Kommt der Flüchtlingspakt mit Nordafrika?

Die EU-Kommission hat die Pläne von Italiens Premier Renzi zur Kooperation mit nordafrikanischen Staaten begrüßt. Er will, dass diese nach dem Vorbild des EU-Türkei-Deals Migranten aufhalten und zurücknehmen. Dafür sollen sie finanzielle und logistische Unterstützung erhalten. Werden Geflüchtete bald ins Bürgerkriegsland Libyen abgeschoben?

Alle Zitate öffnen/schließen
The Independent (GB) /

Zeugen des IS-Terrors willkommen heißen

Anstatt Flüchtlinge in die Türkei oder nach Nordafrika zurückzuschicken, sollte Europa sie aufnehmen und ihre Schreckensberichte als Waffe gegen den Islamismus einsetzen, rät die Tageszeitung The Independent:

„Die Berichte von Flüchtlingen stellen eine einmalige Möglichkeit dar, den Darstellungen der Extremisten etwas entgegenzusetzen. ... Familien, Überläufer und Flüchtlinge können - wenn sie unterstützt und beschützt werden - überzeugend und persönlich die Gewalttaten der IS-Milizen bezeugen. Wir sind die am besten vernetzte, digitale und verbundene Generation der Geschichte der Menschheit. Glaubwürdige Stimmen, Botschafter und wahre Berichte sind bei der Bildung von Vorstellungen entscheidend. Flüchtlinge und Familien sind eine nicht angezapfte Quelle von enormer emotionaler Stärke. Und sie sind eine Generation, die, wenn sie respektiert und gut behandelt wird, eine organische Masse darstellt, die extremistischen Ideologien widerstehen kann.“

Corriere della Sera (IT) /

Jetzt nicht über die Details streiten

Renzi schlägt vor, das mögliche EU-Afrika-Abkommen mit Eurobonds zu finanzieren. Doch darauf sollte sich Rom nicht versteifen, meint der Corriere della Sera:

„Es geht nicht um die in Italien so beliebten Eurobonds, die Deutschland verhasst sind. Die Debatte zwischen Rom und Berlin dreht sich um die Notwendigkeit, eine mittel- bis langfristige Strategie zu finden. Der Vorschlag der Regierung Renzi lässt sich mit dem Konzept mehr Leistung für mehr Gegenleistung zusammenfassen: Mehr konkrete Hilfen für afrikanische Länder - mit einer neuen Logik als die der bisherigen Hilfen - als Gegenleistung Kontrollen und Eindämmung der Migrantenströme in den Ausreiseländern. Die Kosten dafür müssen gedeckt werden, so wie auch der von Merkel gewollte Pakt mit der Türkei finanziert werden musste. Ganz gleich ob mit oder ohne Eurobonds. Ziel ist es, die Flüchtlingsströme einzudämmen. ... Und hier, in der Findung einer gemeinschaftlichen Lösung, dürften Deutschland und Italien übereinstimmen.“

Die Presse (AT) /

Fehler in Libyen kommen EU teuer zu stehen

Dass so viele Flüchtlinge die gefährliche Reise über das Mittelmeer antreten, ist eine Folge des verfehlten internationalen Militäreinsatzes in Libyen 2011, analysiert die konservative Tageszeitung Die Presse:

„Nach dem von Europäern forcierten Militäreinsatz hätte es deshalb vor allem europäischer Anstrengungen bedurft, um der inhomogenen Rebellenallianz bei der Suche nach einer tragfähigen Nachkriegslösung zu helfen. ... Doch diese Anstrengungen waren nur halbherzig. Die Rivalitäten zwischen Libyens neuen Herren verschärften sich immer mehr, bis das Land 2014 erneut in den Strudel der Gewalt hinabgezogen wurde. ... Die Stabilisierung Libyens ist eine ernste Prüfung für die EU-Außenpolitik. Denn weitere Planungsfehler wird Europa direkt zu spüren bekommen.“

Il Sole 24 Ore (IT) /

Rom will nicht tatenlos abwarten

Italien will mit seinem Vorschlag eines Flüchtlingsdeals mit afrikanischen Staaten verhindern, wie Griechenland zu enden, analysiert die Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore:

„Als prädestiniertes Opfer der nächsten Flüchtlingswelle beabsichtigt Italien weder, sich von ihr überrollen zu lassen, noch tatenlos abzuwarten, bis die europäischen Partner dem Land widerwillig beistehen und etwas unternehmen. Die griechische Lektion war lehrreich. Solange die Partner nicht selbst betroffen sind, rühren sie keinen Finger. ... Eben weil Italien nicht in der 'griechischen' Ecke landen will - abgeschnitten nicht von der mazedonischen Mauer sondern von der auf dem Brenner - versucht die Regierung Renzi, das in einem gefährlichen Auflösungsprozess begriffene Europa wiederzubeleben.“

Zeit Online (DE) /

EU braucht Flüchtlingsdeal mit Tripolis

Was Europa jetzt - nach dem erneuten Flüchtlingsunglück auf dem Mittelmeer - tun muss, listet Zeit Online auf:

„Als Erstes muss man Italiens Küsten als Europas Küsten begreifen. Es ist die Aufgabe und Pflicht aller Mitglieder der EU, diese Grenzen sichern zu helfen. ... Wenn Italiens Premierminister Matteo Renzi in Brüssel Vorschläge unterbreitet, wie er es vor wenigen Tagen getan hat, dann muss man ihn ernst nehmen und mit ihm kooperieren - unter allen Umständen. Europa muss mit vereinten Kräften versuchen, Libyen zu stabilisieren. Es gibt inzwischen in Tripolis eine nationale Einheitsregierung. Auch wenn sie noch auf sehr wackeligen Beinen steht, es ist ein Anfang. Mit einem stabilen Libyen wird Europa ein Abkommen treffen können, wie es mit der Türkei getroffen wurde. Das wäre nicht perfekt, aber es ist das, was man erreichen könnte. Drittens muss man den Kampf gegen die Schlepper verstärken. Auch da geschieht schon einiges. Und es ist beileibe kein aussichtsloser Kampf, wie oft suggeriert wird.“

Deutschlandfunk (DE) /

Pakt mit Libyen wäre absurd

Die Staatengemeinschaft muss mit weit größerer Kraft als bisher Fluchtursachen bekämpfen, fordert der Deutschlandfunk:

„Das fängt bei einer angemessenen Ausstattung der Welthungerhilfe und der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen an, die unbegreiflicherweise immer wieder um Geld betteln müssen. Das geht mit Bildungspartnerschaften, Investitionen, fairem Handel, vernünftigen Einwanderungsgesetzen weiter. Und mit der Bereitschaft zu harten Sanktionen gegen menschenverachtende Potentaten, auch wenn damit den Sanktionierenden manch gutes Geschäft verhagelt würde. Wenn es um den Kampf gegen die Terrormilizen des IS geht, gehört zum Maßnahmen-Paket eben auch militärisches Vorgehen. ... Geradezu absurd ist es aber, von einem möglichen Flüchtlingsdeal mit Libyen, analog zu dem mit der Türkei, in absehbarer Zeit auch nur zu träumen. Niemand darf hier, heute - und wohl noch längere Zeit nicht - in dieses Land zurückgeschickt werden.“