Rafah: Steigt der Druck auf Israel?

Der UN-Sicherheitsrat entscheidet am heutigen Mittwoch über eine Resolution, die das sofortige Ende der israelischen Rafah-Offensive fordert. Zuvor hatte auch der Internationale Gerichtshof der UN ein Urteil gefällt, das viele als Aufforderung an Israel interpretieren, die Offensive zu stoppen. Kommentatoren sind uneins, was das für Auswirkungen hat.

Alle Zitate öffnen/schließen
Skai (GR) /

Sanktionen unwahrscheinlich, aber...

Der Wirtschaftswissenschaftler Nikitas Simos schreibt für das Webportal des Fernsehsenders Skai:

„Analysten zufolge könnte das Urteil des IGH, auch wenn es praktisch nicht zu Sanktionen führt – bei einem Vorschlag an den Sicherheitsrat würden die USA ihr Veto einlegen –, Auswirkungen auf die Behandlung Israels durch andere Länder haben. ... Es ist möglich, dass Washington und die europäischen Regierungen die Waffenlieferungen an Israel einschränken und vielleicht in einigen Fällen die diplomatischen Beziehungen zurückstufen. Es besteht die Hoffnung, dass diese Bemühungen von Erfolg gekrönt sein werden, da das Gleichgewicht im Nahen Osten inzwischen gefährlich erschüttert ist.“

Kronen Zeitung (AT) /

Ignoranz stärkt Hamas den Rücken

Die Kronen Zeitung warnt davor, der Hamas auf den Leim zu gehen:

„Kaum hatte das Weltgericht Israel den Sturmangriff auf Rafah verboten, schoss die Hamas genau von dort aus erstmals seit Monaten Raketen bis nach Tel Aviv. Sie rühmte sich auch noch dieses Angriffs auf zivile Ziele. Als dann aber Israel mit einem Luftangriff auf die Abschussrampen antwortete, prangerte die Hamas die schrecklich vielen zivilen Opfer an. Das ist jener Zynismus, mit welchem die Hamas Sympathien in der Welt sammelt. Das Weltgericht stärkt ihr durch Ignoranz den Rücken, befestigt ihren Durchhaltewillen und verlängert dadurch den Krieg.“

The Guardian (GB) /

Wer schweigt, macht sich schuldig

Es ist höchste Zeit, dass sich die USA von Israel distanzieren, findet The Guardian:

„Die USA haben ihren Verbündeten aktiv davor bewahrt, der Wahrheit zum Gaza-Krieg ins Auge sehen zu müssen. Washington ging sogar so weit, die Klage Südafrikas vor dem Internationalen Gerichtshof herunterzuspielen. ... Bidens Entscheidung, Israel auf diese Weise beizustehen, birgt das Risiko, die auf Regeln basierende internationale Ordnung zu untergraben, die Amerika eigentlich verteidigen sollte. Tatsächlich könnten die USA mit dem Vorwurf der Beihilfe zu internationalen Verbrechen konfrontiert werden, sollte ein Völkermord in Gaza nachgewiesen werden.“

Yeni Şafak (TR) /

Islamische Welt muss ihre Stimme erheben

Israel kann nur mit vereintem Protest von der Rafah-Offensive abgebracht werden, schreibt die islamisch-konservative Yeni Şafak:

„Weder die USA noch die europäischen Länder sehen all diese Schandtaten als ein Problem an, das Sanktionen erfordert. ... Das rührt auch vom unbegrenzten Schweigen der arabisch-islamischen Welt. ... Bislang gab es insbesondere aus Saudi-Arabien, Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Jordanien keine starke Stimme gegen Israel. Aber jede Bombe, die auf Gaza fällt, fällt auf die Ehre und Würde der gesamten arabischen und islamischen Welt. ... Wenn sie ein wenig Lärm machen würden, könnte alles ganz anders sein.“

Público (PT) /

Humanitäres Recht spielt nur die zweite Geige

Diese israelische Regierung weiter zu unterstützen, stellt die internationale Rechtsordnung grundsätzlich in Frage, argumentiert Público:

„Die EU muss sich entscheiden, ob sie die Regierung von Benjamin Netanjahu unterstützt oder die Beschlüsse der internationalen Institutionen respektiert. Es ist kein Geheimnis: Die westlichen Mächte haben sich für Ersteres entschieden, auf Kosten der Gerechtigkeit und des humanitären Rechts, ein Präzedenzfall, der auch in Zukunft genutzt werden wird, um jede Entscheidung eines internationalen Gremiums zu boykottieren.“

Kathimerini (GR) /

Israel braucht eine andere Führung

Gerade wer Israels Zukunft sichern will, darf die Regierung Netanjahu und ihr Vorgehen nicht länger stützen, schreibt Kathimerini:

„Je länger der Krieg dauert, desto mehr werden Israels Freunde geschwächt und seine Feinde ermutigt: in den Gesellschaften, unter den Staaten und in den internationalen Institutionen wie dem Internationalen Gerichtshof. Kann der Teufelskreis der Gewalt durchbrochen werden, ohne dass eine der Seiten dabei zerstört wird? Dazu braucht es eine Führung, die den Mut hat, eine tragfähige Lösung zu verfolgen. ... Sie bräuchte Unterstützung von der internationalen Gemeinschaft, zum Beispiel in Form eines Plans, Geld und genügend Raum, um das Überleben beider Seiten zu sichern. All dies erscheint heute unwahrscheinlicher denn je.“

Index (HU) /

Das ist Netanjahus Machterhalt nicht wert

Index appelliert an die israelische Bevölkerung:

„Obwohl viele in Israel über den von IStGH-Chefankläger Karim Khan beantragten Haftbefehlsantrag empört sind, sollte die israelische Gesellschaft in der Tat darüber nachdenken, ob es sich noch lohnt, sich hinter die Regierung Netanjahu zu stellen. Seit einiger Zeit sind Netanjahu und seine Clique in erster Linie damit beschäftigt, wie sie ihre Macht so lange wie möglich erhalten und den Mühlen der Justiz entkommen können, und der Krieg dient im Wesentlichen nur noch diesem Zweck. Es ist nicht sicher, ob die Macht eines Regierungschefs es wert ist, dass die Welt Israel zunehmend als Aggressor statt als Opfer sieht.“

Avvenire (IT) /

Kriege werden viel zu leicht hingenommen

Der wahre tragische Fehler ist die Normalisierung von gewalttätigen Kampfhandlungen, klagt Avvenire:

„Es geht nicht darum, die individuelle Verantwortung zu leugnen. ... Es wäre jedoch kurzsichtig nicht auch die strukturellen Ursachen zu beleuchten. ... Da sind die Staaten, die vom rechten Weg abgekommen sind, wenn sie den Krieg für ein praktikables und sinnvolles Mittel zur Beilegung von Streitigkeiten im 21. Jahrhundert halten. Die Analysten, wenn sie wiederholen, dass er 'unvermeidlich' sei, und dabei Konflikte mit ihrer Lösung durch Blutvergießen verwechseln. ... Die Intellektuellen, wenn sie behaupten, Krieg sei die Regel der Geschichte und Frieden die Ausnahme, als ob es sich um ontologische Kategorien und nicht um sozial konstruierte Phänomene handelte.“