Was macht Shein in der Hauptstadt der Mode?

Der chinesische Fast-Fashion-Riese Shein hat im renommierten Pariser Kaufhaus BHV sein weltweit erstes stationäres Geschäft eröffnet. Das verursachte einen Sturm der Entrüstung, denn Shein wird vorgeworfen, soziale und ökologische Standards zu ignorieren. Prompt wurden im Online-Angebot auch noch Sexpuppen im Aussehen von Kindern entdeckt, worauf Frankreichs Regierung eine Sperre der Plattform ankündigte.

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Aftonbladet (SE) /

Frankreichs Feldzug unterstützen

Aftonbladet ist entsetzt über das Sexpuppen-Angebot auf der Shein-Webseite:

„Schweden sollte den französischen Staat unterstützen und sich für ein EU-weites Verbot von Geschäften wie Shein einsetzen. Aber auch im eigenen Land kann man handeln. Die Verschärfung der Strafen für Kinderpornografie ist ein Anfang. ... Diese Maßnahmen werden das Problem natürlich nicht vollständig lösen, aber es ist ein Anfang. Längerfristig müssen wir auch die Motive hinter dieser Art von Verbrechen besser verstehen und Wege finden, sie zu verhindern.“

Ouest-France (FR) /

Verbreitetes Jekyll-and-Hyde-Syndrom

2024 haben laut Schätzungen der Modehochschule Institut français de la mode 35 Prozent der Franzosen online bei Shein eingekauft. Hier zeigt sich wieder einmal die Schizophrenie von Frankreichs Konsumenten, moniert Ouest-France:

„Sie sind darüber im Bilde, was dem Unternehmen vorgeworfen wird. ... Aber was soll's? Der Kaufzwang ist stärker. In einem Land, das von der Rückeroberung seiner 'Souveränität' besessen ist und das die Globalisierung verteufelt, handelt der Verbraucher oft im Widerspruch zu den Überzeugungen des Bürgers. Als Dr. Jekyll und Mr. Hyde verlangen wir von der Regierung oder der EU, dass sie die Anbieter regulieren, deren Praktiken unserer Wirtschaft, unserem Arbeitsmarkt und unserem Planeten schaden, kaufen aber deren Produkte und Dienstleistungen. Und das ist leider nicht nur bei Mode oder Textilien der Fall.“

Jornal de Notícias (PT) /

Die Heuchelei unserer Konsumkultur

Shein hat nur deshalb Erfolg, weil viele Menschen auf einen verantwortungsvolleren Konsum verzichten, schreibt Jornal de Notícias:

„Der Erfolg der Fast Fashion verdeutlicht die Heuchelei unserer Konsumkultur. ... Es nützt wenig, Gesetze gegen Fast Fashion zu erlassen, wenn in der Praxis weiterhin ein Geschäftsmodell möglich ist, das die Umwelt schädigt und Arbeitnehmer ausbeutet. Jedes Mal, wenn Ihnen der Preis eines Kleidungsstücks verlockend erscheint, sollten Sie zweimal darüber nachdenken. Was für Ihren Geldbeutel leicht aussieht, kommt den Planeten und das Leben vieler Menschen teuer zu stehen. Und das sollte uns ernsthaft auf dem Gewissen liegen.“

Les Echos (FR) /

Inspirierender Marketingpionier

In mancher Hinsicht sollte Shein als Vorbild fungieren, rät das Wirtschaftsblatt Les Echos:

„Der Mode-Gigant Shein ist vor allem ein Experte in digitalem Marketing, der Nachfragetrends präzise und mit hoher Reaktionsfähigkeit analysiert. Daraus hat er die industriellen Konsequenzen gezogen, indem er seine Produktion auf eine Armee von Drittanbietern stützt, die extrem flexibel reagieren müssen. In der Mode, aber auch in weit schwereren Industrien wie der Autobranche haben die Unternehmen keine Wahl. Sie werden sich auf eine genauere Kenntnis der Erwartungen der Verbraucher ausrichten müssen. Sie müssen die Entwicklungs- und Produktionszyklen verkürzen. Und sie müssen dafür sorgen, ihr Angebot stärker zu personalisieren.“

La Libre Belgique (BE) /

Discounter des weltweiten Zynismus

Gegen die zügellose Billigökonomie muss endlich etwas getan werden, wettert La Libre Belgique:

„Unsere politischen Entscheidungsträger auf allen Ebenen müssen eine klare juristische Barriere gegen diese Wirtschaft ohne Glauben und Gesetz errichten. Das Verbot von Importen, die gegen unsere sozialen und ökologischen Standards verstoßen, ist kein Protektionismus, sondern gesunder Menschenverstand. Unsere Regionen dürfen nicht zum Discounter des weltweiten Zynismus werden. Es ist sinnlos, auf den nächsten Skandal zu warten, um zu reagieren. Plattformen wie Shein stehen für unfaire und umweltschädliche Konkurrenz. Der Erfolg dieses Modells sagt weniger über Chinas Stärke aus als über unsere eigene Schwäche. Nein, wirklich: Am Shein-Modell ist alles falsch.“

Le Figaro (FR) /

Durch Europas enge Maschen geschlüpft

Le Figaro prangert die Ohnmacht Europas gegenüber dem Fast-Fashion-Giganten an:

„Im Gegensatz zu den bei uns hergestellten Produkten, die tausend peniblen Kontrollen unterzogen werden, schlüpfen die Waren von Shein auf seltsame Weise durch die Maschen unseres dichten Regelwerks. Es heißt, im Paradies der Normen fehle es an Mitteln, um diesen fragwürdigen Handel zu überwachen. Es heißt auch, dass Europa, trotz seines beispiellosen Regelungsfleißes, diese infernalische Maschinerie erst in mehreren Jahren wird stoppen können. Donald Trump hingegen hat eine Mauer errichtet, indem er eine Steuer von 100 Prozent auf die Pakete von Shein und seinen Mitstreitern verhängte – und die Anzahl ihrer Sendungen damit um 40 Prozentpunkte sinken ließ. Man will es kaum glauben.“

Libération (FR) /

Der Konsument allein kann es nicht richten

Am Ende wird die Verantwortung allein den Verbrauchern zugeschoben, empört sich Libération:

„Ein Monat voller heftiger Debatten, Streiks, Petitionen und Kapitalflucht – doch nichts hat Frédéric Merlin aufgehalten… Was bleibt also? Nur noch an die Verantwortung der Verbraucher zu appellieren? Ihnen aufzutragen, die T-Shirts für einen Euro zu vergessen und sich stattdessen mit der endlosen Liste der Übel zu befassen, die Shein in Frankreich und weltweit mit sich bringt: Umweltverschmutzung als globaler CO2-Champion, Mikroplastikpartikel aus Polyesterkleidung, Berge von Wegwerfware, giftige Produkte, unwürdige Arbeitsbedingungen, zerstörte Arbeitsplätze durch unfaire Konkurrenz, die weder soziale Rechte noch Verbraucherschutz respektiert. Am Ende soll also der Verbraucher allein dem Koloss entgegentreten, dessen Umsatz 2024 bei 38 Milliarden Dollar lag? Da läuft etwas gewaltig schief.“