Wie stehen die Chancen für Frieden in Nahost?
Israels Regierung hat das Abkommen über die erste Phase des US-Plans zur Beendigung des Kriegs im Gazastreifen genehmigt. Die Terrororganisation Hamas hatte US-Präsident Trumps Vorschlag zuvor zugestimmt. Er sieht vor, dass alle israelischen Geiseln und rund 2.000 palästinensische Häftlinge freigelassen werden und dass sich Israels Armee zurückzieht. Kommentatoren reagieren skeptisch bis hoffnungsvoll.
Bald werden die Flammen wieder lodern
De Standaard ist äußerst skeptisch, was die Chancen auf Frieden angeht:
„Der Gazastreifen liegt in Trümmern, Ostjerusalem und das Westjordanland sind besetzt. Die koloniale Siedlungspolitik der israelischen Regierung macht den alteingesessenen Bewohnern das Leben zur Hölle. Jetzt wird gelöscht, wohl wissend, dass das Feuer bald wieder aufflammen wird. Selbst wenn die Waffen schweigen, ist ein lebensfähiger palästinensischer Staat mit einer eigenen Grenze noch nicht in Sicht. Israel will davon nichts wissen. Und es hilft auch nicht, dass sich kriegslüsterne israelische Minister eigentlich vor internationalen Gerichten verantworten müssten und dass es keine anständige palästinensische Führung gibt.“
Hamas und Netanjahu brauchen diesen Krieg
Auch Gazeta Wyborcza traut der Einigung nicht:
„Auch wenn die Hamas tatsächlich die lebenden israelischen Geiseln und die Leichen derjenigen, die in Gefangenschaft umgekommen sind, freigibt, wenn Israel die Gefangenen freilässt und seine Truppen zurückzieht, dann werden beide Seiten von der ersten Minute des Waffenstillstands an nach einem Vorwand suchen, um den Kampf fortzusetzen. Sowohl Netanjahu als auch die Hamas verdanken ihre politische Existenz diesem verbrecherischen Krieg. Ohne den Krieg würde der israelische Ministerpräsident längst wegen Korruption und Amtspflichtverletzung im Zusammenhang mit dem Terroranschlag vom 7. Oktober auf der Anklagebank sitzen. ... Und der kompromisslose und gnadenlose Kampf gegen Israel ist das Fundament der Politik der palästinensischen Radikalen.“
Silberstreifen am Horizont
Politiken hält einen Frieden immerhin für möglich:
„Zwei Jahre Krieg haben die Hamas enorm geschwächt, und für ihre Verbündeten im Iran und Libanon gilt dies ebenfalls. In Israel wird bald gewählt, und Meinungsumfragen deuten darauf hin, dass Netanjahu an Macht verliert. Sowohl die Palästinenser als auch die Israelis könnten daher bald eine neue und hoffentlich deutlich bessere Führung haben. Die arabischen Länder müssen ihren gesamten Einfluss nutzen, um palästinensischer Gewalt und Terror entgegenzuwirken, und die USA und die EU müssen alles in ihrer Macht Stehende tun, um Israel dazu zu drängen, den Siedlungsbau und die Menschenrechtsverletzungen im Westjordanland einzudämmen. ... Derzeit hat der Frieden in Palästina tatsächlich eine seltene Chance.“
Jetzt müssen alle an einem Strang ziehen
Nur umfassendes internationales Engagement kann sicherstellen, dass der Frieden gelingt, meint Avvenire:
„Die Vereinigten Staaten müssen vermeiden, erneut den schlimmsten Impulsen Israels nachzugeben, wie es Trump bis vor kurzem getan hat, und darauf achten, dass Netanjahu, nachdem er die Rückkehr der Geiseln erreicht hat, nicht nach einem Vorwand sucht, um den Krieg wieder aufzunehmen. Die arabischen und muslimischen Länder der Region (von Ägypten über die Türkei bis hin zu den Golfmonarchien) müssen sich persönlich, politisch, finanziell und diplomatisch engagieren und bereit sein, Friedenstruppen zu entsenden, um die Nachkriegszeit im Gazastreifen zu bewältigen. Aber auch Europa, das angesichts der Schrecken der letzten zwei Jahre so enttäuschend still und gespalten war, muss endlich aktiv werden.“
Angriff auf Katar als Wendepunkt
Nahostexperte Ihor Semywolos hebt auf Facebook die Rolle Katars bei der Lösung des Gaza-Konflikts hervor:
„Der rasche Kurswechsel Trumps, dessen Haltung gegenüber Netanjahu zuvor sehr wohlwollend war, begann nach dem israelischen Angriff auf Katar. Die Gefährdung konkreter amerikanischer Geschäftsinteressen in diesem Zusammenhang führte zu einer Revision der Position des US-Präsidenten. ... Tatsächlich ist Katar – mit weniger Einwohnern als Tel Aviv, aber mit enormem finanziellem Potenzial – in der Lage, rechtzeitig den richtigen Leuten, die an diesem Spiel teilnehmen, die richtigen Ratschläge zu geben. Zu seinem Erstaunen musste Bibi [Benjamin Netanjahu] erkennen, dass ihm bei diesem Kartenspiel schlicht das Geld in der Tasche fehlt.“
Putin sagen, dass Frieden machbar ist
Politologe Abbas Galliamow schreibt auf Facebook, dass nun der richtige Moment wäre, um Putin zu einem Friedensschluss mit der Ukraine zu bewegen:
