Frankreich: Massive Proteste gegen Sparpläne
Hunderttausende Menschen haben am Donnerstag in Frankreich landesweit gegen die Sparpläne der Regierung protestiert und gestreikt. Der Nahverkehr war stark beeinträchtigt, viele Schulen und Apotheken blieben geschlossen, in Unternehmen kam es zu Blockadeaktionen. Für Kommentatoren liegt im Land vieles im Argen.
Randale als Selbstzweck
Die Zeit beobachtet ein sich wiederholendes Ritual in Frankreich:
„Aufruhr, wohin man schaut. Die widerspenstigen Gallier machen ihrem Ruf alle Ehre. Der neu ernannte Premierminister Sébastien Lecornu ist nicht zu beneiden. Von Deutschland aus blicken wir mal mit Bewunderung und mal mit Entsetzen auf den unruhigen Nachbarn im Westen. Toll, die Französinnen und Franzosen lassen sich nichts gefallen! Um Himmels willen, schon wieder Randale auf den Champs-Élysées! Tatsächlich gehören die brennenden Mülltonnen und berstenden Schaufensterscheiben zur französischen Folklore. ... Demonstrationen und Streiks werden in Frankreich meist von Linken organisiert. Für manche von ihnen ist der Protest zu einer Lebensform geworden, zu einer Art Glaubensbekenntnis.“
Desaströse Suche nach Sündenböcken
Die Franzosen verrennen sich in gegenseitigen Schuldzuweisungen, sorgt sich Le Quotidien:
„Jeder sucht einen idealen Schuldigen: die zu wohlhabenden Rentner, die zu wenig arbeitenden jungen Menschen, die Armen mit zu umfassenden Hilfsleistungen, die zu wenig Steuer zahlenden Reichen, die zu zahlreichen Beamten, die von ihrem Aufnahmeland 'profitierenden' Zuwanderer, die zu gut bezahlten Abgeordneten, die nicht genug zahlenden Unternehmen, die Gewerkschaften, die nur im Sinn haben, das ganze Land zu blockieren, obwohl Frankreich bereits in Schwierigkeiten steckt, die nicht ausreichend diskutierende Regierung, Macron, der alles zerstört hat. … Und diese Liste ist nicht vollständig. Jeden Tag kommt ein neuer Sündenbock hinzu. Frankreich wird nichts mehr gelingen, wenn es so gespalten ist.“
Gute Nachricht für den Premier
L’Opinion bescheinigt den Protesten wenig Durchschlagkraft:
„Die Diskrepanz zwischen dem Traum von der sozialen Revolution und der Realität ist so groß wie nie zuvor. ... Ist das eher das – beunruhigende – Ergebnis einer Art Entmutigung, sozialer Hoffnungslosigkeit? Sollte dies der Fall sein, wäre dies das Zeichen, dass dieses protestierende Frankreich sich bereits nichts mehr vom neuen Premier erhofft und lieber auf die große Neuausrichtung durch eine mehr oder weniger baldige Präsidentschaftswahl wartet. Wie dem auch sei, dieses relative Scheitern der Mobilisierung durch die Gewerkschaften erlaubt es Sébastien Lecornu, sich von dem politischen Druck zu lösen, den die Linke und ihr radikales Programm daraus ziehen zu können gehofft hatten. ... Eine gute Nachricht.“
Risiken für ganz Europa
Das Wirtschaftsportal Oikonomikos Tachidromos analysiert:
„Frankreich steht mittlerweile vor einer Staatsverschuldung von über 3,3 Billionen Euro. Dies ist nicht nur das Ergebnis externer Krisen, sondern vor allem der Misswirtschaft aufeinanderfolgender Regierungen seit 2017 unter Macron. ... Das Land mit der drittgrößten Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP in Europa dürfte künftig noch größere wirtschaftliche Turbulenz erleben. Da es sich zudem um die zweitgrößte Wirtschaft der Eurozone handelt, könnten die Folgen erheblich sein. ... Wer denkt, dass die höheren Zinsen französischer Zehnjahresanleihen im Vergleich zu griechischen unproblematisch sind, sollte wissen, dass eine Verschärfung der Lage in Frankreich auch die Zinsen für griechische Anleihen in die Höhe treiben könnte.“