80 Jahre Hiroshima: Haben wir gelernt?

Die japanische Stadt Hiroshima hat mit dem Läuten der Friedensglocke und einer Schweigeminute der Opfer des Atombombenabwurfs vor 80 Jahren gedacht. Bei dem ersten Kriegseinsatz einer Nuklearwaffe durch die USA starben Zehntausende Menschen. Europäische Kommentatoren debattieren vor diesem Hintergrund über Abschreckungslogik und Kriegsgefahren.

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Polityka (PL) /

Der Westen braucht den Schutzschirm

Die USA müssen der atomare Sicherheitsgarant des Westens bleiben, schreibt Polityka:

„Die Hoffnung, Atomwaffen aus der Weltpolitik ausschließen zu können, war eine Illusion. Es ist, wie es ist, und Amerika muss, koste es, was es wolle, seine Führungsrolle gegenüber seinen Verbündeten bekräftigen, denn ohne die USA sind sie nicht sicherer. Die USA müssen außerdem ihr Atomarsenal an aktuelle und zukünftige Bedrohungen anpassen, und dürfen nicht darauf setzen, dass China seine nukleare Expansion aufgibt.“

Corriere della Sera (IT) /

Atombomben sind immer vermeidbar

Der Schriftsteller Paolo Giordano warnt in Corriere della Sera vor der These der Unvermeidbarkeit:

„Achtzig Jahre nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki wird immer noch über die historische Unvermeidbarkeit dieser Aktionen diskutiert. Ohne die Atombombenangriffe hätte Japan nicht kapituliert, der Krieg hätte noch lange gedauert und noch mehr Menschenleben gekostet usw. Diese These ist nicht nur kontrafaktisch, sondern vermutlich auch falsch. Und selbst wenn man sie für die erste Bombe, die auf Hiroshima abgeworfen wurde, in Betracht ziehen wollte, würde sie dennoch nicht für die Bombe auf Nagasaki gelten, die reine Grausamkeit und Zerstörungswut war. Die historische Unvermeidbarkeit, die uns beruhigen soll, ist ein gefährliches Konzept, damals wie heute.“

The Independent (GB) /

Nukleare Aufrüstung ist das falsche Signal

Dass der britische Premier Starmer erst kürzlich ankündigte, in neue Atomwaffen zu investieren, ist Ausdruck dessen, dass man nichts gelernt hat, so The Independent:

„Die neun Staaten, die offiziell als Atommächte gelten, verfügen über eine Feuerkraft, die 145.000 Hiroshima-Bomben entspricht – mehr als genug, um die Welt mehrfach zu zerstören. Aber das reicht offenbar noch nicht aus. So kündigte Keir Starmer für Großbritannien kürzlich an, umgerechnet 15 Milliarden Pfund zusätzlich für die Entwicklung von U-Boot-gestützten Atomsprengköpfen sowie für den Kauf von atomwaffenfähigen F-35A-Kampfflugzeugen auszugeben, die wieder einen Einsatz aus der Luft ermöglichen. Damit rückt die Aussicht auf einen Atomkrieg deutlich näher.“

El País (ES) /

Atomare Gefahr größer denn je

Nuklearwaffenfreiheit ist immer noch wichtig, erinnert El País:

„Der Gedenktag fällt mit einer beunruhigenden Rhetorik zusammen: Moskau verweist auf seine atomare Zerstörungskraft, um Kyjiws Verbündete abzuschrecken. ... Donald Trump reagiert mit der Ankündigung der Mobilisierung zweier Atom-U-Boote, Europa will mehr nukleare Abschreckung, mit Frankreich und Großbritannien an der Spitze, und der Angriff der USA und Israels auf den Iran hat das iranische Regime davon überzeugt, dass Atomwaffen überlebenswichtig sind. ... Die nukleare Bedrohung ist keine bloße Rhetorik, die Menschheit darf das Ziel, sich davon zu befreien, nicht aufgeben.“

