Politik rüstet sich für Europawahlkampf

Nach der Sommerpause nimmt das politische Leben in der EU mit Blick auf die Europawahl im Mai kommenden Jahres an Fahrt auf. Der Poker um die Neuvergabe der EU-Spitzenjobs hat begonnen, Kommissionspräsident Juncker treibt die Abschaffung der Zeitumstellung voran. Kommentatoren beobachten, wie sich zwei Lager in Position bringen.

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De Volkskrant (NL) /

Diesmal heißt es Macron gegen Orbán

Frankreichs Präsident Macron und Ungarns Premier Orbán stehen für die Polarisierung im kommenden Europawahlkampf, analysiert De Volkskrant:

„Für Orbán soll es um den Zweikampf zwischen Multikulturalismus und christlicher Kultur gehen, um die Haltung für oder gegen Einwanderung, um die föderalistische Europäische Union von Brüssel oder das Europa der Nationalstaaten. ... Nach Ansicht des ungarischen Premiers ist alles die Schuld der Elite, besonders der Elite von '1968'. Er will eine Korrektur und fühlt sich gestärkt durch den 'Rechtsruck' in Österreich, Italien und auch ein wenig in Deutschland. ... Macron will die Kampfansage annehmen, gemeinsam mit anderen progressiven Kräften in Europa, die wie er Befürworter einer stärkeren EU und pluraler Gesellschaften sind. Aber wie er das tun will, ist noch offen.“

Revista 22 (RO) /

Populisten bereiten ultimativen Angriff vor

Die populistischen Anführer, allen voran Italiens Innenminister Salvini und Ungarns Premier Orbán, arbeiten daran, das Europäische Parlament zu dominieren, meint die rumänische Wochenzeitung Revista 22:

„Das Problem ist, das für beide Seiten dieser Allianz das Thema Einwanderung nur ein Instrument ist, um ihre zutiefst antiliberalen und autoritären Agenden umzusetzen. Orbáns Hauptziel ist, ein autoritäres und korruptes Regime zu konsolidieren, während Salvini erst einmal eines aufbauen will. ... Je länger die europäischen Konservativen die Konfrontation mit den extremen Populisten hinausschieben, desto schwieriger wird das Ende des liberalen Europas zu vermeiden sein.“

Telos (FR) /

Was Europa eigentlich liefern muss

Um bei den Bürgern beliebter zu werden und sie zur Wahl zu mobilisieren, muss die EU besser erklären, welche Vorteile sie bringt, erklärt Ökonom François Meunier auf dem Debattenportal Telos:

„Was Europa fehlt, sind gute Projekte, die manchmal technokratisch, aber für die Bürger von Nutzen sein und mit einer guten PR einhergehen müssen. Was die 'Völker' - ein Begriff, der mit zahlreichen Bedeutungen überfrachtet wird - verlangen, ist Handeln oder anders ausgedrückt: Kompetenzbereiche, in denen Europa 'liefert'. ... Die Wettbewerbspolitik, die bisweilen sogar die Illusionen von Google zerstört, ist ein schönes Beispiel und Grund für Stolz. Ebenso das künftige europäische GPS. Themenbereiche gibt es genügend: von den einfachsten bis zu den ehrgeizigsten Ideen, von der Luftfahrtkontrolle über die Einführung ökologischer Standards bis zur Zuwanderungspolitik.“

Público (PT) /

Wir gegen die Anderen

Público erwartet einen harten Wahlkampf:

„Die Regierungen und politischen Parteien bereiten sich auf ein Europawahljahr vor, das sich von allen anderen unterscheiden wird. ... Die EU-Regierungen haben nichts aus der Flüchtlingskrise gelernt, die Europa seit fünf Jahren erschüttert, und die Einwanderung zum umstrittensten politischen Thema der EU-Agenda gemacht hat - was tiefgreifende Veränderungen in der europäischen politischen Landschaft verursacht hat. ... Noch nichts ist geregelt und die Voraussetzungen für den Aufbau einer gemeinsamen Asyl- und Einwanderungspolitik sind noch weniger gegeben als zu Beginn der Krise. ... Zweifellos wird dies ein Kampf zwischen Öffnung und Schließung, ein 'Wir' gegen 'die Anderen' werden.“

Magyar Hírlap (HU) /

Die Schlacht ist eröffnet

Jene, die ein christliches Europa der Kulturnationen bewahren wollen, stehen nun Emmanuel Macron und Angela Merkel gegenüber, meint das regierungsnahe Blatt Magyar Hírlap:

„Der vom Investmentbanker zum investierenden Politiker gewordene Macron findet, dass Nationen der Vergangenheit angehören und nur seinen Vereinigten Staaten von Europa im Weg stehen. Er möchte an Stelle der geschwächten und um ihr politisches Überleben kämpfenden Kanzlerin Merkel Europas starker Mann werden, der unsere Kulturnationen zu einer bunten, aber gesichtslosen Multikulti-Masse machen will, die von einem Zentrum aus gelenkt wird. Daran werden ihn wohl nicht nur die Ungarn, Polen, Tschechen, Italiener, Österreicher und Bayern hindern, sondern hoffentlich auch sein eigenes Volk. Der große Kampf, der bis zum Mai andauern wird, hat begonnen.“

Corriere della Sera (IT) /

Das alte Europa wird sterben

Noch nie war Europa so tief gespalten, analysiert Franco Venturini, Experte für internationale Politik, in Corriere della Sera:

„In Italien wie in anderen EU-Ländern zielen Pro-Europäer darauf ab, die EU von innen heraus zu reformieren, ohne das Kind mit dem Bade auszuschütten. ... Die Nationalpopulisten hingegen wollen, getragen von der wachsenden Zustimmung der Bevölkerung, die Brüsseler Kommandozentrale erobern. Nur sagen sie nicht, wie ihr 'neues Europa' aussehen würde, zumal sie zugeben müssten, dass dieses kaum mit ihrem radikalen Nationalismus in Einklang zu bringen wäre. ... Der Sieg der Souveränisten würde somit nicht die Geburt einer glaubwürdigen neuen Union bedeuten, die das Erbe einer Gemeinschaft antritt, die uns 70 Jahre Frieden und günstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen beschert hat - sondern den Tod des alten Europas.“

Club Z (BG) /

Die Lüge fliegt, die Wahrheit hinkt hinterher

Warum die Populisten im Wahlkampf ein leichtes Spiel haben werden, erklärt Club Z:

„Die Menschen bevorzugen die Lüge, die sie verstehen, gegenüber der Wahrheit, die sie nicht verstehen. Zum Beispiel haben sie geglaubt, dass der Brexit hunderte Millionen Euro in den Haushalt des britischen Gesundheitsversorgers NHS spülen wird. Nach dem Referendum haben die Urheber dieses Versprechens zugegeben, dass es falsch ist, doch da war es schon egal. Die Populisten lügen in verständlicher Sprache und spielen mit den Gefühlen und Ängsten der Leute. Sie nutzen die Unwissenheit darüber, was die EU ist, während die EU-Vertreter sie mit schwierigen Erklärungen kontern müssen, die man erstmal verstehen muss. Die Situation erinnert sehr an ein Zitat Jonathan Swifts: 'Die Lüge fliegt, und die Wahrheit hinkt ihr hinterher; so ist es dann, wenn die Menschen die Täuschung erkennen, schon zu spät.'“