicklung die wirtschaftlichen Auswirkungen abmildert: Frankreich hat zwar eine Krise der öffentlichen Finanzen, wächst aber stärker als Italien. Außerdem gibt es einen institutionellen Mechanismus, der es französischen Regierungen ermöglicht, auch ohne das unmittelbare Vertrauen des Parlaments zu bestehen. Am Horizont zeichnet sich also kein finanzieller Abgrund ab, sondern ein Zustand anhaltender Unsicherheit.“

De Volkskrant (NL) /

Europas Politiker in der Krise

Frankreichs Krise ist eher politisch und weniger wirtschaftlich begründet und kein Einzelfall in Europa, meint De Volkskrant:

„Wie in anderen Ländern haben die großen Parteien der linken und rechten Mitte ihren Einfluss auf die Bevölkerung verloren. Macrons Versuch, die Mitte mit einer neuen Bewegung zu mobilisieren, ist völlig gescheitert, während die Extremen an den Flanken stärker geworden sind. ... Vor allem aber verdeutlicht Macrons politischer Niedergang die Krise der europäischen Entscheidungsträger. Die (geo-)politischen und wirtschaftlichen Probleme werden immer größer, während die politische Bedeutung der etablierten Ordnung immer geringer wird.“