Nach Beirut: Welche Hilfe braucht der Libanon?

Auf einer Geberkonferenz für den Wiederaufbau des Libanons nach der verheerenden Explosion in Beirut sind am Sonntag rund 200 Millionen Euro Soforthilfen zugesagt worden. Über 30 Staatschefs und Regierungsvertreter nahmen teil. Die Verteilung der Hilfsgelder soll über die Uno laufen, an den als korrupt geltenden Behörden vorbei. Kommentatoren mahnen an, dass der Libanon jetzt mehr als Geld braucht.

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Frankfurter Rundschau (DE) /

Linderung genügt nicht

Die Frankfurter Rundschau hegt den Verdacht, dass die in Windeseile einberufene Konferenz vor allem von der Flüchtlingsthematik ablenken soll:

„Jetzt schnell ein wenig humanitäre Hilfe zur Linderung der größten Not einsammeln und dann letztlich wieder zur Tagesordnung zurückkehren, so scheint das Motto zu lauten. Dabei braucht das Land mehr als nur Almosen. Es braucht viele Milliarden, es braucht umfassende Hilfe bei der Bewältigung des Flüchtlingsthemas. Dabei geht es um den Ausbau des Gesundheitswesens, um Schulen, Wohnungen und gegebenenfalls auch um eine weitere Aufnahme von Geflüchteten in der EU, um das Land zu entlasten. Politische Reformen zur Modernisierung ihres Staates müssen die Libanesen allein durchsetzen. Hier verbietet sich jede Einflussnahme. Doch bei der Bewältigung der Folgen des Syrienkriegs kann und darf sich der Westen nicht aus der Verantwortung stehlen.“

Le Monde (FR) /

Geostrategische Spielchen müssen aufhören

Geld und Solidaritätsbekundungen können nicht mehr als ein Anfang sein, erklärt der im Libanon geborene Theaterautor und -regisseur Wajdi Mouawad in Le Monde:

„Das Land braucht zuerst eine Ermutigung für seine Revolutionen. ... Vor allem die Jugend wird ihren Durst und ihre Wut kundtun und benötigt Unterstützung, damit die, die das Land erdrücken, allesamt von ihren Posten an der Spitze entfernt werden. Die Regierenden von Iran, Israel, der Türkei, Russland, den USA und Saudi-Arabien haben sich sehr betroffen gezeigt und ihre Solidarität mit dem libanesischen Volk bekundet. Um ihren Tränen und Worten nachzukommen, müssen sie aufhören, den Libanon zu ihrem Instrument zu machen; dem der Iraner gegen die Israelis, der Israelis gegen die Syrer, der Türken gegen die Europäer, der Amerikaner gegen die Russen und der Saudis gegen die Iraner.“

Ukrajinska Prawda (UA) /

Französische Einflussnahme birgt Risiken

Ukrajinska Prawda fragt sich, ob Macrons Formel "Geld gegen Reformen" für den Libanon umsetzbar ist:

„Frankreich ist nicht in den Konflikt 'Schiiten-Sunniten' eingebunden. Es hat den politischen Flügel der Hisbollah nicht zu Terroristen erklärt. Das erweitert den Spielraum für Einfluss im Land. Obwohl der französische Plan, den Libanon zu stabilisieren, umsetzbar scheint, müssen aber auch die Risiken erwähnt werden. Die Hisbollah wird keine Einbuße ihrer Macht hinnehmen. Außerdem erwartet das Land das Urteil des internationalen Strafgerichtshofs zum Fall des Mordes am ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri 2005, das am 18. August verkündet werden soll. Damit könnten sich neue Risiken einer politischen Destabilisierung des Libanon ergeben. Und neue Möglichkeiten für die regionalen Akteure, diese Krise zu nutzen. “

Corriere della Sera (IT) /

Mittelmeerraum nicht den Golfmonarchien überlassen

Schon allein aus eigenem Interesse darf Europa den Libanon jetzt nicht im Stich lassen, argumentiert der Historiker Andrea Riccardi in Corriere della Sera:

„Die Alternative ist der Fluss der Petrodollars aus Saudi-Arabien und den Emiraten: Das wäre ein Aufbau, bei dem es nur ums Geschäftemachen geht - ohne jeden Respekt für die Geschichte und Struktur des Landes und nicht im geringsten demokratisch. Ein Aufbau, der sich auf die libanesischen Clans stützt, sie bereichert und die Erneuerung der Zivilgesellschaft, das einzig gesunde Element des Landes, im Keim erstickt. ... Es bedarf im Minimum einer großen italienisch-französisch-deutschen Initiative. Den Libanon zu verlieren würde angesichts der Krise in Libyen und der fragilen Lage in Tunesien bedeuten, sich mit einem anderen, sicherlich schlechteren Mittelmeerraum abzufinden.“