Holocaust-Gedenktag: Europa ringt um die Erinnerung

Am 27. Januar 1945 befreiten Einheiten der Roten Armee das größte Vernichtungslager des Nazi-Regimes, Auschwitz-Birkenau. Etwa 1,1 Millionen Menschen wurden in dem Lagerkomplex ermordet. Seit 1996 ist der 27. Januar in Deutschland Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus, seit 2005 internationaler Holocaust-Gedenktag der UN. Kommentatoren beschäftigt vor allem, wie die Erinnerung an das Grauen wachgehalten werden kann.

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Şalom (TR) /

Am besten täglich versuchen nachzuempfinden

Die jüdische Wochenzeitung Şalom findet es wichtig, die Erinnerung ständig wach zu halten:

„Ghettos, Todeslager, Massengräber, die Zerstörung einer Kultur, die Auslöschung einer Zukunft! Der 27. Januar ist nicht genug, es muss jeden Tag erinnert werden. Nicht als Tragödie, sondern als reales Ereignis, auf eine einfache Art und Weise. Wenn man die Gefühle eines Menschen, der im luftleeren Waggon eines Todeszuges nach Auschwitz dem Ende entgegengeschickt wird, nicht in seinen Knochen spürt, wenn man sich nicht in die Lage eines Lebens versetzt, das am Ende darauf wartet, dass der Abzug betätigt wird, dann kann man nicht verhindern, dass sich ähnliche Situationen wiederholen.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Wissen und Werte nötig

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zeigt sich besorgt über die Ergebnisse einer Umfrage aus den Niederlanden:

„Fast ein Viertel der Befragten hält den Völkermord für erfunden oder dessen Darstellung für übertrieben. Mehr als die Hälfte sehen keinen Bezug des eigenen Landes zum Holocaust. ... Da muss man sich Gedanken über Art und Inhalt der Vermittlung machen. Entscheidend bleibt, und das gilt für jeden Staat, der aus seiner Geschichte lernen will, einerseits die Kenntnis, wie es dazu kommen konnte und was alles möglich ist. Ohne aber die Verinnerlichung von Werten wie der Würde jedes einzelnen Menschen, seiner Freiheit und der Gleichheit vor dem Gesetz besteht Wiederholungsgefahr.“

Jyllands-Posten (DK) /

Gemeinsame europäische Verpflichtung

Jyllands-Posten appelliert:

„Es ist eine gemeinsame europäische Pflicht, eine Wiederholung wo auch immer zu verhindern. ... Oft wurde versucht, den Holocaust als etwas spezifisch Deutsches zu erklären, als einen Kurzschluss, der mit dem Naziregime und dem Zweiten Weltkrieg verbunden ist. Aber im Gegenteil, es ist unbestreitbar, dass der moralische Zusammenbruch der europäischen Zivilisation und Geschichte, den der Holocaust als Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt, unser aller und damit auch unsere gemeinsame Verantwortung ist.“

La Stampa (IT) /

Ohne Zeitzeugen wird die Erinnerung unzugänglicher

Historiker Giovanni De Luna warnt in La Stampa:

„Als die Erinnerung an Auschwitz zu verblassen begann, machte sich der Negationismus dies sofort zunutze. Die Shoah zu leugnen oder zu relativieren ('... die Kommunisten aber auch'), sie zu einer totalitären Praxis wie jede andere zu degradieren, war der Nährboden für eine Kultur, aus der die europäische Rechte mit vollen Händen schöpfte. Die Schrecken der Konflikte unseres Jahrhunderts haben den Rest getan. ... Gerade heute, mit dem Ableben der letzten Zeugen, scheint es, dass die Erinnerung an Auschwitz bestenfalls in einer Menge offizieller Feiern einbalsamiert wird, die die Gefahr bergen, die Shoah in ein 'Denkmal' einzuschließen, das weder zu vermitteln noch zu bewegen vermag.“

La Libre Belgique (BE) /

Für die Überlebenden sprechen

Da es bald keine Zeitzeugen mehr geben wird, brauchen wir neue Formen des Gedenkens, drängt Chefredakteur Dorian de Meeûs in La Libre Belgique:

„'Die Vergangenheit vergeht nicht', lehrte uns der Philosoph Paul Ricœur. Lassen Sie uns eine Zukunft für die Traumata von einst finden und die 'Sprecher' einstiger Überlebender sein! Die zahllosen Beweise, Spuren und Berichte können uns dabei helfen. Die Geschichte erinnert uns daran, dass der Hass auf andere und die extremistischen Ideologien dazu imstande sind, einen Entmündigungsprozess einzuleiten, der aus jedem Bürger einen Verbrecher gegen die Menschlichkeit machen kann. Und daran sollte sich jeder von uns erinnern und dies seinen Kindern und Enkeln, den zukünftigen Erinnerunsvermittlern, nahebringen. “