Ex-Präsident Sarkozy verurteilt: Was bedeutet das?

In einem Prozess um mögliche illegale Wahlkampffinanzierung hat ein Gericht den ehemaligen französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy in Teilen für schuldig erklärt und zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Er habe enge Mitarbeiter mit dem Ziel handeln lassen, seinem Wahlkampf von 2007 finanzielle Unterstützung des libyschen Ex-Machthabers Muammar al-Gaddafi zukommen zu lassen. Kommentatoren ordnen ein.

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Süddeutsche Zeitung (DE) /

Französischer Rechtsstaat funktioniert

Für den Frankreich-Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung, Oliver Meiler, ist das Urteil eine Riesensache:

„Was hat dieses Land in seiner Geschichte nicht schon an strafrechtlich relevanten Affären und Skandalen erlebt. Auch und gerade mit Politikern. Doch die Verurteilung eines früheren Präsidenten der Republik zu fünf Jahren Haft wegen der Zugehörigkeit zu einer Gaunerbande, die sich die Gunst und das Geld des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi sichern wollte, wie das Pariser Gericht sie festgestellt hat – das ist schon eine ganz große Sache. ... Sarkozy spricht nun von einem 'Skandal', das Urteil sei 'extrem gravierend für den Rechtsstaat'. Das Gegenteil ist wahr. Der französische Rechtsstaat hat trotz des Druckgebarens des ehemaligen Präsidenten und der Tricks von dessen Anwälten funktioniert.“

Le Figaro (FR) /

Urteil spiegelt Hybris der Justiz wider

Le Figaro mutmaßt, dass sich die Richter am Ex-Präsidenten gerächt haben:

„Es war von Millionen die Rede, doch niemand hat dafür Beweise gesehen. Auch eine persönliche Bereicherung seitens des ehemaligen Staatschefs gab es nicht. ... Alles an diesem absurden, widersprüchlichen Urteil ist unverständlich. ... Außer vielleicht, dass es die Hybris der Justiz widerspiegelt. ... Zahlt Nicolas Sarkozy den Preis für seine ehemals unfreundlichen Worte gegenüber der Richterzunft? Ist er Opfer einer politischen Abrechnung? ... Die Linke mag höhnisch spotten, aber das Image der Heimat der Menschenrechte ist dadurch nicht gerade gewachsen.“

El País (ES) /

Vorbildfunktion verloren

El País setzt auf grundlegende Veränderungen in Frankreich:

„Das ist eine beispiellose Entscheidung von höchster Bedeutung: Zum ersten Mal muss ein ehemaliger Staatschef ins Gefängnis. ... Mit dieser Entscheidung hat das französische Justizsystem alle Zweifel an seiner Unabhängigkeit ausgeräumt, und zwar im Fall einer Persönlichkeit, die nach wie vor großen Einfluss hat. ... Sarkozy ist weiterhin eine Schlüsselfigur für die französischen Konservativen. ... Nun kann die französische Rechte nicht länger einen Politiker als Vorbild haben, der großspurig die Fahne von Ehrlichkeit, Ordnung und Verbrechensbekämpfung hochgehalten hatte und nun wegen Korruption verurteilt wurde. ... Anderthalb Jahre vor den Präsidentschaftswahlen bietet sich die Chance, ein von der extremen Rechten bedrohtes System zu erneuern.“

Libération (FR) /

Wenig Grund zur Freude

Das Urteil bereitet Libération vor allem Sorgen:

„Es ist augenscheinlich, dass dieser Skandal den Graben zwischen den Franzosen und ihren politischen Vertretern vertiefen wird. ... Die französische Demokratie versumpft in diesem Graben, wobei der langfristige Gewinner die extreme Rechte ist, die der Macht noch nie so nahe war. ... Der Verurteilung Nicolas Sarkozys haftet der Ruch an, dass 'alle Dreck am Stecken haben'. Das ist nicht zum Lachen. Der einzige Grund zur Freude ist in Wahrheit die Unabhängigkeit der Justiz. Es genügt, über den Atlantik zu blicken, um sich daran zu erinnern, wie wertvoll diese Unabhängigkeit ist. Aber auch wie stark gefährdet sie ist.“

Nowaja Gaseta (RU) /

Er muss hinter Gitter – aber wohl nicht für lange

Der Paris-Korrespondent der Nowaja Gaseta, Juri Safronow, erklärt, was das Urteil für Sarkozy konkret bedeutet:

„Der 'Haftbefehl' bedeutet, dass Sarkozy tatsächlich eine Strafe im Gefängnis verbüßen muss. Aber dank der 'aufgeschobenen Vollstreckung' muss er nicht sofort dorthin – im Gegensatz zu anderen Verurteilten. Da es nach Ansicht des Gerichts 'keine Fluchtgefahr gibt', wird die nationale Finanzstaatsanwaltschaft innerhalb eines Monats einen Termin für seinen Haftantritt bestimmen. ... Noch weiß die Öffentlichkeit nicht, wie lange er hinter Gittern bleiben wird. Wahrscheinlich nicht sehr lange: Da er über 70 Jahre alt ist, kann er sofort Strafmilderung oder Freilassung auf Bewährung beantragen.“