Gas-Lieferstopp: Zerreißprobe für Europa?

Nach dem Gazprom-Lieferstopp für Polen und Bulgarien droht Russland, weiteren Ländern das Gas abzudrehen, wenn sie sich dem von Moskau geforderten Bezahlmodell widersetzen. Auf der anderen Seite stellte EU-Kommissionschefin von der Leyen klar, dass Unternehmen, die direkt in Rubel zahlen, mit Konsequenzen rechnen müssen, weil dies gegen die EU-Sanktionen verstoße. Europas Presse sorgt sich um die Geschlossenheit der EU.

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Aargauer Zeitung (CH) /

Den Spieß umdrehen

Der Westen sollte ein Ölembargo gegen Russland durchsetzen, meint die Aargauer Zeitung:

„Eigentlich müsste es doch so sein: Ein geschlossenes Europa treibt – zusammen mit den USA – Russlands Machthaber Putin vor sich her und macht Ernst mit der totalen Isolation, wenn er den Krieg nicht beendet. Die Realität sieht aber so aus: Europa ist uneins, ein Öl- und Gasembargo bleibt auch zwei Monate nach Putins Angriffsbefehl nicht mehrheitsfähig. Stattdessen ist es Putin, der Europa gängelt. … Spätestens jetzt müssen alle Gas- und Öl-Kunden Russlands, auch Deutschland und die Schweiz, den Spiess umdrehen. Statt darauf zu warten, bis Putin auch sie erpresst. … Die jüngste Eskalation sollte dem Letzten die Augen öffnen.“

Hospodářské noviny (CZ) /

Einheit wiederherstellen

Die Front der EU gegen Putin droht zu bröckeln, sorgt sich Hospodářské noviny:

„Deutsche, österreichische oder slowakische Unternehmen sagen, dass das von Moskau geforderte Zahlungssystem für sie akzeptabel ist. ... Aber es wäre wirklich dumm, wenn damit Putins Traum, den Westen zu spalten, jetzt wahr wird. ... Die beste Lösung wäre, wenn die anderen EU-Länder dem von Russland geforderten Modus beitreten und dann von sich aus Polen und Bulgarien mit dem Gas versorgen, das sie im nächsten Winter benötigen. Es werden nur kleine Mengen sein, weil die Polen ohnehin schon auf russische Rohstoffe verzichten wollten. Und vor allem sollten alle Länder der Union wirklich alles tun, um auf das russische Gas so schnell wie möglich nicht mehr angewiesen zu sein.“

Onet.pl (PL) /

Polen ist nicht so energiesouverän wie behauptet

Onet warnt:

„Theoretisch ist Polen recht gut darauf vorbereitet, ohne die Lieferungen aus Russland auszukommen, was die Infrastruktur betrifft. Aber der Triumphalismus der Regierung ist absolut ungerechtfertigt. Vor allem, wenn sich herausstellen sollte, dass Deutschland vom russischen Gas abgeschnitten wird, was bedeutet, dass wir kein - eigentlich russisches - Gas von dort importieren können. Paradoxerweise sollte die PiS-Regierung im Interesse der polnischen Bürger zum jetzigen Zeitpunkt - zumindest bis sich die Lage stabilisiert hat - aufhören, auf EU-Sanktionen gegen russisches Gas zu drängen, denn in der kommenden Heizperiode könnten diese für uns, wenn nicht eine Katastrophe, so doch zumindest große Probleme bedeuten.“

Sme (SK) /

Putin will die Einheit der EU aushöhlen

Putin greift einmal mehr zum Teile-und-herrsche-Verfahren, warnt Sme:

„Die Zahlungsfristen für Gas sind bei allen europäischen Kunden unterschiedlich. Das ermöglicht es dem Kreml, sein 'Spiel' mit einzelnen Ländern und Gasunternehmen zu spielen, das darauf abzielt, seine Rubel-Zahlungsbedingungen durchzusetzen, die im Widerspruch zu bestehenden Verträgen stehen und den derzeitigen Sanktionsmechanismus schwächen. Gleichzeitig schafft es ein sehr geeignetes politisches Instrument für das Putin-Regime, um die Einheit der EU-Länder zu untergraben und gegenseitiges Misstrauen zwischen ihnen zu sähen.“

La Repubblica (IT) /

Die Achillesferse schützen

Wie wichtig die Geschlossenheit der EU jetzt ist, betont La Repubblica:

„Es ist besorgniserregend zu erfahren, dass einige europäische Unternehmen, die bisher anonym geblieben sind, unter Missachtung der Vorschriften in Rubel zahlen. Jedes Abweichen von der einheitlichen Reaktion Europas gibt Putin einen Hoffnungsschimmer. Einigkeit wird auch für die anderen Schritte der europäischen Reaktion von grundlegender Bedeutung sein: eine Begrenzung des Gaspreises, ein gemeinsamer Fonds zur Unterstützung der Länder, die am stärksten vom Anstieg der Energiekosten betroffen sein werden, und eine Sperre für russische Ölexporte. Das größte Hindernis für diese Maßnahmen war bisher Deutschland, aber die Stimmung in Berlin ändert sich.“

Gazeta Wyborcza (PL) /

Beide Seiten der Pipeline sind abhängig

Gazeta Wyborcza beleuchtet die Abhängigkeit Gazproms vom europäischen Markt:

