Ukraine: Korruptionsskandal zieht weitere Kreise

Wegen des Korruptionsskandals im Energiesektor haben der ukrainische Justizminister Herman Haluschtschenko und Energieministerin Switlana Hryntschuk ihre Rücktritte erklärt. Antikorruptions-Ermittler hatten zuvor mitgeteilt, dass sie wegen Bestechung im Zusammenhang mit Baumaßnahmen zum Schutz von Energieanlagen ermitteln. Einige Kommentatoren sehen Präsident Selenskyj unter Druck und die Unterstützung aus dem Westen wackeln.

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La Repubblica (IT) /

Das ist erst der Anfang

Es wird weitere brisante Enthüllungen geben, vermutete La Repubblica:

„Die Untersuchung gegen eine Bande korrupter Personen, die internationale Hilfsgelder zum Schutz von Kraftwerken und Energieinfrastruktur vor russischen Angriffen missbrauchten, breitet sich rasant aus. ... Tymur Minditsch, Mitinhaber des von Selenskyj gegründeten Rundfunkunternehmens Studio Kwartal 95 und ein enger Freund des Präsidenten, gilt als Drahtzieher des Skandals: Er floh, als Nabu-Agenten bei ihm zu Hause auftauchten. ... Doch über den Vertrauten des Präsidenten ziehen weitere dunkle Wolken auf: Im Zuge der Ermittlungen ist der Name von Rustem Umjerow, Sekretär des von Selenskyj geleiteten Sicherheitsrates und einer der Hauptverhandlungsführer [über eine Waffenruhe], aufgetaucht.“

The Spectator (GB) /

Scharfer Kontrollblick aus dem Westen

Selenskyj hat keine andere Wahl, als Aufklärung zu fordern, selbst wenn dies seinen Sturz bedeutet, glaubt The Spectator:

„Selenskyj selbst unterstützt öffentlich das Vorgehen gegen Korruption und erklärte in seiner nächtlichen Ansprache an die Nation, dass es 'Strafen geben muss'. … Die Standardreaktion vieler Selenskyj-Anhänger wird sein, die Vorwürfe als Verleumdungen des Kremls abzutun. Tatsächlich stützte Selenskyj seinen Versuch, [das Antikorruptionsbüro] Nabu im Juli unter seine Kontrolle zu bringen, auf vage und nie belegte Behauptungen über eine russische Unterwanderung der Behörde. Doch da der Westen genau hinschaut, hat Selenskyj kaum eine andere Wahl, als Nabus Vorgehen gegen seine engsten Verbündeten und Geschäftspartner zu billigen und die Folgen für seinen Ruf und seine politische Zukunft in Kauf zu nehmen.“

Visão (PT) /

Regierungswechsel so schnell wie möglich

Dieser Skandal schadet dem EU-Beitrittsprozess der Ukraine, warnt Visão:

„Seit 2022, mit dem Beginn des Krieges und dem Vorantreiben des Beitrittsprozesses, fließt eine Flut von Geld in die Ukraine. Dies erfordert eine beispiellose Wachsamkeit, damit kein Teil der dem Land gewährten Hilfe in Frage gestellt wird. Leider wird dies ein weiteres Thema sein, das Putin aufgreifen kann, obwohl er der Führer eines der korruptesten Länder der Welt ist. Selenskyj muss auf allen Ebenen entschlossen und schnell handeln. ... Die Verbündeten brauchen schnelle Erklärungen, um ein Einfrieren aller Hilfen, wenn auch nur vorübergehend, zu vermeiden. Die Ukraine braucht eine neue Regierung.“

Der Standard (AT) /

Kyjiw braucht Europas Beistand mehr denn je

Die Unterstützung durch die EU darf trotz des Skandals nicht nachlassen, fordert Der Standard:

