Trump gegen Tiktok: Kompromiss durch Verkauf?

Donald Trump will auf ein Verbot der Video-App Tiktok verzichten, wenn deren US-Sparte an ein "sehr amerikanisches Unternehmen" verkauft wird. Microsoft führt schon länger entsprechende Gespräche. Tiktok gehört dem chinesischen Konzern Bytedance und hat weltweit Hunderte Millionen meist junge Nutzer. In den Kommentarspalten wirft das Vorgehen aller Beteiligten Fragen auf.

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Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Deal hätte schalen Beigeschmack

Die Übernahme von Tiktoks Amerika-Geschäft wäre ein gewagtes Manöver, glaubt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:

„Ob Tiktok seinen steilen Aufstieg fortsetzen kann, muss sich zeigen, zumal Facebook wie schon im Wettbewerb mit anderen Herausforderern versucht, die App mit ähnlichen Funktionen zu kopieren. Microsoft geht zudem ein erhebliches Reputationsrisiko ein. Soziale Netzwerke sind ein Minenfeld, der Konzern würde anfällig für Datenaffären, politische Einflussnahme und Kontroversen um Hasskommentare. Schon jetzt zahlt er [Microsoft-Chef Satya Nadella] mit seinem Werben um Tiktok einen politischen Preis, denn er hat sich Trumps Kapriolen ausgeliefert. Er unterwarf sich dem Präsidenten in einer schmeichelnden Mitteilung ... . Kommt die Übernahme zustande, wird sie einen schalen Beigeschmack haben.“

De Tijd (BE) /

Mafia-Praktiken im Weißen Haus

Trumps Forderung, bei einem Kauf von Tiktok durch Microsoft müsse ein Teil des Erlöses in die US-Staatskasse fließen, geht für De Tijd eindeutig zu weit:

„Der Angriff auf Tiktok ist der x-te Vorfall zwischen den USA und China. ... Technologie wird immer mehr zum Schlachtfeld in der Geopolitik. ... Trump geht nun aber einen Schritt weiter. Indem er offen einen Anteil bei Vertragsabschluss fordert, verschiebt der Präsident die Grenzen. Auf Sizilien und in Kalabrien heißt eine solche Beteiligung 'pizzo', und so zögern amerikanische Juristen auch nicht, das Wort Mafia zu benutzen. Was die Absicht des US-Präsidenten ist, bleibt undeutlich. Das macht den geopolitischen Konflikt nur noch undurchsichtiger.“

France Inter (FR) /

Warum der Präsident die Plattform fürchtet

Der US-Präsident will sich einer für ihn bedrohlichen Plattform entledigen, glaubt France Inter:

„Die App ist insbesondere dafür bekannt, dass man einige Sekunden dauernde, mit Freunden selbst gefilmte Tanz- und Witzvideos postet. Doch das ist nicht alles! Sie ist auch und vor allem die App der Jüngsten: der Teenager und jungen Erwachsenen. In den USA ist Tiktok zu einem enormen politischen Forum geworden, auf dem sich diese Generation organisiert und Posts zu Umweltschutz, Rassismus und gegen Polizeigewalt teilt. Man kann sagen, dass, wenn Twitter und Facebook die Apps des Arabischen Frühlings waren, Tiktok die von Black Lives Matter ist. Mit einem Verbot von Tiktok - und 49 weiteren Apps chinesischen Ursprungs - untersagt Donald Trump also ein mächtiges Informationstool gegen ihn.“

Expressen (SE) /

Das World Wide Web war einmal

Die USA verhalten sich letztlich genau wie China, konstatiert Expressen:

„Die westliche Welt hat immer für eine freiere Sicht auf das Netz gestanden - zumindest in den Sonntagsreden. Aber wenn nun auch die Vereinigten Staaten anfangen, Apps zu verbieten, nähern sie sich in der Praxis der chinesischen Position, auch wenn es dafür gute Gründe gibt. … Auf diese Weise sind die Konturen eines regionaleren Internets erkennbar. Die digitalen Entfernungen können sogar wachsen - wenn Wechat [chinesischer Messenger] in den USA schließt, wird es für die chinesische Diaspora viel schwieriger, mit Familie und Freunden zu kommunizieren. Vielleicht ist es an der Zeit, das erste W im World Wide Web zu löschen.“

L'Echo (BE) /

Kalter Krieg 2.0

Barack Obama hatte die Gefahr der Zersplitterung des Internets erkannt, erinnert L'Echo:

„Der frühere US-Präsident sprach sich für die den Webpionieren so liebe und teure Philosophie der ersten Stunde aus, für den gemeinsamen Raum - um die Entstehung immer unterschiedlicherer, abgeschotteter und tendenziöser werdender Welten zu verhindern. Damals hat Obama von der Zersplitterung gesprochen, die sich in unseren Gesellschaften vollzieht und Extremismen befördert, heute kann er sehen, wie sehr seine Analyse zutrifft. Eine digitale 'chinesische Mauer' imitiert den Eisernen Vorhang auf seltsame Weise. Ebenso kann er sehen, wie real das Risiko ist, dass dieser unmögliche Frieden und dieser unwahrscheinliche Krieg [wie der Philosoph Raymond Aaron einst den Kalten Krieg bezeichnete], die unsere Gesellschaften damals so heftig spürten, die Welt erneut jahrzehntelang lähmen.“

The Independent (GB) /

Endlich Konkurrenz für Google und Facebook

Dass Softwareentwickler Microsoft Interesse an Tiktok zeigt, freut The Independent:

„Wenn Microsoft die Kontrolle über das US-Geschäft von Tiktok erhält, tritt die große alte Dame der US-High-Tech-Industrie in direkte Konkurrenz mit ihren jüngeren Rivalen, insbesondere Facebook und Google. Dies sind gute Nachrichten für jene Menschen, die überzeugt sind, dass Meinungs- und Informationsvielfalt in einer zersplitterten Welt am besten bewahrt werden können, wenn es auch eine Vielzahl von Medienplattformen gibt. Anders ausgedrückt: Wenn alles darauf hinausläuft, dass es nur wenige Markteilnehmer gibt - und es ist zu befürchten, dass angesichts der Eigenarten von sozialen Medien ein Oligopol unvermeidlich ist -, dann ist es besser, fünf oder sechs große Anbieter zu haben, als nur zwei oder drei.“

Welt (DE) /

Jetzt kann sich Europa beweisen

Die EU und ihre Mitgliedsstaaten dürfen nicht darauf warten, dass Washington das Problem für sie löst, mahnt die Tageszeitung Die Welt:

„Sie müssen Tiktok selbst prüfen und eine mutige Entscheidung treffen. Auch wenn sie riskieren, es sich mit China oder den USA zu verscherzen. Diesmal muss es besser laufen als beim 5G-Netzausbau. Seit Monaten ringen Europas Regierungen darum, wie man mit dem chinesischen Konzern Huawei umgehen sollte. Hier droht ein Flickenteppich. Europa will sich seit Jahren als Bastion gegen Falschmeldungen und als Instanz für Datenhoheit positionieren. Tiktok ist nun die Chance, zu beweisen, wie ernst man es damit meint.“