Wahlkampf und Ratspräsidentschaft: Unguter Mix?

In Frankreich muss sich der Präsident nicht vor dem nationalen Parlament rechtfertigen. So war Macrons Rede am Mittwoch vor dem EU-Parlament über die Grundzüge seiner Ratspräsidentschaft ein willkommener Anlass, den französischen Präsidentschaftswahlkampf auf europäischem Terrain zu eröffnen. Nicht allen Kommentatoren gefällt diese Vermischung.

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Le Figaro (FR) /

Prinzipienloses Potpourri

Für Le Figaro ging es in der Rede viel zu wenig um Europa selbst:

„Gewiss, der Präsident hat weitere Ankündigungen gemacht, durch die Europa neugegründet werden soll. Weniger als drei Monate vor der Präsidentschaftswahl hat er aber vor allem die Punkte betont, die in Frankreich viel Anklang finden: Recht auf Abtreibung, Klima und Umwelt, die Reform des Schengener Abkommens, die Neudefinition des Asylrechts, Hilfen für Afrika... Für die Wählerschaft - fast - aller seiner künftigen Gegner im April war etwas dabei. Macrons Engagement für Europa basiert auf dem von ihm vielfach bemühten und äußerst opportunistischen Prinzip, vieles gleichzeitig tun zu wollen.“

La Stampa (IT) /

Vom Gegner in die Arena gedrängt

Frankreichs Präsident hat unter dem Druck seiner Rivalen den Wahlkampf ins EU-Parlament getragen, wirft La Stampa ein:

„Macrons Rede begann hochtrabend. … Er kündigte Neuerungen an, etwa die Idee, die EU-Grundrechtecharta umzuschreiben, um das Recht auf Abtreibung einzubeziehen. … Oder der Vorschlag, direkt mit Russland über eine neue Ordnung der Sicherheit und Stabilität zu verhandeln und sich damit von den USA zu distanzieren. Doch seine politischen Gegner zerrten ihn in eine rein französische Wahlarena. Und Emmanuel Macron ließ sich nicht lang bitten. Er konterte zurück, verspottete sie. So verwandelte sich der Plenarsaal des EU-Parlaments in eine Art Fernsehstudio, aus dem die erste Konfrontation zwischen zwei Elysée-Kandidaten übertragen wird.“

Der Tagesspiegel (DE) /

Segen für die EU

Die Vermischung von Ratspräsidentschaft und französischem Präsidentschaftswahlkampf freut den Tagesspiegel:

„Es ist zu erwarten, dass sich Macron im Wahlkampf auch in den kommenden Monaten als Pro-Europäer profilieren wird ... . Davon kann die Gemeinschaft am Ende sogar profitieren. Im deutschen Bundestagswahlkampf spielte die EU praktisch keine Rolle. Die Gemeinschaft hat es aber verdient, dass entscheidende Zukunftsfragen auf der heimischen politischen Bühne offensiv angegangen werden.“