„All das ist freilich Wasser auf die Mühlen der Kreml-Freunde, die nun einmal mehr fordern, keine weiteren EU-Beitrittsgespräche mit der Ukraine zu führen und dieser den Geldhahn zuzudrehen. Dabei gilt es gerade jetzt, die demokratischen Strukturen im Land zu stärken. So wie im Sommer, als die Unabhängigkeit des Nationalen Antikorruptionsbüros und der Antikorruptionsstaatsanwaltschaft eingeschränkt werden sollte. Das konnte damals verhindert werden – durch Proteste auf den Straßen und durch Druck aus Europa. Letzterer kann aber nur greifen, wenn man die EU-Beitrittsambitionen der Ukraine prinzipiell unterstützt, statt das leidgeprüfte Land bei jeder Gelegenheit zu brüskieren.“

Die Welt (DE) /

Zivilgesellschaft bleibt unbeirrt

Die Welt ist beeindruckt von der Resilienz der Zivilgesellschaft:

„Die ließ sich im Sommer auch durch den Krieg nicht beirren – die ukrainischen Bürger gingen massenhaft auf die Straße, um die Unabhängigkeit der Antikorruptionsbehörde zu bewahren. Selenskyj sah sich deshalb am Ende gezwungen, dem Druck seiner Bürger und der Europäer nachzugeben und die Eigenständigkeit der Behörde wieder herzustellen. Dass die Ukrainer trotz Krieg nicht bereit waren, die Reformuhr zurückdrehen zu lassen, zeigt, wie resilient die Zivilgesellschaft auch politisch ist. Und wie wichtig es den Ukrainern ist, ihren Weg in Richtung Europa und europäischer Werte fortzusetzen.“

Espreso (UA) /

Selbstmörderischer Verrat

Espreso ist erzürnt:

„Das Ganze wirkt wie etwas zwischen Selbstmord und Verrat – vor allem, wenn man bedenkt, dass die jüngsten russischen Angriffe genau auf jene Umspannwerke zielten, die die ukrainischen Atomkraftwerke mit Strom versorgen. Eines davon ist das Kernkraftwerk Chmelnyzkyj, das im Epizentrum des Korruptionsskandals steht. ... Wenn wir also fragen: Wo ist denn der versprochene Schutz [der Energieinfrastruktur]? Dann erinnert euch an die Sporttaschen voller Euro und Dollar, die offensichtlich für etwas Anderes gedacht waren – aber nicht dafür, dass die Menschen den Winter wenigstens mit minimalem Komfort überstehen oder dass unsere Truppen bei Pokrowsk ausreichend Drohnen haben.“

Corriere della Sera (IT) /

Präsident von allen Seiten bedrängt

Es ist keine einfache Zeit für Wolodymyr Selenskyj, befindet Corriere della Sera:

„Die Russen drängen an den Kampflinien, Korruptionsskandale schwächen die innere Front, und die Trump-Regierung scheint bereit zu sein, ihm Steine in den Weg zu legen, obwohl er eigentlich Waffen und Munition von den Verbündeten bräuchte. … Die innenpolitische Lage in der Ukraine wird zusätzlich durch einen Skandal belastet, in den mehrere Führungskräfte der nationalen Energieunternehmen verwickelt sind. Ein brisantes Thema, insbesondere jetzt, da die russischen Bombardierungen das Land ins Halbdunkel tauchen. ... Der Präsident, der in der Vergangenheit versucht hatte, die Arbeit der Ermittlungsbehörden zu boykottieren, begrüßt derzeit die Ermittlungen und fordert dazu auf, 'aufzuräumen'.“

Radio Kommersant FM (RU) /

Als Verschwörung nicht zielführend

Radio Kommersant FM erwartet nicht, dass der Skandal Selenskyj zu Fall bringen wird:

„Man kann in all dem eine große Verschwörung gegen Wolodymyr Selenskyj sehen. Etwa mit dem Ziel, auf ihn Druck auszuüben um ihn zu zwingen, seine Verhandlungsposition zu mildern, oder sogar, um den Rücktritt des Staatschefs zu erreichen. ... Es fällt auf, dass die ukrainischen Politiker sich nicht besonders darum reißen, sich hinter einer einzelnen Person zu versammeln, selbst angesichts der sehr schwierigen Lage. Dabei wird Selenskyj mit höchster Wahrscheinlichkeit seinen Posten nicht räumen und seine Haltung kaum ändern. Zwar hat er sich von Minditsch distanziert. Letzterer ist aber ausgereist, sodass er seinen alten Freund kaum anschwärzen wird.“