Leitzins bleibt niedrig: Verrechnet sich die EZB?

Im Gegensatz zur US-Notenbank Fed bleibt die EZB vorerst bei ihrer Nullzins-Politik. EZB-Chefin Christine Lagarde erklärte am Donnerstag erneut, die hohe Inflation sei ein vorübergehendes Phänomen. Der Rat der EZB kündigte stattdessen ein Auslaufen des wegen Corona eingeführten Notfall-Anleihenkaufprogramms PEPP für Ende März an. Kommentatoren sind überwiegend skeptisch.

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Les Echos (FR) /

Gewagtes Spiel

Die EZB kennt nicht einmal die genaue Ursache für die anhaltende Inflation, sorgt sich Les Echos:

„Die einen sind der Ansicht, dass die Energie der Schlüsselfaktor für das ist, was da gerade passiert. ... Die anderen sehen eher strukturelle Faktoren: Das Ausscheiden von Millionen von Arbeitnehmern aus dem Arbeitsmarkt, den weltweiten Rückgang der erwerbstätigen Bevölkerung, den dauerhaften Anstieg der Energiepreise aufgrund der Energiewende. Bis die EZB mehr weiß, spielt sie auf Zeit. Sie kann für einen kurzen Zeitraum ihre lockere Politik beibehalten und dafür sorgen, dass überschuldete Staaten zahlungsfähig bleiben. ... Es ist aber ein gewagtes Spiel, die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen über die Kaufkraft der Europäer zu stellen.“

Die Presse (AT) /

Unabhängigkeit nur ein Mythos

Dass Fed und EZB auf die Inflation so unterschiedlich reagieren, lässt sich nur mit den Geldsorgen mancher Euro-Länder erklären, bedauert Die Presse:

„Die Unabhängigkeit der Zentralbank von politischen Interessen und Nöten der Euro-Mitgliedstaaten besteht nur auf dem Papier. Von Ökonomen wird ohnehin seit Langem darauf verwiesen, dass die EZB bei Weitem nicht nur ihr offizielles Inflationsziel als Maßstab hat, sondern vielmehr auch danach trachtet, die Schuldenpolitik vieler Eurostaaten so erträglich wie möglich zu machen. ... Je länger die Politik des billigen Geldes gefahren wird, desto schwieriger wird es, damit aufzuhören.“

Handelsblatt (DE) /

EZB muss ihren eigenen Weg gehen

Warum die US-Notenbank Fed kein gutes Vorbild für die EZB ist, erklärt das Handelsblatt:

„Dafür gibt es gleich drei Gründe, die eng miteinander zusammenhängen. Erstens: Die Fed hat schon viel mehr Inflation zugelassen als die EZB. ... Der zweite Grund: Die US-Regierung hat gleichzeitig mit hohen, durch Schulden finanzierten Ausgabenprogrammen die Wirtschaft angeheizt. ... In Europa waren die Finanzpolitiker im Vergleich deutlich zurückhaltender. Der dritte Grund ist vielleicht der wichtigste: In den USA dreht sich die Lohn-Preis-Spirale bereits, bei der sich beide Faktoren gegenseitig verstärken. Im Euro-Raum dagegen noch nicht. ... Nimmt man alle drei Gründe zusammen, so wird deutlich, dass die EZB ihren eigenen Weg gehen muss - was sie auch tut.“

The Daily Telegraph (GB) /

Höhere Zinsen sind unumgänglich

The Daily Telegraph begrüßt, dass die britische Notenbank ihren Leitzins gestern auf 0,25 Prozent erhöhte:

„Haushalte, Unternehmen und der Staat dürfen nicht das volkswirtschaftliche Grundprinzip vergessen, welches besagt, dass die verfügbaren Güter und Dienstleistungen begrenzt sind. Am Ende müssen alle im Rahmen ihrer Möglichkeiten leben. Die Ära des immer billigeren Geldes geht zu Ende. Die Zentralbanken in Großbritannien und auf der ganzen Welt werden unabhängig von der Wirtschaftslage die Zinsen weiter erhöhen müssen, um explodierende Preise und eine Überhitzung der Immobilienmärkte abzuwehren. Die Bank of England handelte richtig, als sie - wenn auch verspätet - den Prozess der Zinserhöhung einleitete.“

El Mundo (ES) /

Nutzt die Zeit für Reformen!

El Mundo findet, Spanien sollte Italiens Beispiel folgen und jetzt die Wirtschaft umstrukturieren:

„Spanien ist die Volkswirtschaft der Eurozone, die am stärksten von der Pandemie betroffen ist und die sich am schlechtesten erholt. ... Andere hochverschuldete Länder haben längst reagiert, wie Italien, das unter Draghis Leitung einen ehrgeizigen Reformplan auf den Weg gebracht hat. Die Sánchez-Koalition legt jedoch den Schwerpunkt auf die Ausgaben, ohne sich bisher auf wirklich durchgreifende Reformen zu einigen: Sie setzt sich vielmehr für eine Arbeits- oder Rentenreform ein, die in die entgegengesetzte Richtung davon geht, was Brüssel erwartet. Wir verlieren wertvolle Zeit. Wenn die Orthodoxie zurückkehrt, wird die Regierung nicht sagen können, das habe keiner wissen können.“