Neuwahl: Wer soll die Niederlande regieren?
Die Niederländer wählen am heutigen Mittwoch ein neues Parlament. Die vorgezogene Parlamentswahl war notwendig geworden, nachdem die bisherige Regierung Anfang Juni ihre Mehrheit verloren hatte. Europas Presse interessiert sich insbesondere für die künftige Rolle des Rechtspopulisten Geert Wilders.
Wer zweiter wird, gewinnt
Für La Repubblica ist die Wahl ein besonderes Phänomen:
„Der Rechtsextreme liegt in den Umfragen vorn, aber niemand will mehr mit ihm regieren. Dicht dahinter folgen die Linke von Timmermans und die Mitte. Wer Zweiter wird, gewinnt. Das ist das Paradox der vorgezogenen Wahl, die in den zunehmend instabilen Niederlanden stattfindet, die dritte Wahl in fünf Jahren, bei der die rechtsextreme Partei (PVV) von Geert Wilders nach ihrem Triumph von 2023 erneut favorisiert wird. ... Doch keine der großen Parteien will mit dem EU-feindlichen, Trump-freundlichen und migrationsfeindlichen Populisten koalieren, nachdem er im Juni die Regierung des von ihm zunächst unterstützten Technokraten Dick Schoof zum Scheitern gebracht hatte, indem er verfassungswidrige Maßnahmen gegen Migranten forderte.“
Wilders gelobt Loyalität
Der PVV-Kandidat versucht sein Glaubwürdigkeitsproblem zu lösen, analysiert der Niederlande-Korrespondent von Causeur René ter Steege:
„Geert Wilders hat sich – und das kommt am Wahlkampfende selten vor – für das Verhalten von zwei seiner Abgeordneten entschuldigt, die mit Hilfe von KI eine Fotomontage erstellt haben, die [den rot-grünen Spitzenkandidaten] Frans Timmermans zeigt, wie er die Tasche eines Niederländers leert, um das Geld einer verschleierten Frau zu geben. Diese Geste der Entschuldigung wurde als Garantie für Mäßigung gegenüber möglichen Koalitionspartnern interpretiert. … Der PVV-Chef hat geschworen, dass er diesmal ein 'loyaler' Partner sein werde, sollte seine Partei erneut als Sieger aus der Wahl hervorgehen. Stellt sich die Frage, ob ihm dies jemand glauben wird.“
Isolieren und imitieren als Strategie
De Standaard blickt aufs Chaos nach dem Scheitern der Koalition mit den Rechtspopulisten und zieht Lehren fürs eigene Land:
„Eine pragmatische und entschlossene Regierung bleibt das stärkste Bollwerk gegen undemokratischen Populismus. Der niederländische Politikwissenschaftler Joost van Spanje schlägt die Strategie des 'Isolierens und Imitierens' vor, um sowohl die radikale Rechte als auch die radikale Linke zu bekämpfen. Schließt sie klar und entschlossen von der Macht aus, kopiert Programmpunkte, die die Wähler bewegen, und führt eine Politik innerhalb des demokratischen Konsenses durch. ... [In Belgien ist] die Haushaltsdebatte der erste große Test. ... Das Vertrauen in die Demokratie selbst steht auf dem Spiel. Die Niederlande zeigen das Worst-Case-Szenario, wenn die Politiker scheitern.“
Grundbedürfnisse anpacken
NRC hofft auf eine regierungsfähige Koalition mit Blick auf die großen Themen:
„Die Rückkehr in die Mitte, die viele Meinungsforscher und Analysten für diesen Mittwoch erwarten, darf nicht den Blick dafür trüben, was die Niederlande tatsächlich brauchen. Eine Lösung für die Wohnungsnot, ein Ende der Stickstoffproblematik [laut einem Gerichtsurteil muss die Regierung Maßnahmen ergreifen, um die Stickstoff-Emissionen zu reduzieren], Aufmerksamkeit für eine nachhaltige Zukunft, für Verteidigung, bezahlbare und gute Gesundheitsversorgung für alle, Chancengleichheit in Bildung und auf dem Arbeitsmarkt, Raum für Unternehmer. Kurz gesagt: die Grundbedürfnisse einer reifen, prosperierenden Demokratie.“