„Warum sollte sich Putin im Gaskrieg auf Polen und Bulgarien beschränken? Er kann gleich den Gashahn für ganz Europa zudrehen. Es besteht kein Zweifel, dass die EU ohne Gas aus Russland, das in den letzten Jahren rund ein Drittel des europäischen Gasbedarfs geliefert hat, in Schwierigkeiten geriete. ... Doch wie lange kann Gazprom ohne Geld für seine Gasexporte in die EU weitermachen? Gazprom verkauft derzeit etwa ein Drittel seines Rohstoffs in Europa. Aber diese Ausfuhren machen drei Viertel der Einnahmen des russischen Unternehmens aus. Verlöre Gazprom über Nacht 75 Prozent seiner Einnahmen, müsste es dann nicht schon am nächsten Tag Konkurs anmelden?“

Deutschlandfunk (DE) /

Worin Atomwaffen und Gasstopp sich ähneln

Der Warnschuss gilt weder Polen noch Bulgarien, meint Warschau-Korrespondent Jan Pallokat im Deutschlandfunk:

„Er soll Länder treffen, die wegen ihrer katastrophalen Energiepolitik Putins Gaswaffe am meisten fürchten müssen: Ungarn, Österreich, vor allem aber Deutschland. Es ist eine Waffe, die in einem Punkt der Atomwaffe ähnelt, weil sie nicht nur in den erwähnten Ländern, sondern auch in Russland selbst Verheerungen anrichten würde, wenn auch, anders als die Bombe, nur ökonomisch. Es ist die Waffe, mit der man droht, die man aber nie einsetzt. Putin muss sich nicht einer demokratischen Öffentlichkeit stellen und hat dadurch in beiden Pokerspielen der Angst den Vorteil, dass er unberechenbar ist. Und wenn er es doch tut, doch den Gashahn zudreht? Diese Frage schürt Unsicherheit. Sie ist sein Trumpf.“

Dnevnik (BG) /

Eine willkommene Chance für Bulgarien

Dass Bulgarien nun tun muss, was es schon lange hätte tun sollen, sieht Dnevnik durchaus positiv:

„Leider wurde Europa, nicht nur Bulgarien, lange Zeit von Gazprom getäuscht, erpresst oder gekauft. Im Nachhinein sehen wir jetzt ein, dass hinter jeder Entscheidung von Gazprom ein Cocktail aus Unternehmenslogik, Politik, Gangsterdruck und den zutiefst korrupten Praktiken Russlands steckte. ... Wenn wir vorher immer blind vertrauten, dass alles gut gehen würde, so wurden unsere Augen nun geöffnet. Eine Regierung nach der anderen hat nichts unternommen, um sich von Russlands Importen von Gas und anderen Energieprodukten zu lösen. Jetzt tut Russland, was wir schon vor langer Zeit hätten tun sollen. Und das ist eine Chance.“

Sega (BG) /

Duckmäusern bringt hier gar nichts

Bulgarien darf jetzt auf keinen Fall kuschen, stellt Sega klar:

„Manche Politiker geben sich immer noch der Illusion hin, dass Bulgarien sein Problem lösen kann, wenn es sich duckt und akzeptiert, in Rubel zu zahlen. Aber wer garantiert, dass der Kreml morgen nicht neue Bedingungen erfindet und einen neuen Vorwand nutzt, um unfreundliche Länder zu bestrafen, die es wagen, Putins verhasste Ukraine zu unterstützen? … In diesem Fall stimmt das Sprichwort nicht, dass 'ein gesenkter Kopf nicht vom Schwert geschnitten' wird, wie wohl viele Politiker in unserem Land glauben. Im Gegenteil: Der gesenkte Kopf ist das leichteste Opfer.“

Polityka (PL) /

Bestens vorbereitet

Polityka kommentiert:

„Ab Mittwoch, dem 27. April, wird kein russisches Gas mehr aus dem Jamal-Kontrakt nach Polen fließen. Dieser langjährige Vertrag sollte ohnehin zum Jahresende auslaufen. Die Russen haben diesen Moment nun etwas beschleunigt. Deshalb erklären Regierungsvertreter, dass das Zudrehen des Gashahns für uns kein großes Problem darstellt. ... Wir sind nahezu diversifiziert, wir haben bereits eine fast fertige Gasinfrastruktur, wir können Gas aus jeder anderen Richtung importieren - aus Litauen, der Slowakei, der Tschechischen Republik, Deutschland. Wir importieren LNG aus den USA und Katar, und in Kürze wird die Baltic Pipe aus Norwegen fertig sein. Mit einem Wort: Putin kann versuchen uns einzuschüchtern. Wir haben aber keine Angst.“

Népszava (HU) /

Da bringt Ungarn die Russlandfreundlichkeit nichts

Ein Gas- oder Erdöl-Lieferstopp würde Ungarn genauso betreffen wie alle anderen Länder, betont Népszava:

„Die Szenarios, die bisher ins öffentliche Bewusstsein eingedrungen sind, erwägen nur den Fall, dass die Lieferung 'auf der Ankunftsseite' - also infolge der Einführung eines Embargos - eingestellt wird. ... Jedoch kann man bei einer Lieferung durch eine Pipeline die Gasmoleküle nicht beschriften. Falls die Leitung abgeriegelt wird, haben wir [Ungarn] einen theoretisch ausgezeichneten Vertrag mit Russland umsonst. Denn wir werden als freundliche Belohnung genau das Gleiche bekommen, wie die anderen Länder als Strafe: nichts.“