Großbritannien: Mit Rishi Sunak zu mehr Stabilität?

Großbritannien hat einen neuen Premier: Der Ex-Finanzminister und Multimillionär Rishi Sunak wurde am Dienstag von König Charles III. mit der Regierungsbildung beauftragt und stellte anschließend sein Kabinett vor. Europas Presse hat unterschiedliche Erwartungen.

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The Irish Times (IE) /

Endlich wieder Vernunft am Werk

The Irish Times ist erleichtert:

„Zum ersten Mal seit mehreren Jahren besteht ernstzunehmende Hoffnung, dass Großbritannien einen Premierminister hat, der normal und rational denkt, spricht und handelt. Es ist unwahrscheinlich, dass sich, wie unter Johnson, ein durch den Brexit angeheizter Angriff auf demokratische Institutionen und Werte Großbritanniens wiederholen wird. Ebenso wird es keine Wiederholung der von Truss ideologisch geprägten Unsinnstreiberei mit der britischen Wirtschaft geben. Sunak steht vor großen Problemen und wird möglicherweise Fehler machen. Allerdings werden diese dann auf einen objektiven Beurteilungsfehler zurückgehen und nicht auf vorgefertigte ideologische Fantastereien wie in den vergangenen Jahren.“

Naftemporiki (GR) /

Labour wird nicht abwarten und Tee trinken

Sunak wird sich auf heftigen Gegenwind einstellen müssen, betont Naftemporiki:

„Umfragen zufolge liegt Labour derzeit 30 Punkte vor den Konservativen. Wird der neue Vorsitzende der Tories über die nötige Popularität verfügen und die Führung zurückerobern können? Als Technokrat, der aus der Welt der Märkte und der City kommt, wird er die Finanzmärkte sicherlich beruhigen. Aber die Wähler? Das ist die große Unbekannte. Schließlich hat die Labour Party in sozialen Fragen bereits eine harte Opposition gestartet. Labour wartet seit über einem Jahrzehnt darauf, an die Macht zurückzukehren, und der Gegenwind wird heftig sein. Was auch immer Sunak tut.“

Gordonua.com (UA) /

Spontanbesuche werden Kyjiw fehlen

Wie sich die Personalie auf das Verhältnis zur Ukraine auswirkt, analysiert Serhij Taran, Direktor des Thinktanks International Democracy Institute, auf Gordonua.com:

„Ein Problem könnte sein, dass sich Sunak zu sehr auf innenpolitische Themen konzentriert. ... Plötzliche Besuche des britischen Premierministers in Kyjiw in entscheidenden Augenblicken der Geschichte, wie sie Johnson gerne unternahm, wird es wohl nicht geben. Ansonsten aber unterstützt Sunak die Position seines Vorgängers voll und ganz und betont, dass eine entschlossene Reaktion auf Putins Aggression zu Johnsons Errungenschaften gehöre.“

Frankfurter Rundschau (DE) /

Das Gesicht einer toleranten Gesellschaft

Die Frankfurter Rundschau würdigt die Tatsache, dass zum ersten Mal ein Nicht-Weißer das höchste Regierungsamt Großbritanniens innehaben wird:

„Mag Sunak auch aus der wohlhabenden Mittelschicht stammen und eine klassische Tory-Karriere durchlaufen haben – sein Gesicht in der Downing Street steht für eine offene, trotz aller Brexit-Friktionen tolerante Gesellschaft. Viele europäische Verbündete hinken bei der Integration ihrer Minderheiten weit hinter Großbritannien her. In der britischen Politik sind es wieder die Konservativen, die personell neue Wege gehen. Drei Premierministerinnen hat das Land bisher gehabt, alle waren Torys. Nun also ein sichtbarer Vertreter einer ethnischen Minderheit. Dagegen sieht die oppositionelle Labour-Party alt aus.“

The Guardian (GB) /

Soziale Not ist für ihn zweitrangig

Vom früheren Investmentbanker ist keine Wohltätigkeitspolitik zu erwarten, warnt The Guardian:

„Der neue Premierminister ist der reichste Mann im Parlament. Obwohl er nicht vom Volk gewählt wurde, unternimmt er wenig, um die Menschen zu beruhigen, die krank vor Sorge sind angesichts steigender Kosten und immer längerer Wartezeiten beim NHS [öffentliche Gesundheitsversorgung]. Das ist echte Not. Dennoch scheint Sunak die Hilfszahlungen für die Energierechnungen der Haushalte im April stoppen zu wollen. Er ist offensichtlich der Meinung, dass es wichtiger ist, die Staatsschulden abzubauen, als Menschen vor dem Elend zu bewahren. ... Die großen Gewinner seines Amtsantritts werden Investoren in britische Staatsanleihen sein.“

Le Temps (CH) /

Kaum Handlungsspielraum

Es wird nicht einfach, betont Le Temps:

„Der Premier erbt eine katastrophale Wirtschaftslage. Sein Handlungsspielraum ist eng begrenzt. Man kann sich schwer vorstellen, dass er eine andere Politik betreibt als eine zwangsläufig unbeliebte Sparpolitik. … Für den Politiker und Multimillionär Rishi Sunak wird es schwierig werden, innerhalb von zwei Jahren die [von Boris Johnson eroberten Labour-] Wähler zu überzeugen. Sollte er vorher aus dem Amt gejagt werden, wird man um Neuwahlen nicht herumkommen in einem Land, das sich rühmt, eine der ältesten Demokratien der Welt zu sein.“

Polityka (PL) /

Der Neue wird vorsichtiger agieren

Polityka glaubt, dass mit Premier Sunak wieder Ruhe einkehrt:

„In wirtschaftlicher Hinsicht wird Sunak eher vorsichtig agieren und versuchen, den Kurs umzukehren, den Liz Truss mit ihrer Post-Thatcher-Politik vorgegeben hat. Die Märkte werden seine Ernennung mit Erleichterung aufnehmen und das Pfund wird sich stabilisieren. ... Sunak wird wahrscheinlich auch davon absehen, das Vereinigte Königreich gegenüber wichtigen Partnern, einschließlich der USA, weiter zu isolieren. Er wird die Unterstützung für die Ukraine aufrechterhalten und es wird erwartet, dass seine Antwort auf die Energiekrise in einer teilweisen Subventionierung der Rechnungen für die ärmsten Haushalte bestehen wird. Ansonsten bleibt alles beim Alten.“

Lrytas (LT) /

Lektion für alle Populisten

Politik auf Pump funktioniert eben nicht, analysiert Nerijus Mačiulis, Wirtschaftsexperte bei der Swedbank, auf Lrytas:

„Das britische Drama ist ein gutes Beispiel dafür, dass Populismus und das Verteilen von Geschenken zwar möglich, wenn auch sicher nicht empfehlenswert sind, solange die Zentralbanken die Drucker laufen lassen. Wenn sie jedoch die Inflation bekämpfen müssen, begrenzt dies den Spielraum der Regierungen - und die Länder der Eurozone sollten dies bedenken. Regierungen, die alle nacheinander mit Geld retten wollen, das sie nicht haben, könnten bald in eine Situation geraten, aus der sie selbst gerettet werden müssen.“