L'Echo (BE) /

Die eigene Verantwortung begreifen

Auch Länder, die keine eigene Atombombe besitzen, wie Belgien, sollten ihre Rolle ernst nehmen, mahnt L’Echo:

„Von Anfang an hat es [Belgien] – über die Shinkolobwe-Mine in [damalige Provinz von Belgisch-Kongo] Katanga – das Uran geliefert, das zur Herstellung der auf Japan abgeworfenen Bomben diente. ... In einer Zeit, in der Europa einen Schlussstrich unter die 'Friedensdividenden' setzt und massiv in seine Aufrüstung investiert, kauft die belgische Regierung F-35-Kampfjets anstatt Konkurrenzmarken, um in der Lage zu sein, im Land stationierte Atomwaffen abzuwerfen. Wie alle Beteiligten an diesem aus dem Kalten Krieg geerbten atomaren Abschreckungssystem darf Belgien nie den Ernst seiner Rolle aus den Augen verlieren. Die nukleare Abschreckung ist eine Wette und in der Welt der Putins und Trumps scheint diese so riskant wie nie zuvor.“

La Stampa (IT) /

Zeugnis menschlicher Dummheit

La Stampa empört sich über die Leichtfertigkeit, mit der heutzutage mit Nuklearwaffen gedroht wird:

„Es scheint ein unglaubliches Zeugnis menschlicher Dummheit zu sein, dass 80 Jahre nach dem 'Was haben wir getan?' sich sowohl die Zahl der Länder mit nachgewiesenen oder mutmaßlichen Atomwaffenarsenalen als auch die große Zahl der Aspiranten vervielfacht haben. ... 80 Jahre nach Hiroshima sind wir entmutigt durch Kriege am Rande einer nuklearen Katastrophe. Unglückselige Politiker schwingen bedrohlich mit diesen Waffen, als wären es Juwelen, die zu lange im Safe aufbewahrt wurden. Sie setzen U-Boote und Raketen ein, um zu zeigen, dass die Nicht-Waffe wieder zu einer Waffe geworden ist.“

Libération (FR) /

Gefährliche Schritte in die falsche Richtung

Die von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron angestrebte Ausweitung des französischen Atomschirms auf Europa trägt zu einer tödlichen Flucht nach vorne rund um den Globus bei, warnt eine Gruppe von NGOs in Libération:

„Die im Atomwaffenverbotsvertrag engagierten Regierungen haben es erkannt: Die atomare Abschreckung ist nicht die Lösung, sondern das Problem. Sie fördert eine Logik der Konfrontation, verstärkt das Wettrüsten (mit nuklearen wie konventionellen Waffen), schwächt Verträge und legitimiert Drohungen als Beziehungsmodus zwischen Staaten. Die Idee, die französische Abschreckung zu europäisieren, ist eine gefährliche Verkettung. Sie wird Reaktionen Russlands hervorrufen, die Ambitionen anderer Atommächte oder atomarer Schwellenländer nähren und das Ende des Atomwaffensperrregimes vorantreiben.“

eldiario.es (ES) /

Kluft zwischen Moral und Technologie wächst

Die Autorin Irene Lozano zieht in eldiario.es eine Parallele zur Erfindung der KI:

„Dank der Atombombe sind wir die erste Generation, die alle Generationen auslöschen kann. Die Entwicklung künstlicher Intelligenz – ausgerichtet auf Geld und Macht – trifft den Kern dieser Sorge. … Die Kluft zwischen moralischer Handlungsfähigkeit und technologischer Macht wächst, aber acht Milliarden Menschen können nicht die moralischen Folgen von KI kontrollieren. … Die Verantwortung müssen wir von den Konzernen verlangen. … Und die demokratischen Regierungen müssen ihnen ihre Grenzen setzen. … Ihre Entwicklungen dürfen unser Verständnis nicht übersteigen, sonst fällt eine neue Atombombe auf ein neues Hiroshima.“