Ukraine-Krieg: Entscheidende Woche für Friedensplan?
Die Pendeldiplomatie zur Beendigung des russischen Krieges gegen die Ukraine nimmt an Fahrt auf: Am Wochenende trafen sich Vertreter der USA und der Ukraine in Florida, um über Änderungen an Präsident Donald Trumps Friedensplan zu beraten. Am heutigen Dienstag will US-Unterhändler Steve Witkoff mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau verhandeln. Kommentatoren diskutieren, in welche Richtung es nun gehen könnte.
Balanceakt zwischen Paris und Florida
Selenskyjs letzte Hoffnung bleibt US-Außenminister Rubio, betont La Tribune de Genève:
„Die Ukraine hat verstanden, dass sie, wenn sie in diesem Friedensentwurf Gehör finden will, mit Marco Rubio sprechen muss. ... Wird er es schaffen, die Ungeduld seines Chefs zu zügeln? ... Ihm klar zu machen, dass der Besuch von Selenskyj am Montag in Paris keineswegs ein Hindernis für die Unterzeichnung eines Abkommens darstellt, sondern ihm im Gegenteil ermöglichen kann, sich von den russischen Verlautbarungen zu emanzipieren und Europa an den Verhandlungstisch zurückzuholen? ... Militärisch geschwächt und durch Korruptionsskandale unter Druck bleibt Selenskyj nichts anderes übrig, als auf den Mann aus Florida zu setzen – und Donald Trump bis zum Überdruss zu danken.“
Ein Zeichen für Europas Rückhalt
Das Treffen von Selenskyj und Macron in Paris sendet ein wichtiges Signal der Unterstützung, urteilt Kolumnist Pierre Haski in France Inter:
„Wolodymyr Selenskyj muss an mehreren Fronten gleichzeitig kämpfen, etwa um seine Legitimität. Diese wird ihm nicht von Macron, Putin oder Trump verliehen, sondern von den Ukrainern selbst. Der Gesellschaftsvertrag zwischen Selenskyj und seinen Mitbürgern wurde am 24. Februar 2022 geschlossen. ... Die Europäer waren geschickt genug, sich wieder einzuschalten. ... Sie haben mit Marco Rubio einen Plan ausgehandelt, der weniger Putins Träumen entspricht. ... Das Mittagessen im Élysée-Palast soll zeigen, dass Europa die Ukraine trotz der Schwierigkeiten nicht im Stich lässt.“
Nicht ständig den USA hinterherlaufen
Europa muss einen eigenen Friedensplan vorlegen, fordert der politische Analyst und Europaexperte Ricardo Borges de Castro in Sábado:
„Die Idee, dass die Unterstützung für Kyjiw so lange wie nötig fortgesetzt wird, ist wichtig. Aber zwischen den Zeilen vermeidet man es, einzugestehen, dass dieser Krieg schon viel zu lange dauert und dass die Ukraine nur mit massiver militärischer und finanzieller Unterstützung in der Lage sein wird, die russische Aggression abzuwehren. ... Andererseits muss Europa einen eigenen Plan für einen dauerhaften Frieden vorlegen, um nicht immer nur den Amerikanern hinterherzulaufen oder auf die Finten Moskaus zu reagieren, die darauf abzielen, einen gerechten Frieden zu verhindern und die Verbündeten zu spalten.“
Die große Ungewissheit
La Repubblica findet zurzeit keine Orientierung:
„Die theatralische Umarmung mit Selenskyj im Élysée-Palast ist eine Botschaft für die ganze Welt. ... Frankreich und die Koalition der Willigen werden im Hinblick auf ihre Unterstützung Kyjiws und des immer schwächer werdenden [ukrainischen] Präsidenten keinen Millimeter weichen. ... Symbole zählen mehr als die Zweifel und der sich ständig ändernde Inhalt dieses vertrackten Verhandlungsgeflechts, das in jeder Runde neu geknüpft und wieder aufgelöst wird. ... Gestern waren Kyjiw und die Willigen am Zug, heute sind Moskau und die Amerikaner an der Reihe: Trumps Unterhändler Steve Witkoff ist im Kreml eingetroffen, und niemand weiß, wie er Putin überzeugen will, die Raketen- und Drohnenangriffe zu stoppen.“
Beidseitige Erschöpfung wird wohl Konflikt beenden
Ein Waffenstillstand wäre bloß eine Atempause, warnt Exil-Politiker Dmitri Gudkow in einem von Echo übernommene Telegram-Post:
„Selbst wenn morgen jemand etwas unterschreibt, wird der Krieg nicht mit einem 'Ergebnis' enden, denn unter den gegebenen Umständen kann es kein Ergebnis geben. Er kann nur vorübergehend abflauen – und dann wieder an Fahrt gewinnen. ... Und das so oft wie gewünscht. Oder er wird langsam auslaufen wie eine alte Dampfmaschine, der die Kohle ausgeht, deren Kessel aber noch warm ist. An der Front ändert sich nichts, während Gesellschaft und Wirtschaft nach und nach in tiefer Erstarrung versinken. ... So war es im Ersten Weltkrieg – einem Krieg, der weniger durch die Niederlage einer Seite auf dem Schlachtfeld endete als vielmehr durch allgemeine Erschöpfung.“
Ungerechter Frieden oder gerechter Krieg?