„Die Tatsache der Unterzeichnung des Abkommens zwischen Israel und der Hamas weckt eine Welle von Erwartungen an Putin: 'Wenn selbst die Palästinenser und Juden aufgehört haben, sich gegenseitig zu beschießen, warum sollen das Russen und Ukrainer nicht können?' Die Weigerung, wenigstens ein befristetes Waffenstillstandsabkommen zu schließen, sieht nunmehr wie ein Zeichen einer besonderen, weil erhöhten Unzurechnungsfähigkeit aus. Wichtig ist, dass jemand – sei es Trump oder Selenskyj – all dies jetzt ausformuliert.“
Diesmal funktioniert die Methode Trump
Gerade sein unorthodoxes Gebaren könnte Trump zum Erfolg verhelfen, freut sich La Stampa:
„Es gibt nur einen einzigen Faktor, der die Geschichte dieser Verhandlungsstunden im Nahen Osten von allen bisherigen unterscheidet. Die Anwesenheit von Donald Trump. Es mag paradox erscheinen, aber gerade die Unberechenbarkeit, die Impulsivität und die völlige Gleichgültigkeit gegenüber Institutionen des unkonventionellsten Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten sind der eigentliche Wendepunkt an einem Verhandlungstisch, der ohnehin einen Bruch mit der Vergangenheit darstellt. Dieselben Elemente, die ihn in Bezug auf die Stabilität des amerikanischen demokratischen Systems manchmal beunruhigend machen, werden in den Verhandlungen in Sharm el-Sheikh entscheidend.“
Das wäre den Nobelpreis wert
Falls Trump einen dauerhaften Frieden schaffen kann, hat er alle Ehren verdient, findet Helsingin Sanomat:
„Trump verändert die Vorstellungen davon, wie Frieden geschaffen wird. Er betrachtet Friedensprozesse auch als Deals und Geschäfte, bei denen es Gewinner und Verlierer sowie wirtschaftliche Vorteile gibt. Traditionelle diplomatische Kanäle und UN-Prozesse bedeuten ihm nichts. … Trump strebt schnelle und spektakuläre Ergebnisse an. Seine Methoden stehen im Widerspruch zu den traditionellen Idealen der Friedensstiftung – aber sie können trotzdem Kriege beenden. Trump droht, setzt auch seine Verbündeten unter Druck und schürt Handelskriege. … Wenn im Nahen Osten oder in der Ukraine im Namen Trumps ein dauerhafter Frieden erreicht wird, hat Trump seinen Nobelpreis verdient.“
Offene Fragen bei Palästinenser-Forderungen
Corriere della Sera erinnert an die noch nicht geregelte Freilassung palästinensischer Häftlinge:
„Die Palästinenser wollen die Freilassung von Marwan Barghouti und Ahmad Saadat erreichen, zwei der wichtigsten Führer der zweiten Intifada, die zu mehrfach lebenslänglichen oder langen Haftstrafen verurteilt wurden. Barghouti gilt unter den Palästinensern als Symbol des Widerstands, und internationale Diplomaten, darunter auch einige israelische Politiker, sind überzeugt, dass er der Nachfolger von Präsident Abu Mazen [Mahmud Abbas] werden könnte. Vor allem fordern sie die Freilassung der Terroristen, die an den Massakern vom 7. Oktober beteiligt waren, und die Rückgabe der Leichen von Yahya Sinwar und seinem Bruder Mohammed, die gemeinsam dieses Massaker geplant hatten.“
Das Prinzip Hoffnung – bitte anwenden!
Der Mensch kann und muss seine eigenen Denkblockaden überwinden, schreibt die WOZ in Anlehnung an Ernst Bloch:
„Dessen Bewusstsein ist demnach nicht nur das Produkt seines Seins, wie es Karl Marx beschrieben hatte, sondern mit einem 'Überschuss' ausgestattet, der seinen Ausdruck als 'Noch-nicht-Gewordenes' in gesellschaftlichen Utopien, der Kunst oder in Tagträumen finden kann. ... Angesichts der realen Tragödie in Nahost mag derlei Metaphysik zynisch klingen. ... Blochs Prinzip der Hoffnung lässt sich aber auch ... als kollektive Vorstellungskraft [verstehen], die in die Realität einer näheren Zukunft wirkt. Gerade jetzt, da ein Plan zur Beilegung des Konflikts vorliegt, ... sollten auch wir in Europa solidarische Hoffnung praktizieren.“
Im Nahen Osten tut sich was
Der ehemalige Generalsekretär der Sozialistischen Partei des Baskenlandes (PSE-EE), Nicolás Redondo Terreros, schaut in ABC durchaus optimistisch auf den Nahen Osten:
„Heute sehen wir in Trumps Vorschlag einen kleinen Hoffnungsschimmer. … Russland ist nach dem Regimewechsel in Syrien nicht mehr relevant. … Die arabischen Länder beginnen, die Zukunft höher zu bewerten als den Judenhass. Die Unsicherheit des iranischen Regimes nach den gezielten US-Bombardements und Israels Enthauptung von Terrororganisationen wie der Hisbollah geben Anlass zur Hoffnung. Und während die meisten von uns atemlos auf den mühsamen Erfolg der US-Initiative warten, demonstriert die systemfeindliche radikale Linke und einige Abenteurer weiter – weniger für die Rechte des Gazastreifens als für die Zerstörung Israels.“