Großbritannien: Abschiebeflug nach Ruanda gestoppt

Der Start des ersten Abschiebeflugs aus Großbritannien nach Ruanda ist im letzten Moment vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte untersagt worden. Die britische Innenministerin Priti Patel erklärte am Dienstagabend, sie sei enttäuscht über die Gerichtsentscheidung, werde aber ihre Flüchtlingspolitik fortsetzen. Dass das Urteil diese Praxis nicht unterbinden wird, legt auch der Blick in die Kommentarspalten nahe.

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Göteborgs-Posten (SE) /

Britisches Modell trotzdem eine Lösung

Für Göteborgs-Posten sollte die EU zwar nach wie vor die Grenzen bei Konflikten in den Nachbarregionen öffnen, wie jetzt in der Ukraine,

„[a]ber darüber hinaus kann Europa keine große Asyleinwanderung aus dem Rest der Welt haben. Es ist sozial nicht tragbar und es gibt nichts moralisch Fragwürdiges daran, die Bearbeitung von Asylanträgen beispielsweise in afrikanische Länder auszulagern, solange diese einigermaßen stabil sind und das Verfahren auf rechtlich sichere Weise durchgeführt werden kann. Die EU hat allen Grund, das britische Beispiel zu studieren und zu sehen, wie es weiterentwickelt werden kann.“

eldiario.es (ES) /

Europäer von Humanität längst entfernt

Dass diese Art des Umgangs mit Asylbewerbern Schule machen könnte, befürchtet eldiario.es:

„In mehreren europäischen Ländern gibt es viele Wähler, die Ausländer loswerden wollen und es nicht an der Wahlurne bestrafen, wenn dies illegal und unter Verletzung eingegangener Verpflichtungen geschieht. Diese Haltung erhöht den Druck auf Nachbarländer wie Frankreich und Belgien, die die Menschenrechte weiterhin achten, zumal die Zahl der Asylbewerber in ihren Ländern anstiege. Sollten sie in die Falle tappen, das Gleiche zu tun, führt dies zu einer Kettenreaktion. Wir haben eine Situation erreicht, in der ein hoher Anteil der Europäer der Humanität und den Grundrechten sowie den von ihren Staaten eingegangenen Verpflichtungen keinerlei Bedeutung mehr beimisst.“

taz, die tageszeitung (DE) /

Das sind Peanuts gegen die Taten der EU

Der britische Ruanda-Deal markiert nicht die Spitze europäischer Grausamkeiten gegenüber Flüchtlingen, erinnert die taz:

„Auch Dänemark versucht, seine Abschiebehaft in das Kosovo auszulagern, und verhandelt mit afrikanischen Staaten über exterritoriale Asylverfahrenslager. Und die von der EU aufgebaute libysche Küstenwache hat allein in diesem Jahr rund 8.000 Menschen kurz vor dem Erreichen europäischer Gewässer gestoppt und zurück in Folterlager in Libyen gebracht. In den vergangenen sechs Jahren summierte sich die Zahl der zurück nach Libyen Geschleppten auf über 80.000. Sowohl was Entrechtung als auch was die eingesetzte Gewalt angeht, stellt diese Strategie der Flüchtlingsabwehr den Londoner Plan klar in den Schatten.“

Mediapart (FR) /

Reine Abschreckungsstrategie

Johnsons Regierung sucht keine angemessene Strategie, klagt Mediapart:

„Selbstverständlich hätten die zur Erarbeitung dieser Pläne aufgewendete Energie und Zeit in die Entwicklung einer würdigen Aufnahmepolitik oder wirklich sicherer und legaler Routen gesteckt werden können, wie Wissenschaftler raten, um die Risiken zu begrenzen, die Auswanderer auf ihrem Migrationsweg eingehen. Die von der britischen Regierung gewählte Strategie scheint jedoch eine ganz andere zu sein: eine Antwort auf die extremsten Tendenzen eines Teils der öffentlichen Meinung zu liefern, die von Hass durchtränkt ist, und gleichzeitig die Auswanderer davor abschrecken, eine Überfahrt zu wagen.“

The Guardian (GB) /

Hier wird ein Grundrecht verletzt

Die Abschiebeflüge sind rechtswidrig, argumentiert Kerry Smith von der NGO Asylum Aid in The Guardian:

„Es wird auf unmögliche Fristen gesetzt, die Asylsuchenden nicht die Möglichkeit geben, Rechtsberatung zu erhalten, anwaltlich vertreten zu werden und darzulegen, warum sie nicht abgeschoben werden sollten. ... Unter den Menschen, die ursprünglich für die Abschiebung vorgesehen waren, sind ein ehemaliger Polizist aus dem Iran, der sich weigerte, friedliche Demonstranten zu erschießen, und ein Folteropfer aus dem Sudan. ... Menschen, die vor Gefahr, Menschenrechtsverletzungen, Menschenhandel oder Folter Schutz im Vereinigten Königreich suchen, sollten grundsätzlich die Möglichkeit haben, ihren Fall auf faire und rechtmäßige Weise darzulegen.“

The Times (GB) /

Keine praktikablen Alternativen

Verständnis für das Vorgehen der britischen Regierung zeigt The Times:

„Man sollte der Regierung nicht vorwerfen, dass sie nach Lösungen für das anhaltende Problem der illegalen und gefährlichen Überquerungen des Ärmelkanals sucht. ... Es ist eine faire Erwiderung, wenn Außenministerin Liz Truss argumentiert, dass die Kritiker dieser Politik bislang keine praktikablen Alternativen hervorgebracht haben. Aber die Regierung konnte bisher auch nicht nachweisen, dass ihre Politik legal oder umsetzbar ist. ... Damit ein Einwanderungssystem funktioniert, müssen Menschen darauf vertrauen können, dass es weder missbraucht wird noch eine schlichte Antwort auf Vorfälle ist.“

La Libre Belgique (BE) /

Zynisch und unmoralisch

Londons Politik tritt internationales Recht mit Füßen, kritisiert La Libre Belgique:

„Großbritannien schickt Schutzsuchende tausende Kilometer in die Ferne, ohne sich überhaupt die Mühe einer Überprüfung ihres Rechts auf Asyl zu machen. ... So als würde man Staub beseitigen, indem man ihn unter den Teppich kehrt. London putzt sich an der Genfer Konvention die Schuhe ab und eskortiert die Schutzsuchenden in Richtung eines weniger wohlhabenden Landes, das zwar in Sachen wirtschaftliche Entwicklung als Musterschüler dasteht, aber von einer Regierung geführt wird, die sich wenig um Grundrechte schert. Diese Politik ist zynisch und unmoralisch. Sie tritt die Menschenwürde und das internationale Recht mit Füßen.“

Corriere della Sera (IT) /

Die Guten ins Töpfchen

Corriere della Sera erläutert, was der Brexit mit der Sache zu tun hat:

„Das Paradox ist, dass Großbritannien nach dem Brexit keine Abriegelung, sondern einen Einwanderungsboom erlebt hat. Während die Zuwanderung aus Europa zurückgegangen ist, sind die Ankünfte aus Asien und Afrika explodiert. ... Der Punkt ist aber, dass die öffentliche Meinung keineswegs gegen die Einwanderung als solche, sondern vielmehr gegen die Idee offener Grenzen ohne Kontrollen ist. … Dies gilt umso mehr, als die neue Einwanderung nach dem Brexit aus hochqualifizierten Fachkräften besteht, die einen wichtigen Beitrag zur britischen Wirtschaft und Gesellschaft leisten. Die Verlierer sind die vielen verzweifelten Menschen, die vor Krieg und Hungersnot fliehen.“