Der Politologe und El País-Kolumnist Víctor Lapuente fragt:
„Wenn Sie ein ukrainischer Vater mit Töchtern in einer bombardierten Stadt wären, oder eine russische Mutter mit Söhnen an der Front: Würden Sie einen ungerechten Frieden oder einen gerechten Krieg wählen? … Würden Sie lieber ein paar Tränen vor einer beschnittenen Landkarte vergießen oder täglich am Grab Ihres geliebten Kindes weinen? ... Der Versuch der Trump-Regierung, den Krieg in der Ukraine zu beenden, hat tausend Probleme, angefangen von Trumps Unberechenbarkeit bis hin zu übermäßigen Zugeständnissen an Russland. ... Doch unter dem europäischen Druck könnte dies für die Ukraine ein bedeutender Sieg sein. ... Sie wird Gebiete verlieren, aber die Freiheit gewinnen, sich Europa anzunähern und zu prosperieren.“
Kriegsmüdigkeit liegt in der Luft
Nach Ansicht des Tages-Anzeiger gibt es für keine der Kriegsparteien mehr etwas zu gewinnen:
„Fast vier Jahre hat dieser Krieg bereits gedauert, bald ist das länger als der Erste Weltkrieg. Wer hätte sich das je vorzustellen vermocht? Kriegsmüdigkeit liegt in der Luft. Die Toten, die Verstümmelten, die Verarmten. Dass Trump diesen Krieg hasst, weil er es hasst, Geld zu verlieren, mag sich als ein Vorteil erweisen. Er will ein Ende um jeden Preis. Entscheidend dürfte jedoch etwas anderes sein: dass Ukrainer und Russen beide merken, dass es für sie nichts mehr zu gewinnen gibt.“
Trump braucht sinkende Weltmarktpreise
Der US-Präsident zielt mit seinen Friedensbemühungen auch auf eine Senkung der Lebenshaltungskosten im eigenen Land, meint Eco:
„Der Inflationsanstieg in den Jahren nach der Pandemie war ein wichtiger Faktor für Bidens Niederlage und Trumps Sieg. Das Problem der Lebenshaltungskosten besteht weiterhin und war ausschlaggebend für die jüngsten Siege der Demokratischen Partei bei den Wahlen in New York [und New-Jersey]. Das Ende des Konflikts in der Ukraine würde nun russisches Öl und Erdgas sowie ukrainisches Getreide und Düngemittel wieder auf den internationalen Markt bringen, wodurch die Preise sinken und die Inflation nachlassen wird.“
Russisches Vermögen endlich anzapfen
Die EU hat immer noch einen großen Trumpf in der Hand, erinnert Financial Times:
„Das ist die Kontrolle über den Großteil der seit 2022 eingefrorenen Vermögenswerte der russischen Zentralbank. ... In letzter Zeit wurde die EU von Belgien, wo der Großteil der Vermögenswerte gehalten wird, blockiert, da es befürchtet, zur Kasse gebeten zu werden, wenn Russland eines Tages in der Lage sein sollte, das Geld zurückzuerhalten. Der Instinkt der EU, das Völkerrecht aufrechtzuerhalten, ist gut begründet. Da jedoch nicht nur Russland, sondern nun auch die Trump-Regierung internationale Normen mit Füßen tritt, muss sie außergewöhnliche Maßnahmen in Betracht ziehen, um die Ukraine und ihre eigene Sicherheit zu unterstützen.“
Europas Sturheit ist kontraproduktiv
Naftemporiki hält Trumps Friedensplan für eine pragmatische Lösung und kritisiert die prinzipielle Haltung der Europäer:
„Sich selektiv auf den Grundsatz der territorialen Integrität und der staatlichen Souveränität in der Ukraine zu berufen, wenn man denselben Grundsatz in den meisten Fällen mit Füßen tritt, ist einfach nur Heuchelei. Werfen wir einen Blick auf Zypern [mit dem von der Türkei besetzten Norden]. Der 'Verrückte mit den orangenen Haaren' und der 'paranoide Diktator im Kreml' sind, wenn sie ihre Interessen, die Risiken und das Kräfteverhältnis abwägen, viel besonnener als die entfesselten Europäer. Der vorliegende Entwurf bildet die Grundlage für einen neuen Vertrag über langfristige Sicherheit und Stabilität zwischen Europa, Russland und den USA.“
Putin wird nicht neben Selenskyj unterschreiben
Der Machthaber im Kreml wird immer einen Grund gegen ein Abkommen finden, befürchtet der Tages-Anzeiger:
„Der 28-Punkte-Plan hat einmal mehr verdeutlicht, wie sicher sich der russische Autokrat Wladimir Putin seiner Sache ist. Wo ist der Druck, der nötig ist, damit schlussendlich auch Putin mitmacht? Paradoxerweise könnte er eine Vereinbarung am Ende just darum scheitern lassen, weil Selenskyj sie unterschreibt. Putin hat Selenskyj die Legitimität als Oberhaupt der Ukraine abgesprochen und ihm lediglich die Teilnahme an Verhandlungen zugestanden, als Berater. Ein Abkommen, auf dem Selenskyjs Unterschrift als Präsident steht, weigert er sich zu unterzeichnen.“
Macht des Kremls würde im Frieden bröckeln
The New Times plädiert für eine langfristige Perspektive:
„Damit der Westen in Zukunft einen Erfolg im Aufbau einer friedlichen Welt erwarten kann, müssen die Russen von Putin getrennt werden, die russische Gesellschaft vom Staat. ... Aber zweifellos muss zuerst das Sterben von Menschen aufhören. Allmählich muss die Verhärtung und Verrohung verschwinden. Das ist für Putin unvorteilhaft. Deshalb sind jedwede Anstrengungen zur Koordinierung eines Friedensplans sinnvoll. Der Kreml wird das für einen Sieg halten. Aber ein Zustand des Friedens ist bereits die Aushöhlung des Systems Putin, das auf der industriellen Generierung von Chaos und Krisen beruht.“
Washington wird Europa die Schuld geben
Dagens Nyheter fällt es schwer, an ein friedliches Ende zu glauben:
„Putin ist nicht an einer souveränen Ukraine interessiert. Die Ukrainer wollen nicht auf den Knien leben. Möglicherweise kann Rubio Kyjiw und dem Rest Europas helfen, Zeit zu gewinnen. Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit ist, bis Donald Trump uns die Schuld für alle gescheiterten 'Friedensbemühungen' gibt und sich zurückzieht.“
Trump sucht Ruhe an der eigenen Front
Trumps Friedensbemühungen sind für Maszol eher innenpolitisch zu verstehen:
„Trump bräuchte dringend einen spektakulären internationalen Erfolg, weil die Probleme zu Hause immer größer werden. Das Maga-Lager ist zunehmend empört und gespalten, Trumps Popularität ist zur Zeit am Boden, und wenn er nicht schnell etwas unternimmt, wird sie noch weiter sinken. Er muss schnell etwas Großes vorweisen. Im Moment gibt es dafür zwei Möglichkeiten: Venezuela angreifen oder in der Ukraine Frieden diktieren. Wenn er Venezuela angreift, wird die Maga-Basis noch wütender. … Statt eines mehr als unpopulären Krieges sollte lieber Frieden in der Ukraine geschlossen werden, sagt sich der US-Präsident.“
Auch Peking wird mitreden
Ein Telefonat zwischen den Präsidenten Chinas und der USA am Montag ist für La Stampa ein Zeichen dafür, dass die Ukraine zunehmend zum Spielball der Großmächte wird:
„Die neuen Verhandlungsentwürfe zwischen Washington und Kyjiw, Moskaus Reaktionen und vor allem das Telefonat zwischen Xi und Trump zeigen, dass der Konflikt nun Teil des globalen Wettstreits um die Definition von Machtverhältnissen und Einflusssphären ist. Das Telefonat war keine rein formale Geste, sondern ein entscheidender strategischer Schritt, der darauf abzielte, in einem möglicherweise kritischen Moment des Krieges in der Ukraine Absichten und rote Linien zu markieren. ... Das Telefonat enthält eine weitergehende Botschaft: eine zunehmende Konzentration der globalen Macht zwischen den USA, China und Russland.“
Kyjiw hat zwischen Pest und Cholera entschieden
Die Ukraine hat jetzt nur noch die Wahl zwischen zwei schlechten Alternativen, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„[S]ich der offenen Erpressung durch Trump zu beugen, der die Verhandlungsposition Kiews gegenüber Moskau mit unfassbaren Zugeständnissen und Forderungen verschlechterte – oder in eine noch schlimmere militärische und politische Lage zu kommen, in der Trump der 'undankbaren' Ukraine sogar noch die letzte Unterstützung entzöge ... . Vor die Wahl zwischen Pest und Cholera gestellt, hat Kiew sich für den Kotau vor Trump entschieden, wozu auch die Europäer raten, die in der Konfrontation mit Putin selbst auf den Beistand der USA angewiesen sind.“