Ukraine-Politik bleibt unverändert
Unabhängig vom Wahlergebnis werden die Niederlande die Ukraine auch künftig unterstützen, ist Ewropeiska Prawda überzeugt:
„Trotz der Kriegsmüdigkeit der Europäer bleibt die Unterstützung der Ukraine für die Niederländer wichtig. ... Die führenden politischen Kräfte – GroenLinks-PvdA, D66, Volt, CDA, VVD und ChristenUnie – treten für die Fortsetzung der militärischen, finanziellen und humanitären Hilfe ein. Die Mitte-links-Parteien fordern dabei eine führende Rolle der Niederlande bei dieser Unterstützung, während die rechten Populisten der PVV unter Wilders sich auf symbolische Aussagen beschränken und die Ansicht vertreten, die Niederlande hätten bereits 'genug getan'. Da es im Land jedoch einen Konsens in Bezug auf den Krieg in der Ukraine gibt, wird es Wilders kaum gelingen, den Kurs der Niederlande im Alleingang zu ändern.“
Gewinner darf ausgegrenzt werden
Zahlreiche Parteien haben eine Kooperation mit Wilders abgelehnt. Zurecht, meint De Volkskrant:
„Jeder Parlamentssitz hat das gleiche Gewicht. ... Selbst wenn Wilders' Partei am Mittwoch die größte Fraktion wird, es aber gleichzeitig eine große Mehrheit gibt, die nicht mit ihm zusammenarbeiten will, wäre deren Position demokratisch voll legitimiert ... Nach anderthalb Jahren des Experimentierens mit dem flügellahmen Dirk Schoof können wir feststellen, dass ein Ministerpräsident mit einem eigenen politischen Profil und einem soliden Wählermandat – größer als das von Wilders – von entscheidender Bedeutung für die Entschlusskraft einer neuen Regierung und für das Image des Landes im Ausland ist.“
Angst und Wut gedeihen
Wilders hat den politischen Diskurs radikal verschoben, analysiert Le Soir:
„Die extreme Rechte an die Macht bringen ist die beste Strategie, um sie zu vernichten? Diese Idee kursiert manchmal, doch die Niederlande hat gezeigt, wie wirkungslos und zugleich gefährlich sie ist. … Geert Wilders ist es gelungen, seine Ideen über sein eigenes Wählerlager hinaus zu verbreiten. Unter 'seiner' Regierung dominierten Migrationsfragen die politische Agenda und prägten die niederländische Politik nachhaltig. Heute versprechen die meisten Parteien im Wahlkampf, die Einwanderung zu begrenzen. ... Zudem hat die PVV die Grenzen des politisch Akzeptablen verschoben. ... Geert Wilders hat ein düsteres, beinahe apokalyptisches Bild eines Landes im Niedergang gezeichnet und bestimmte Bevölkerungsgruppen als willkommene Sündenböcke stigmatisiert. Damit hat er Angst geschürt und Wut genährt.“
Angriff auf die Demokratie diesmal abwehren
Wilders vergiftet seit einem Jahrzehnt die politische Debatte, erläutert Politikjournalist Tom-Jan Meeus in seiner Kolumne in NRC:
„Das ganze Paket – den Autokraten Orbán bejubeln, die [Verschwörungs-]Theorie vom 'Großen Austausch' normalisieren, das Parlament untergraben, zum Widerstand aufrufen, Propaganda wiederholen – hat seit 2015 zur Destabilisierung der Demokratie beigetragen. ... Es ist eine der großen Fragen von 2025: Wird es den Parteien der Mitte gelingen, Wilders' Angriff auf die liberale Demokratie abzuwehren? Einen Angriff, den er 2015 begann und seither mit der Disziplin eines vollendeten Propagandisten fortgesetzt hat.“