Selbstverständnis der EU: Friedlich war gestern?

Die Grundfesten der EU beruhten jahrzehntelang auf Handel und dem Binnenmarkt, während für Sicherheit andere zuständig waren. Mit dem Krieg gegen die Ukraine ist es damit vorbei, Sicherheits- und Verteidigungspolitik stehen ganz oben auf der Agenda und durch Waffenlieferungen ergreift die EU Partei. Nicht alle Medien Europas begrüßen diesen Mentalitätswandel.

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Magyar Nemzet (HU) /

Moderate Haltung nicht aufgeben

Sachlichkeit ist in Europa nun das wichtigste Gut, betont die Ökonomin Katalin Botos in Magyar Nemzet:

„Dass die lange Ära des friedlichen Zusammenlebens in Europa vorbei ist, ist an sich ein Epochenwechsel. ... Früher hat man zwar Atomdrohungen erlebt, aber Gott sei Dank blieben diese nur auf der Ebene der Abschreckung. Neben den Politikern haben großartige Denker wie die Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer oder Alva Myrdal viel für den Abbau von Waffenarsenalen getan, in internationalen Foren, die damals noch Ansehen hatten. Heutzutage haben diese Foren einen großen Prestigeverlust erlitten. ... Gesunder Menschenverstand, sachliche Diplomatie, klare Informationen und moderater Kommunikationsstil sind heutzutage von besonderer Bedeutung.“

Expresso (PT) /

Auch kein amerikanisches Roulette, bitte!

Die EU darf nicht den Fehler begehen, sich angesichts des Kriegs gegen die Ukraine in den Schoß der USA zu flüchten, schreibt Expresso:

„Nur ein hilfloses Europa würde sein Schicksal der Lotterie eines Landes anvertrauen, das noch vor gut einem Jahr über die Gefahr eines Bürgerkriegs debattierte. Vielleicht ist es gut, sich anzusehen, was mit den Republikanern geschieht, und darüber nachzudenken, ob man seine Außen- und Verteidigungspolitik wirklich denjenigen überlassen will, die möglicherweise eine tiefgreifende und beängstigende politische und kulturelle Konterrevolution vorbereiten. Die EU sollte überlegen, ob sie russisches (oder amerikanisches) Roulette spielen will oder ob es an der Zeit ist, sich zu emanzipieren und für sich selbst zu sorgen.“

Liberal (GR) /

EU braucht ein demokratisches Russland

Ein Russland ohne Putin könnte sich mittelfristig der EU annähern, meint der Schriftsteller Giorgos Karampelias in Liberal:

„Die russische Invasion hat Europa aus seinen Illusionen erweckt und zu der Erkenntnis gebracht, dass es diese Handelslogik des deutschen Europas überwinden kann, die zu einer Energieabhängigkeit von Russland mit enormen geopolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen geführt hat. … Europa hat ein strategisches Interesse daran, dass Putin besiegt wird. Schließlich könnte sich ein Russland, das sich wie ein europäischer demokratischer Nationalstaat verhält und seine imperialen Träume aufgibt, langfristig der EU annähern. Dies setzt jedoch den Sturz Putins und den Aufstieg demokratischer Kräfte voraus.“